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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 36. Die richterlichen Reichsbehörden.
Entschluß durch das Bundesgesetz vom 12. Juni 1869
(B.-G.-Bl. S. 201), welches die Errichtung dieses Gerichshofes in
Leipzig anordnete und über die Organisation und Kompetenz
desselben die erforderlichen Anordnungen traf. Durch V. v. 22.
Juni 1870 (B.-G.-Bl. S. 418) wurde der Beginn seiner Wirk-
samkeit auf den 5. August 1870 festgesetzt. Bei dem Hinzutritt
der Süddeutschen Staaten wurde das Gesetz auf Süddeutschland
ausgedehnt; auf Bayern durch Ges. vom 22. April 1871 §. 5
(R.-G.-Bl. S. 89).

Seit dem 2. Sept. 1871 führt der Gerichtshof den Namen
"Reichs-Oberhandelsgericht" und zwar auf Grund der im R.-Ges.
v. 16. April 1871 §. 2 Abs. 2 enthaltenen Bestimmung 1). Dieser
Gerichtshof erkennt nicht Namens der einzelnen obersten Landes-
gerichte, an deren Stelle er getreten ist, beziehentlich Namens der
einzelnen Landesherren, aus deren Staaten die Rechtssachen an ihn
devolvirt sind, sondern durch ihn kömmt die Gerichtsgewalt des
Reiches zur Ausübung 2). Die einzelnen Staaten haben demge-
mäß auch kein Präsentations- oder Mitbesetzungsrecht, sondern die
Präsidenten und Mitglieder werden auf Vorschlag des Bundes-
rathes vom Kaiser ernannt 3) und sind Reichsbeamte 4).

Der Gerichtshof kann auf Grund eines Beschlusses des Bun-
desrathes in mehrere Senate getheilt werden 5). Gegenwärtig ist

auch der Reichstag dem Gesetzentwurf mit einigen Abänderungen zugestimmt
hatte (die Verhandlungen darüber finden sich in den Stenogr. Berichten des
Reichstages von 1869 I. S. 285 ff. II. S. 784 ff., 983 ff.), sanctionirte ihn
der Bundesrath mit Zweidrittel-Majorität, was von Erheblichkeit war wegen
der durch dieses Gesetz bewirkten Kompetenz-Erweiterung.
1) Der Plenarbeschl. vom 2. September 1871 ist mitgetheilt in den Ent-
scheidungen des Oberhandelsger. II. S. 448.
2) Des Landesherren findet in der Urtheils-Ausfertigung keine Erwäh-
nung statt. Die Urtheils-Ausfertigungen werden mit der Ueberschrift versehen:
"Im Namen des Deutschen Reiches." Sofern nach den Landesgesetzen die
Vollstreckungsklausel im Namen des Landesherrn ertheilt wird, wird statt des
Landesherrn gleichfalls das Deutsche Reich bezeichnet, z. B. "Im Namen des
Deutschen Reiches sofort vollstreckbar." Regulativ vom 9. Juli 1874 §.
13. 14. (Centralblatt 1874 S. 277). Vgl. auch Goldschmidt a. a. O.
S. 152.
3) Ges. vom 12. Juni 1869 §. 3.
4) ebenda §. 5.
5) ebenda §. 8 Abs. 1.

§. 36. Die richterlichen Reichsbehörden.
Entſchluß durch das Bundesgeſetz vom 12. Juni 1869
(B.-G.-Bl. S. 201), welches die Errichtung dieſes Gerichshofes in
Leipzig anordnete und über die Organiſation und Kompetenz
deſſelben die erforderlichen Anordnungen traf. Durch V. v. 22.
Juni 1870 (B.-G.-Bl. S. 418) wurde der Beginn ſeiner Wirk-
ſamkeit auf den 5. Auguſt 1870 feſtgeſetzt. Bei dem Hinzutritt
der Süddeutſchen Staaten wurde das Geſetz auf Süddeutſchland
ausgedehnt; auf Bayern durch Geſ. vom 22. April 1871 §. 5
(R.-G.-Bl. S. 89).

Seit dem 2. Sept. 1871 führt der Gerichtshof den Namen
„Reichs-Oberhandelsgericht“ und zwar auf Grund der im R.-Geſ.
v. 16. April 1871 §. 2 Abſ. 2 enthaltenen Beſtimmung 1). Dieſer
Gerichtshof erkennt nicht Namens der einzelnen oberſten Landes-
gerichte, an deren Stelle er getreten iſt, beziehentlich Namens der
einzelnen Landesherren, aus deren Staaten die Rechtsſachen an ihn
devolvirt ſind, ſondern durch ihn kömmt die Gerichtsgewalt des
Reiches zur Ausübung 2). Die einzelnen Staaten haben demge-
mäß auch kein Präſentations- oder Mitbeſetzungsrecht, ſondern die
Präſidenten und Mitglieder werden auf Vorſchlag des Bundes-
rathes vom Kaiſer ernannt 3) und ſind Reichsbeamte 4).

Der Gerichtshof kann auf Grund eines Beſchluſſes des Bun-
desrathes in mehrere Senate getheilt werden 5). Gegenwärtig iſt

auch der Reichstag dem Geſetzentwurf mit einigen Abänderungen zugeſtimmt
hatte (die Verhandlungen darüber finden ſich in den Stenogr. Berichten des
Reichstages von 1869 I. S. 285 ff. II. S. 784 ff., 983 ff.), ſanctionirte ihn
der Bundesrath mit Zweidrittel-Majorität, was von Erheblichkeit war wegen
der durch dieſes Geſetz bewirkten Kompetenz-Erweiterung.
1) Der Plenarbeſchl. vom 2. September 1871 iſt mitgetheilt in den Ent-
ſcheidungen des Oberhandelsger. II. S. 448.
2) Des Landesherren findet in der Urtheils-Ausfertigung keine Erwäh-
nung ſtatt. Die Urtheils-Ausfertigungen werden mit der Ueberſchrift verſehen:
„Im Namen des Deutſchen Reiches.“ Sofern nach den Landesgeſetzen die
Vollſtreckungsklauſel im Namen des Landesherrn ertheilt wird, wird ſtatt des
Landesherrn gleichfalls das Deutſche Reich bezeichnet, z. B. „Im Namen des
Deutſchen Reiches ſofort vollſtreckbar.“ Regulativ vom 9. Juli 1874 §.
13. 14. (Centralblatt 1874 S. 277). Vgl. auch Goldſchmidt a. a. O.
S. 152.
3) Geſ. vom 12. Juni 1869 §. 3.
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[361/0381] §. 36. Die richterlichen Reichsbehörden. Entſchluß durch das Bundesgeſetz vom 12. Juni 1869 (B.-G.-Bl. S. 201), welches die Errichtung dieſes Gerichshofes in Leipzig anordnete und über die Organiſation und Kompetenz deſſelben die erforderlichen Anordnungen traf. Durch V. v. 22. Juni 1870 (B.-G.-Bl. S. 418) wurde der Beginn ſeiner Wirk- ſamkeit auf den 5. Auguſt 1870 feſtgeſetzt. Bei dem Hinzutritt der Süddeutſchen Staaten wurde das Geſetz auf Süddeutſchland ausgedehnt; auf Bayern durch Geſ. vom 22. April 1871 §. 5 (R.-G.-Bl. S. 89). Seit dem 2. Sept. 1871 führt der Gerichtshof den Namen „Reichs-Oberhandelsgericht“ und zwar auf Grund der im R.-Geſ. v. 16. April 1871 §. 2 Abſ. 2 enthaltenen Beſtimmung 1). Dieſer Gerichtshof erkennt nicht Namens der einzelnen oberſten Landes- gerichte, an deren Stelle er getreten iſt, beziehentlich Namens der einzelnen Landesherren, aus deren Staaten die Rechtsſachen an ihn devolvirt ſind, ſondern durch ihn kömmt die Gerichtsgewalt des Reiches zur Ausübung 2). Die einzelnen Staaten haben demge- mäß auch kein Präſentations- oder Mitbeſetzungsrecht, ſondern die Präſidenten und Mitglieder werden auf Vorſchlag des Bundes- rathes vom Kaiſer ernannt 3) und ſind Reichsbeamte 4). Der Gerichtshof kann auf Grund eines Beſchluſſes des Bun- desrathes in mehrere Senate getheilt werden 5). Gegenwärtig iſt 3) 1) Der Plenarbeſchl. vom 2. September 1871 iſt mitgetheilt in den Ent- ſcheidungen des Oberhandelsger. II. S. 448. 2) Des Landesherren findet in der Urtheils-Ausfertigung keine Erwäh- nung ſtatt. Die Urtheils-Ausfertigungen werden mit der Ueberſchrift verſehen: „Im Namen des Deutſchen Reiches.“ Sofern nach den Landesgeſetzen die Vollſtreckungsklauſel im Namen des Landesherrn ertheilt wird, wird ſtatt des Landesherrn gleichfalls das Deutſche Reich bezeichnet, z. B. „Im Namen des Deutſchen Reiches ſofort vollſtreckbar.“ Regulativ vom 9. Juli 1874 §. 13. 14. (Centralblatt 1874 S. 277). Vgl. auch Goldſchmidt a. a. O. S. 152. 3) Geſ. vom 12. Juni 1869 §. 3. 4) ebenda §. 5. 5) ebenda §. 8 Abſ. 1. 3) auch der Reichstag dem Geſetzentwurf mit einigen Abänderungen zugeſtimmt hatte (die Verhandlungen darüber finden ſich in den Stenogr. Berichten des Reichstages von 1869 I. S. 285 ff. II. S. 784 ff., 983 ff.), ſanctionirte ihn der Bundesrath mit Zweidrittel-Majorität, was von Erheblichkeit war wegen der durch dieſes Geſetz bewirkten Kompetenz-Erweiterung.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/381>, abgerufen am 29.04.2024.