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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 38. Die Anstellung der Reichsbeamten.
Anstellungsdecret, sagt man, habe den juristischen Charakter eines
Privilegiums, einer lex specialis 1).

Allein, wenn man auch davon absehen will, daß bei den An-
stellungs-Dekreten die Form der Gesetzgebung nicht Anwendung
findet, so ist doch nicht zu verkennen, daß auch materiell die An-
stellung von Staatsbeamten kein Act der Gesetzgebung, sondern ein
Rechtsgeschäft ist.

Der Landesherr, welcher die für den Staatsdienst erforder-
lichen Arbeitskräfte durch Anstellung von Beamten anschafft, er-
ledigt dadurch staatliche Verwaltungs-Geschäfte, aber er stellt nicht
für jeden einzelnen Fall eine besondere Rechtsnorm auf. Wie fast
alle Verwaltungsgeschäfte werden auch die Anstellungen in der Form
der Verfügung erledigt; aber eine solche Verfügung ist keine Ver-
ordnung im technischen Sinne. Man verkehrt doch wahrlich den
materiellen Begriff des Gesetzes einer scholastischen Formel zu Liebe
in sein Gegentheil, wenn man annimmt, daß die Millionen von
Anstellungsdekreten der Beamten ebenso viele Spezialgesetze seien.
Man kömmt mit dieser Formel aber überhaupt nur aus bei den
Staatsbeamten, da nur der Staat Gesetze erlassen kann, während
doch die Anstellung von Staatsbeamten und die Anstellung von
Privatbeamten unter eine gemeinsame Begriffs-Kategorie fallen.
Die Anstellung eines Eisenbahn-Beamten an einer Privatbahn ist
ein Rechtsgeschäft, an einer Staatsbahn soll sie ein Gesetzgebungs-
Akt sein! Der königl. Förster soll durch lex specialis sein Amt
haben, der Förster des Standesherrn durch Vertrag! Den Beamten
der Städte und Landgemeinden schreibt man die Eigenschaft mit-
telbarer Staatsbeamten zu und in jedem Falle sind sie öffentliche
Beamte. Haben nun auch die Gemeinden die Befugniß, Spezial-
gesetze zu erlassen und machen sie von derselben bei der Ernennung

1) So Zöpfl Staatsr. II. §. 515. Zachariä II. §. 135 (S. 27.)
v. Gerber §. 37. Bluntschli Allgem. Staatsr. II. S. 124 (der jedoch
den Ausdruck Specialgesetz deshalb vermieden wissen will, weil die Anstel-
lung in der Regel nicht durch den gesetzgebenden Körper erfolgt). Pözl im
Staatswörterbuch Bd. IX S. 688 und Bayr. Verfassungsr. §. 199 Note 2
(S. 495). v. Rönne Preuß. Staatsr. II. 1 §. 328. Vgl. ferner Mau-
renbrecher
§. 161. Grotefend §. 673. Schulze Preuß. Staatsr. I.
§. 99. Selbst Schmitthenner, der die Anstellung richtig als einen Ver-
trag des öffentlichen Rechts auffaßt, legt dessenungeachtet S. 506 dem Anstel-
lungsdekret "den Charakter einer lex specialis bei."

§. 38. Die Anſtellung der Reichsbeamten.
Anſtellungsdecret, ſagt man, habe den juriſtiſchen Charakter eines
Privilegiums, einer lex specialis 1).

Allein, wenn man auch davon abſehen will, daß bei den An-
ſtellungs-Dekreten die Form der Geſetzgebung nicht Anwendung
findet, ſo iſt doch nicht zu verkennen, daß auch materiell die An-
ſtellung von Staatsbeamten kein Act der Geſetzgebung, ſondern ein
Rechtsgeſchäft iſt.

Der Landesherr, welcher die für den Staatsdienſt erforder-
lichen Arbeitskräfte durch Anſtellung von Beamten anſchafft, er-
ledigt dadurch ſtaatliche Verwaltungs-Geſchäfte, aber er ſtellt nicht
für jeden einzelnen Fall eine beſondere Rechtsnorm auf. Wie faſt
alle Verwaltungsgeſchäfte werden auch die Anſtellungen in der Form
der Verfügung erledigt; aber eine ſolche Verfügung iſt keine Ver-
ordnung im techniſchen Sinne. Man verkehrt doch wahrlich den
materiellen Begriff des Geſetzes einer ſcholaſtiſchen Formel zu Liebe
in ſein Gegentheil, wenn man annimmt, daß die Millionen von
Anſtellungsdekreten der Beamten ebenſo viele Spezialgeſetze ſeien.
Man kömmt mit dieſer Formel aber überhaupt nur aus bei den
Staatsbeamten, da nur der Staat Geſetze erlaſſen kann, während
doch die Anſtellung von Staatsbeamten und die Anſtellung von
Privatbeamten unter eine gemeinſame Begriffs-Kategorie fallen.
Die Anſtellung eines Eiſenbahn-Beamten an einer Privatbahn iſt
ein Rechtsgeſchäft, an einer Staatsbahn ſoll ſie ein Geſetzgebungs-
Akt ſein! Der königl. Förſter ſoll durch lex specialis ſein Amt
haben, der Förſter des Standesherrn durch Vertrag! Den Beamten
der Städte und Landgemeinden ſchreibt man die Eigenſchaft mit-
telbarer Staatsbeamten zu und in jedem Falle ſind ſie öffentliche
Beamte. Haben nun auch die Gemeinden die Befugniß, Spezial-
geſetze zu erlaſſen und machen ſie von derſelben bei der Ernennung

1) So Zöpfl Staatsr. II. §. 515. Zachariä II. §. 135 (S. 27.)
v. Gerber §. 37. Bluntſchli Allgem. Staatsr. II. S. 124 (der jedoch
den Ausdruck Specialgeſetz deshalb vermieden wiſſen will, weil die Anſtel-
lung in der Regel nicht durch den geſetzgebenden Körper erfolgt). Pözl im
Staatswörterbuch Bd. IX S. 688 und Bayr. Verfaſſungsr. §. 199 Note 2
(S. 495). v. Rönne Preuß. Staatsr. II. 1 §. 328. Vgl. ferner Mau-
renbrecher
§. 161. Grotefend §. 673. Schulze Preuß. Staatsr. I.
§. 99. Selbſt Schmitthenner, der die Anſtellung richtig als einen Ver-
trag des öffentlichen Rechts auffaßt, legt deſſenungeachtet S. 506 dem Anſtel-
lungsdekret „den Charakter einer lex specialis bei.“
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[402/0422] §. 38. Die Anſtellung der Reichsbeamten. Anſtellungsdecret, ſagt man, habe den juriſtiſchen Charakter eines Privilegiums, einer lex specialis 1). Allein, wenn man auch davon abſehen will, daß bei den An- ſtellungs-Dekreten die Form der Geſetzgebung nicht Anwendung findet, ſo iſt doch nicht zu verkennen, daß auch materiell die An- ſtellung von Staatsbeamten kein Act der Geſetzgebung, ſondern ein Rechtsgeſchäft iſt. Der Landesherr, welcher die für den Staatsdienſt erforder- lichen Arbeitskräfte durch Anſtellung von Beamten anſchafft, er- ledigt dadurch ſtaatliche Verwaltungs-Geſchäfte, aber er ſtellt nicht für jeden einzelnen Fall eine beſondere Rechtsnorm auf. Wie faſt alle Verwaltungsgeſchäfte werden auch die Anſtellungen in der Form der Verfügung erledigt; aber eine ſolche Verfügung iſt keine Ver- ordnung im techniſchen Sinne. Man verkehrt doch wahrlich den materiellen Begriff des Geſetzes einer ſcholaſtiſchen Formel zu Liebe in ſein Gegentheil, wenn man annimmt, daß die Millionen von Anſtellungsdekreten der Beamten ebenſo viele Spezialgeſetze ſeien. Man kömmt mit dieſer Formel aber überhaupt nur aus bei den Staatsbeamten, da nur der Staat Geſetze erlaſſen kann, während doch die Anſtellung von Staatsbeamten und die Anſtellung von Privatbeamten unter eine gemeinſame Begriffs-Kategorie fallen. Die Anſtellung eines Eiſenbahn-Beamten an einer Privatbahn iſt ein Rechtsgeſchäft, an einer Staatsbahn ſoll ſie ein Geſetzgebungs- Akt ſein! Der königl. Förſter ſoll durch lex specialis ſein Amt haben, der Förſter des Standesherrn durch Vertrag! Den Beamten der Städte und Landgemeinden ſchreibt man die Eigenſchaft mit- telbarer Staatsbeamten zu und in jedem Falle ſind ſie öffentliche Beamte. Haben nun auch die Gemeinden die Befugniß, Spezial- geſetze zu erlaſſen und machen ſie von derſelben bei der Ernennung 1) So Zöpfl Staatsr. II. §. 515. Zachariä II. §. 135 (S. 27.) v. Gerber §. 37. Bluntſchli Allgem. Staatsr. II. S. 124 (der jedoch den Ausdruck Specialgeſetz deshalb vermieden wiſſen will, weil die Anſtel- lung in der Regel nicht durch den geſetzgebenden Körper erfolgt). Pözl im Staatswörterbuch Bd. IX S. 688 und Bayr. Verfaſſungsr. §. 199 Note 2 (S. 495). v. Rönne Preuß. Staatsr. II. 1 §. 328. Vgl. ferner Mau- renbrecher §. 161. Grotefend §. 673. Schulze Preuß. Staatsr. I. §. 99. Selbſt Schmitthenner, der die Anſtellung richtig als einen Ver- trag des öffentlichen Rechts auffaßt, legt deſſenungeachtet S. 506 dem Anſtel- lungsdekret „den Charakter einer lex specialis bei.“

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/422>, abgerufen am 29.04.2024.