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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 52. Schutz der Reichstags-Mitglieder.
Artikels. In dem verfassungsberathenden Reichstage wurde zu
Art. 28 des Entw. ein Zusatz-Artikel von zwei verschiedenen Seiten
beantragt; der Abgeordnete Ausfeld wünschte die Aufnahme
eines dem §. 117 der Reichsverf. v. 28. März 1849 entsprechenden
Zusatzes, der Abgeordnete Lette empfahl die Anlehnung an die
Fassung des Art. 84 der Preuß. Verf.-Urk. v. 31. Januar 1850.
Die letztere Formulirung wurde angenommen, nachdem der Abg.
Lette die zwischen beiden Fassungen bestehenden Unterschiede her-
vorgehoben hatte. (Stenogr. Ber. des verfassungg. Reichstages
1867 S. 468.) In Betreff der hier in Betracht kommenden Frage
besteht aber zwischen beiden Fassungen kein Unterschied. Die
Reichsverfassung von 1849 §. 117 untersagt nur die Verhaftung
wegen "strafrechtlicher Anschuldigung" und die Verhandlungen der
Preuß. Rationalversammlung von 1848 über den jetzigen Artikel
84 lassen keinen Zweifel, daß der Ausdruck verhaftet, in diesem
Art. auf die Strafvollstreckung sich nicht erstreckt; auch ist niemals
in Preußen in der staatsrechtlichen Praxis die entgegengesetzte Be-
hauptung auch nur erhoben worden 1).

Bei der Vereinbarung der Reichsverfassung wurde daher von
keiner Seite daran gedacht, den Reichstags-Mitgliedern ein Privi-
legium in Beziehung auf die Verbüßung rechtskräftig erkannter
Strafen zu ertheilen 2).


1) Vrgl. v. Rönne Preuß. Staatsr. I. 2. S. 436--439 und den treff-
lichen Bericht des Abg. Harnier in der Sitzung des Reichstages v. 16. Dez.
1874. Stenogr. Bericht S. 725 ff.
2) Auch das Berliner Kammergericht hat durch Beschluß v. 18. Novemb.
1874 die richtige Ansicht zur Geltung gebracht, als es sich um die Vollstreckung
einer rechtskräftig erkannten Gefängnißstrafe gegen ein Reichstags-Mitglied,
Namens Majunke, handelte. In der dieserhalb geführten Verhandlung des
Reichstages ist außer der angeführten Berichterstattung von Harnier nament-
lich die vorzügliche Auseinandersetzung von Gneist (Stenogr. Berichte S. 750 ff.)
zu beachten. Auch der Reichstag selbst erkannte die richtige Ansicht dadurch
indirect an, daß er unter Ablehnung aller andern Anträge eine Resolution
annahm, nach welcher "behufs Aufrechthaltung der Würde des Reichstages" (!?)
es nothwendig sei, im Wege der Deklaration resp. Abänderung der Verfassung
die Möglichkeit auszuschließen, daß ein Abgeordneter während der Dauer der
Sitzungsperiode ohne Genehmigung des Reichstages verhaftet werde. Der
Bundesrath beschloß, dieser Resolution eine Folge nicht zu geben. Reichs-An-
zeiger v. 8. Nov. 1875. Ein in der Sitzungs-Periode von 1875/76 eingebrachter
Antrag auf Abänderung des Art. 31 der R.-V. wurde vom Reichstage am
9. Dez. 1875 verworfen. Stenogr. Ber. S. 471 ff.

§. 52. Schutz der Reichstags-Mitglieder.
Artikels. In dem verfaſſungsberathenden Reichstage wurde zu
Art. 28 des Entw. ein Zuſatz-Artikel von zwei verſchiedenen Seiten
beantragt; der Abgeordnete Ausfeld wünſchte die Aufnahme
eines dem §. 117 der Reichsverf. v. 28. März 1849 entſprechenden
Zuſatzes, der Abgeordnete Lette empfahl die Anlehnung an die
Faſſung des Art. 84 der Preuß. Verf.-Urk. v. 31. Januar 1850.
Die letztere Formulirung wurde angenommen, nachdem der Abg.
Lette die zwiſchen beiden Faſſungen beſtehenden Unterſchiede her-
vorgehoben hatte. (Stenogr. Ber. des verfaſſungg. Reichstages
1867 S. 468.) In Betreff der hier in Betracht kommenden Frage
beſteht aber zwiſchen beiden Faſſungen kein Unterſchied. Die
Reichsverfaſſung von 1849 §. 117 unterſagt nur die Verhaftung
wegen „ſtrafrechtlicher Anſchuldigung“ und die Verhandlungen der
Preuß. Rationalverſammlung von 1848 über den jetzigen Artikel
84 laſſen keinen Zweifel, daß der Ausdruck verhaftet, in dieſem
Art. auf die Strafvollſtreckung ſich nicht erſtreckt; auch iſt niemals
in Preußen in der ſtaatsrechtlichen Praxis die entgegengeſetzte Be-
hauptung auch nur erhoben worden 1).

Bei der Vereinbarung der Reichsverfaſſung wurde daher von
keiner Seite daran gedacht, den Reichstags-Mitgliedern ein Privi-
legium in Beziehung auf die Verbüßung rechtskräftig erkannter
Strafen zu ertheilen 2).


1) Vrgl. v. Rönne Preuß. Staatsr. I. 2. S. 436—439 und den treff-
lichen Bericht des Abg. Harnier in der Sitzung des Reichstages v. 16. Dez.
1874. Stenogr. Bericht S. 725 ff.
2) Auch das Berliner Kammergericht hat durch Beſchluß v. 18. Novemb.
1874 die richtige Anſicht zur Geltung gebracht, als es ſich um die Vollſtreckung
einer rechtskräftig erkannten Gefängnißſtrafe gegen ein Reichstags-Mitglied,
Namens Majunke, handelte. In der dieſerhalb geführten Verhandlung des
Reichstages iſt außer der angeführten Berichterſtattung von Harnier nament-
lich die vorzügliche Auseinanderſetzung von Gneiſt (Stenogr. Berichte S. 750 ff.)
zu beachten. Auch der Reichstag ſelbſt erkannte die richtige Anſicht dadurch
indirect an, daß er unter Ablehnung aller andern Anträge eine Reſolution
annahm, nach welcher „behufs Aufrechthaltung der Würde des Reichstages“ (!?)
es nothwendig ſei, im Wege der Deklaration reſp. Abänderung der Verfaſſung
die Möglichkeit auszuſchließen, daß ein Abgeordneter während der Dauer der
Sitzungsperiode ohne Genehmigung des Reichstages verhaftet werde. Der
Bundesrath beſchloß, dieſer Reſolution eine Folge nicht zu geben. Reichs-An-
zeiger v. 8. Nov. 1875. Ein in der Sitzungs-Periode von 1875/76 eingebrachter
Antrag auf Abänderung des Art. 31 der R.-V. wurde vom Reichstage am
9. Dez. 1875 verworfen. Stenogr. Ber. S. 471 ff.
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[573/0593] §. 52. Schutz der Reichstags-Mitglieder. Artikels. In dem verfaſſungsberathenden Reichstage wurde zu Art. 28 des Entw. ein Zuſatz-Artikel von zwei verſchiedenen Seiten beantragt; der Abgeordnete Ausfeld wünſchte die Aufnahme eines dem §. 117 der Reichsverf. v. 28. März 1849 entſprechenden Zuſatzes, der Abgeordnete Lette empfahl die Anlehnung an die Faſſung des Art. 84 der Preuß. Verf.-Urk. v. 31. Januar 1850. Die letztere Formulirung wurde angenommen, nachdem der Abg. Lette die zwiſchen beiden Faſſungen beſtehenden Unterſchiede her- vorgehoben hatte. (Stenogr. Ber. des verfaſſungg. Reichstages 1867 S. 468.) In Betreff der hier in Betracht kommenden Frage beſteht aber zwiſchen beiden Faſſungen kein Unterſchied. Die Reichsverfaſſung von 1849 §. 117 unterſagt nur die Verhaftung wegen „ſtrafrechtlicher Anſchuldigung“ und die Verhandlungen der Preuß. Rationalverſammlung von 1848 über den jetzigen Artikel 84 laſſen keinen Zweifel, daß der Ausdruck verhaftet, in dieſem Art. auf die Strafvollſtreckung ſich nicht erſtreckt; auch iſt niemals in Preußen in der ſtaatsrechtlichen Praxis die entgegengeſetzte Be- hauptung auch nur erhoben worden 1). Bei der Vereinbarung der Reichsverfaſſung wurde daher von keiner Seite daran gedacht, den Reichstags-Mitgliedern ein Privi- legium in Beziehung auf die Verbüßung rechtskräftig erkannter Strafen zu ertheilen 2). 1) Vrgl. v. Rönne Preuß. Staatsr. I. 2. S. 436—439 und den treff- lichen Bericht des Abg. Harnier in der Sitzung des Reichstages v. 16. Dez. 1874. Stenogr. Bericht S. 725 ff. 2) Auch das Berliner Kammergericht hat durch Beſchluß v. 18. Novemb. 1874 die richtige Anſicht zur Geltung gebracht, als es ſich um die Vollſtreckung einer rechtskräftig erkannten Gefängnißſtrafe gegen ein Reichstags-Mitglied, Namens Majunke, handelte. In der dieſerhalb geführten Verhandlung des Reichstages iſt außer der angeführten Berichterſtattung von Harnier nament- lich die vorzügliche Auseinanderſetzung von Gneiſt (Stenogr. Berichte S. 750 ff.) zu beachten. Auch der Reichstag ſelbſt erkannte die richtige Anſicht dadurch indirect an, daß er unter Ablehnung aller andern Anträge eine Reſolution annahm, nach welcher „behufs Aufrechthaltung der Würde des Reichstages“ (!?) es nothwendig ſei, im Wege der Deklaration reſp. Abänderung der Verfaſſung die Möglichkeit auszuſchließen, daß ein Abgeordneter während der Dauer der Sitzungsperiode ohne Genehmigung des Reichstages verhaftet werde. Der Bundesrath beſchloß, dieſer Reſolution eine Folge nicht zu geben. Reichs-An- zeiger v. 8. Nov. 1875. Ein in der Sitzungs-Periode von 1875/76 eingebrachter Antrag auf Abänderung des Art. 31 der R.-V. wurde vom Reichstage am 9. Dez. 1875 verworfen. Stenogr. Ber. S. 471 ff.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 573. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/593>, abgerufen am 27.04.2024.