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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 63. Begriff und juristische Natur der Staatsverträge.
Zeit in Preußen üblich. Vor Einführung der constitutionellen
Verfassungsform machte es auch keinen Unterschied, ob der Vertrag
lediglich die Verwaltungsthätigkeit oder auch die Rechtsordnung
berührte; für beide Arten von staatlichen Anordnungen war der
Befehl des Königs genügend und nur darin bestand ein Unter-
schied, daß die wichtigeren oder die das Publikum direct berühren-
den Staatsverträge, z. B. Handels- und Schifffahrtsverträge, in
der Gesetzsammlung verkündet, andere nur in den Amtsblättern
oder Ministerialblättern abgedruckt oder den betreffenden Behörden
durch Cirkular-Verfügung mitgetheilt wurden.

Diese in Preußen übliche Form, welche den Befehl, den Ver-
trag zu befolgen, als selbstverständlich unterdrückt, hat nun die
nachtheilige Folge, daß dieser Befehl überhaupt übersehen werden
kann. Denn da er stillschweigend ertheilt wird, so ist er nicht sinn-
lich wahrnehmbar, sondern nur durch den Intellekt zu begreifen.
Es entsteht dann leicht die, durch den Anblick des nackten ohne
Verkündigungsformel abgedruckten Vertrages erzeugte Vorstellung,
als ob Behörden und Unterthanen durch den Abschluß des Ver-
trages zur Befolgung desselben verpflichtet wären und als wenn
die Verkündigung des Vertrages keine andere Bedeutung hätte als
ihn zur öffentlichen Kenntniß zu bringen. Der Staat selbst ver-
schuldet die irrige Theorie, als könnten durch den Abschluß eines
Staatsvertrages Verwaltungsvorschriften oder gar Rechtssätze er-
zeugt werden. Man übersieht das nothwendige Mittelglied und
verkennt die juristische Bedeutung der Verkündigung. Der Ab-
schluß des Vertrages constatirt nur den Willen des Staates, sich
zu verpflichten; die Verkündigung des Vertrages constatirt den
Willen des Staates, die Verpflichtung zu erfüllen, indem die
Beobachtung des Vertrages anbefohlen wird. Die Verkündigung
ist auch bei Staatsverträgen etwas wesentlich Anderes als die Ver-
öffentlichung; der bloße Abdruck eines Staatsvertrages in Zeitun-
gen, Zeitschriften u. s. w. ist ohne alle und jede rechtliche Bedeu-
tung. Der rechtliche Inhalt der Verkündigung ist nicht die Be-
kanntmachung des Publikums mit dem Staatsvertrage, sondern der
Befehl des Staates an Behörden und Unterthanen, den Vertrag
zu beachten. Völkerrechtlich ist der Abschluß des Vertrages
der entscheidende Vorgang, staatsrechtlich die Verkündigung;
die staatsrechtliche Theorie aber hat sich daran gewöhnt, sich vor-

§. 63. Begriff und juriſtiſche Natur der Staatsverträge.
Zeit in Preußen üblich. Vor Einführung der conſtitutionellen
Verfaſſungsform machte es auch keinen Unterſchied, ob der Vertrag
lediglich die Verwaltungsthätigkeit oder auch die Rechtsordnung
berührte; für beide Arten von ſtaatlichen Anordnungen war der
Befehl des Königs genügend und nur darin beſtand ein Unter-
ſchied, daß die wichtigeren oder die das Publikum direct berühren-
den Staatsverträge, z. B. Handels- und Schifffahrtsverträge, in
der Geſetzſammlung verkündet, andere nur in den Amtsblättern
oder Miniſterialblättern abgedruckt oder den betreffenden Behörden
durch Cirkular-Verfügung mitgetheilt wurden.

Dieſe in Preußen übliche Form, welche den Befehl, den Ver-
trag zu befolgen, als ſelbſtverſtändlich unterdrückt, hat nun die
nachtheilige Folge, daß dieſer Befehl überhaupt überſehen werden
kann. Denn da er ſtillſchweigend ertheilt wird, ſo iſt er nicht ſinn-
lich wahrnehmbar, ſondern nur durch den Intellekt zu begreifen.
Es entſteht dann leicht die, durch den Anblick des nackten ohne
Verkündigungsformel abgedruckten Vertrages erzeugte Vorſtellung,
als ob Behörden und Unterthanen durch den Abſchluß des Ver-
trages zur Befolgung deſſelben verpflichtet wären und als wenn
die Verkündigung des Vertrages keine andere Bedeutung hätte als
ihn zur öffentlichen Kenntniß zu bringen. Der Staat ſelbſt ver-
ſchuldet die irrige Theorie, als könnten durch den Abſchluß eines
Staatsvertrages Verwaltungsvorſchriften oder gar Rechtsſätze er-
zeugt werden. Man überſieht das nothwendige Mittelglied und
verkennt die juriſtiſche Bedeutung der Verkündigung. Der Ab-
ſchluß des Vertrages conſtatirt nur den Willen des Staates, ſich
zu verpflichten; die Verkündigung des Vertrages conſtatirt den
Willen des Staates, die Verpflichtung zu erfüllen, indem die
Beobachtung des Vertrages anbefohlen wird. Die Verkündigung
iſt auch bei Staatsverträgen etwas weſentlich Anderes als die Ver-
öffentlichung; der bloße Abdruck eines Staatsvertrages in Zeitun-
gen, Zeitſchriften u. ſ. w. iſt ohne alle und jede rechtliche Bedeu-
tung. Der rechtliche Inhalt der Verkündigung iſt nicht die Be-
kanntmachung des Publikums mit dem Staatsvertrage, ſondern der
Befehl des Staates an Behörden und Unterthanen, den Vertrag
zu beachten. Völkerrechtlich iſt der Abſchluß des Vertrages
der entſcheidende Vorgang, ſtaatsrechtlich die Verkündigung;
die ſtaatsrechtliche Theorie aber hat ſich daran gewöhnt, ſich vor-

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[158/0172] §. 63. Begriff und juriſtiſche Natur der Staatsverträge. Zeit in Preußen üblich. Vor Einführung der conſtitutionellen Verfaſſungsform machte es auch keinen Unterſchied, ob der Vertrag lediglich die Verwaltungsthätigkeit oder auch die Rechtsordnung berührte; für beide Arten von ſtaatlichen Anordnungen war der Befehl des Königs genügend und nur darin beſtand ein Unter- ſchied, daß die wichtigeren oder die das Publikum direct berühren- den Staatsverträge, z. B. Handels- und Schifffahrtsverträge, in der Geſetzſammlung verkündet, andere nur in den Amtsblättern oder Miniſterialblättern abgedruckt oder den betreffenden Behörden durch Cirkular-Verfügung mitgetheilt wurden. Dieſe in Preußen übliche Form, welche den Befehl, den Ver- trag zu befolgen, als ſelbſtverſtändlich unterdrückt, hat nun die nachtheilige Folge, daß dieſer Befehl überhaupt überſehen werden kann. Denn da er ſtillſchweigend ertheilt wird, ſo iſt er nicht ſinn- lich wahrnehmbar, ſondern nur durch den Intellekt zu begreifen. Es entſteht dann leicht die, durch den Anblick des nackten ohne Verkündigungsformel abgedruckten Vertrages erzeugte Vorſtellung, als ob Behörden und Unterthanen durch den Abſchluß des Ver- trages zur Befolgung deſſelben verpflichtet wären und als wenn die Verkündigung des Vertrages keine andere Bedeutung hätte als ihn zur öffentlichen Kenntniß zu bringen. Der Staat ſelbſt ver- ſchuldet die irrige Theorie, als könnten durch den Abſchluß eines Staatsvertrages Verwaltungsvorſchriften oder gar Rechtsſätze er- zeugt werden. Man überſieht das nothwendige Mittelglied und verkennt die juriſtiſche Bedeutung der Verkündigung. Der Ab- ſchluß des Vertrages conſtatirt nur den Willen des Staates, ſich zu verpflichten; die Verkündigung des Vertrages conſtatirt den Willen des Staates, die Verpflichtung zu erfüllen, indem die Beobachtung des Vertrages anbefohlen wird. Die Verkündigung iſt auch bei Staatsverträgen etwas weſentlich Anderes als die Ver- öffentlichung; der bloße Abdruck eines Staatsvertrages in Zeitun- gen, Zeitſchriften u. ſ. w. iſt ohne alle und jede rechtliche Bedeu- tung. Der rechtliche Inhalt der Verkündigung iſt nicht die Be- kanntmachung des Publikums mit dem Staatsvertrage, ſondern der Befehl des Staates an Behörden und Unterthanen, den Vertrag zu beachten. Völkerrechtlich iſt der Abſchluß des Vertrages der entſcheidende Vorgang, ſtaatsrechtlich die Verkündigung; die ſtaatsrechtliche Theorie aber hat ſich daran gewöhnt, ſich vor-

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/172>, abgerufen am 27.04.2024.