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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 75. Die Verwaltung des Maß- und Gewichtswesens.
das ius dispositionen überhaupt erfüllt; es dient dazu den un-
vollständig erklärten Parteiwillen zu ergänzen und zu erläutern.
Die Maß- und Gewichts-Ordnung hindert demnach im Allgemeinen
die Parteien nicht, mit denselben Ausdrücken, denen sie einen ge-
wissen Sinn beilegt, einen andern Sinn zu verbinden; nur muß
dies in deutlicher Weise erkennbar gemacht werden. Von Wichtig-
keit ist dieser Satz namentlich in privatrechtlicher Beziehung. Wenn
aus den Erklärungen der Parteien beim Abschluß eines Vertrages
sich ergiebt, daß sie darüber einverstanden waren, mit dem Aus-
druck "Zentner" etwas Anderes zu bezeichnen, als die Maß- und
Gewichts-Ordnung mit diesem Worte bezeichnet, so muß bei der
Erfüllung des Geschäftes der Ausdruck in dem Sinne des Ver-
trages, nicht des Gesetzes, ausgelegt werden.

Insbesondere hindert der, durch Erlaß der Maß- und Ge-
wichts-Ordnung sanctionirte dispositive Rechtssatz Niemanden, in
dem Geltungsbereich der Maß- und Gewichts-Ordnung auch andere
Maß- und Gewichts-Größen bei Rechtsgeschäften in Anwendung
zu bringen, z. B. Waaren, welche aus dem Auslande bezogen
oder zum Export dahin bestimmt sind, nach einem ausländischen
Maß oder Gewicht der Quantität nach zu bestimmen.

Man kann dies in dem Satz formuliren: Die Einführung
eines Maß- und Gewichtssystems schließt die Verwendung von
anderen Maß- und Gewichts-Systemen im geschäftlichen Verkehr
nicht aus, ebensowenig wie die gesetzliche Anerkennung eines Münz-
systems die Parteien hindert, Preisverabredungen nach einer aus-
ländischen oder gesetzlich außer Kurs gesetzten Währung zu treffen.

b) Mit dem Erlaß der Maß- und Gewichts-Ordnung kann
aber ferner die Sanction eines zwingenden Rechtssatzes ver-
bunden werden, indem der Gebrauch von Maßen und von Ge-
wichten und Waagen, welche den Anordnungen des Gesetzes nicht
entsprechen, verboten ist. Es bezieht sich dies aber nicht auf
Vereinbarungen über Quantitäten, sondern auf das Zu-
messen und Zuwägen derselben; sowie die gesetzliche Regelung des
Münzsystems nicht die Verabredung des Preises oder der
Schuldsummen, sondern deren Zahlung betrifft. Das Zumessen
und Zuwägen entspricht der Zahlung (Zuzählen); sowie letztere
nicht in Geldstücken angeboten und geleistet werden darf, deren
Umlauf verboten ist, so darf das Zumessen und Zuwägen nicht

§. 75. Die Verwaltung des Maß- und Gewichtsweſens.
das ius dispositionen überhaupt erfüllt; es dient dazu den un-
vollſtändig erklärten Parteiwillen zu ergänzen und zu erläutern.
Die Maß- und Gewichts-Ordnung hindert demnach im Allgemeinen
die Parteien nicht, mit denſelben Ausdrücken, denen ſie einen ge-
wiſſen Sinn beilegt, einen andern Sinn zu verbinden; nur muß
dies in deutlicher Weiſe erkennbar gemacht werden. Von Wichtig-
keit iſt dieſer Satz namentlich in privatrechtlicher Beziehung. Wenn
aus den Erklärungen der Parteien beim Abſchluß eines Vertrages
ſich ergiebt, daß ſie darüber einverſtanden waren, mit dem Aus-
druck „Zentner“ etwas Anderes zu bezeichnen, als die Maß- und
Gewichts-Ordnung mit dieſem Worte bezeichnet, ſo muß bei der
Erfüllung des Geſchäftes der Ausdruck in dem Sinne des Ver-
trages, nicht des Geſetzes, ausgelegt werden.

Insbeſondere hindert der, durch Erlaß der Maß- und Ge-
wichts-Ordnung ſanctionirte dispoſitive Rechtsſatz Niemanden, in
dem Geltungsbereich der Maß- und Gewichts-Ordnung auch andere
Maß- und Gewichts-Größen bei Rechtsgeſchäften in Anwendung
zu bringen, z. B. Waaren, welche aus dem Auslande bezogen
oder zum Export dahin beſtimmt ſind, nach einem ausländiſchen
Maß oder Gewicht der Quantität nach zu beſtimmen.

Man kann dies in dem Satz formuliren: Die Einführung
eines Maß- und Gewichtsſyſtems ſchließt die Verwendung von
anderen Maß- und Gewichts-Syſtemen im geſchäftlichen Verkehr
nicht aus, ebenſowenig wie die geſetzliche Anerkennung eines Münz-
ſyſtems die Parteien hindert, Preisverabredungen nach einer aus-
ländiſchen oder geſetzlich außer Kurs geſetzten Währung zu treffen.

b) Mit dem Erlaß der Maß- und Gewichts-Ordnung kann
aber ferner die Sanction eines zwingenden Rechtsſatzes ver-
bunden werden, indem der Gebrauch von Maßen und von Ge-
wichten und Waagen, welche den Anordnungen des Geſetzes nicht
entſprechen, verboten iſt. Es bezieht ſich dies aber nicht auf
Vereinbarungen über Quantitäten, ſondern auf das Zu-
meſſen und Zuwägen derſelben; ſowie die geſetzliche Regelung des
Münzſyſtems nicht die Verabredung des Preiſes oder der
Schuldſummen, ſondern deren Zahlung betrifft. Das Zumeſſen
und Zuwägen entſpricht der Zahlung (Zuzählen); ſowie letztere
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Umlauf verboten iſt, ſo darf das Zumeſſen und Zuwägen nicht

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[441/0455] §. 75. Die Verwaltung des Maß- und Gewichtsweſens. das ius dispositionen überhaupt erfüllt; es dient dazu den un- vollſtändig erklärten Parteiwillen zu ergänzen und zu erläutern. Die Maß- und Gewichts-Ordnung hindert demnach im Allgemeinen die Parteien nicht, mit denſelben Ausdrücken, denen ſie einen ge- wiſſen Sinn beilegt, einen andern Sinn zu verbinden; nur muß dies in deutlicher Weiſe erkennbar gemacht werden. Von Wichtig- keit iſt dieſer Satz namentlich in privatrechtlicher Beziehung. Wenn aus den Erklärungen der Parteien beim Abſchluß eines Vertrages ſich ergiebt, daß ſie darüber einverſtanden waren, mit dem Aus- druck „Zentner“ etwas Anderes zu bezeichnen, als die Maß- und Gewichts-Ordnung mit dieſem Worte bezeichnet, ſo muß bei der Erfüllung des Geſchäftes der Ausdruck in dem Sinne des Ver- trages, nicht des Geſetzes, ausgelegt werden. Insbeſondere hindert der, durch Erlaß der Maß- und Ge- wichts-Ordnung ſanctionirte dispoſitive Rechtsſatz Niemanden, in dem Geltungsbereich der Maß- und Gewichts-Ordnung auch andere Maß- und Gewichts-Größen bei Rechtsgeſchäften in Anwendung zu bringen, z. B. Waaren, welche aus dem Auslande bezogen oder zum Export dahin beſtimmt ſind, nach einem ausländiſchen Maß oder Gewicht der Quantität nach zu beſtimmen. Man kann dies in dem Satz formuliren: Die Einführung eines Maß- und Gewichtsſyſtems ſchließt die Verwendung von anderen Maß- und Gewichts-Syſtemen im geſchäftlichen Verkehr nicht aus, ebenſowenig wie die geſetzliche Anerkennung eines Münz- ſyſtems die Parteien hindert, Preisverabredungen nach einer aus- ländiſchen oder geſetzlich außer Kurs geſetzten Währung zu treffen. b) Mit dem Erlaß der Maß- und Gewichts-Ordnung kann aber ferner die Sanction eines zwingenden Rechtsſatzes ver- bunden werden, indem der Gebrauch von Maßen und von Ge- wichten und Waagen, welche den Anordnungen des Geſetzes nicht entſprechen, verboten iſt. Es bezieht ſich dies aber nicht auf Vereinbarungen über Quantitäten, ſondern auf das Zu- meſſen und Zuwägen derſelben; ſowie die geſetzliche Regelung des Münzſyſtems nicht die Verabredung des Preiſes oder der Schuldſummen, ſondern deren Zahlung betrifft. Das Zumeſſen und Zuwägen entſpricht der Zahlung (Zuzählen); ſowie letztere nicht in Geldſtücken angeboten und geleiſtet werden darf, deren Umlauf verboten iſt, ſo darf das Zumeſſen und Zuwägen nicht

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/455>, abgerufen am 26.04.2024.