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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 59. Die Verordnungen des Reichs.
rathes nicht zu Stande, sondern wird durch dieselbe nur vorbereitet
und ermöglicht; der Kaiser ist daher völlig ungehindert, die Sanc-
tion zu versagen. In politischer Beziehung ist dies in dem Falle
ohne Belang, wenn die Preußischen Bevollmächtigten im Bundes-
rath der Verordnung zugestimmt haben; juristisch aber ist es auch
in diesem Falle von Erheblichkeit, daß die mit Zustimmung des
Bundesrathes erlassenen Verordnungen nicht Gesetzgebungs-Akte
des Bundesrathes, sondern des Kaisers sind. Denn wenn in einem
Reichsgesetz der Erlaß von Ausführungs-Vorschriften dem Kaiser
delegirt ist, würden vom Bundesrath erlassene Verordnungen
null und nichtig sein, während durchaus kein Hinderniß besteht,
daß der Kaiser auch in denjenigen Fällen, in welchen ihm dies
nicht gesetzlich zur Pflicht gemacht ist, sich der Zustimmung des
Bundesraths zu dem Inhalte der von ihm zu erlassenden Verord-
nungen versichert 1). In keinem Falle aber kann gegen oder auch
nur ohne den Willen des Kaisers eine solche Verordnung zu
Stande kommen und es ist wenigstens denkbar und staatsrechtlich
zulässig, daß der Kaiser den Erlaß der Verordnung nachträglich
ablehnt, obgleich die Preuß. Stimmen im Bundesrathe für Er-
theilung der Zustimmung abgegeben worden sind.

3. Verordnungen des Reichskanzlers oder einer
andern Reichsbehörde. Dieser Fall hat die größte Verwandt-
schaft mit der Delegation zu Gunsten des Kaisers und ist ihm in
allen Stücken analog. Denn der Reichskanzler und die übrigen
Reichsbehörden sind Gehilfen des Kaisers, deren er sich bei der
ihm zustehenden Regierungsthätigkeit bedient 2). Alle einer Reichs-
behörde zustehenden Befugnisse sind umschlossen von der kaiserlichen
Prärogative und staatsrechtlich nur Bethätigungen der dem Kaiser
übertragenen Führung der Regierungsgeschäfte 3). Man kann da-
her jede gesetzliche Anordnung, welche dem Reichskanzler oder einer
andern Reichsbehörde den Erlaß einer Rechtsverordnung überträgt,
juristisch auffassen als die Delegation des Verordnungsrechtes zu
Gunsten des Kaisers, mit der Maßgabe, daß nicht der Kaiser
selbst dieses Geschäft zu versehen braucht, sondern daß es für

1) Dies geschieht sehr häufig, wie die Protokolle des Bundesraths be-
weisen.
2) Vgl. Bd. I. S. 227. 298 fg.
3) a. a. O. S. 299 a. E.
Laband, Reichsstaatsrecht. II. 6

§. 59. Die Verordnungen des Reichs.
rathes nicht zu Stande, ſondern wird durch dieſelbe nur vorbereitet
und ermöglicht; der Kaiſer iſt daher völlig ungehindert, die Sanc-
tion zu verſagen. In politiſcher Beziehung iſt dies in dem Falle
ohne Belang, wenn die Preußiſchen Bevollmächtigten im Bundes-
rath der Verordnung zugeſtimmt haben; juriſtiſch aber iſt es auch
in dieſem Falle von Erheblichkeit, daß die mit Zuſtimmung des
Bundesrathes erlaſſenen Verordnungen nicht Geſetzgebungs-Akte
des Bundesrathes, ſondern des Kaiſers ſind. Denn wenn in einem
Reichsgeſetz der Erlaß von Ausführungs-Vorſchriften dem Kaiſer
delegirt iſt, würden vom Bundesrath erlaſſene Verordnungen
null und nichtig ſein, während durchaus kein Hinderniß beſteht,
daß der Kaiſer auch in denjenigen Fällen, in welchen ihm dies
nicht geſetzlich zur Pflicht gemacht iſt, ſich der Zuſtimmung des
Bundesraths zu dem Inhalte der von ihm zu erlaſſenden Verord-
nungen verſichert 1). In keinem Falle aber kann gegen oder auch
nur ohne den Willen des Kaiſers eine ſolche Verordnung zu
Stande kommen und es iſt wenigſtens denkbar und ſtaatsrechtlich
zuläſſig, daß der Kaiſer den Erlaß der Verordnung nachträglich
ablehnt, obgleich die Preuß. Stimmen im Bundesrathe für Er-
theilung der Zuſtimmung abgegeben worden ſind.

3. Verordnungen des Reichskanzlers oder einer
andern Reichsbehörde. Dieſer Fall hat die größte Verwandt-
ſchaft mit der Delegation zu Gunſten des Kaiſers und iſt ihm in
allen Stücken analog. Denn der Reichskanzler und die übrigen
Reichsbehörden ſind Gehilfen des Kaiſers, deren er ſich bei der
ihm zuſtehenden Regierungsthätigkeit bedient 2). Alle einer Reichs-
behörde zuſtehenden Befugniſſe ſind umſchloſſen von der kaiſerlichen
Prärogative und ſtaatsrechtlich nur Bethätigungen der dem Kaiſer
übertragenen Führung der Regierungsgeſchäfte 3). Man kann da-
her jede geſetzliche Anordnung, welche dem Reichskanzler oder einer
andern Reichsbehörde den Erlaß einer Rechtsverordnung überträgt,
juriſtiſch auffaſſen als die Delegation des Verordnungsrechtes zu
Gunſten des Kaiſers, mit der Maßgabe, daß nicht der Kaiſer
ſelbſt dieſes Geſchäft zu verſehen braucht, ſondern daß es für

1) Dies geſchieht ſehr häufig, wie die Protokolle des Bundesraths be-
weiſen.
2) Vgl. Bd. I. S. 227. 298 fg.
3) a. a. O. S. 299 a. E.
Laband, Reichsſtaatsrecht. II. 6
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[81/0095] §. 59. Die Verordnungen des Reichs. rathes nicht zu Stande, ſondern wird durch dieſelbe nur vorbereitet und ermöglicht; der Kaiſer iſt daher völlig ungehindert, die Sanc- tion zu verſagen. In politiſcher Beziehung iſt dies in dem Falle ohne Belang, wenn die Preußiſchen Bevollmächtigten im Bundes- rath der Verordnung zugeſtimmt haben; juriſtiſch aber iſt es auch in dieſem Falle von Erheblichkeit, daß die mit Zuſtimmung des Bundesrathes erlaſſenen Verordnungen nicht Geſetzgebungs-Akte des Bundesrathes, ſondern des Kaiſers ſind. Denn wenn in einem Reichsgeſetz der Erlaß von Ausführungs-Vorſchriften dem Kaiſer delegirt iſt, würden vom Bundesrath erlaſſene Verordnungen null und nichtig ſein, während durchaus kein Hinderniß beſteht, daß der Kaiſer auch in denjenigen Fällen, in welchen ihm dies nicht geſetzlich zur Pflicht gemacht iſt, ſich der Zuſtimmung des Bundesraths zu dem Inhalte der von ihm zu erlaſſenden Verord- nungen verſichert 1). In keinem Falle aber kann gegen oder auch nur ohne den Willen des Kaiſers eine ſolche Verordnung zu Stande kommen und es iſt wenigſtens denkbar und ſtaatsrechtlich zuläſſig, daß der Kaiſer den Erlaß der Verordnung nachträglich ablehnt, obgleich die Preuß. Stimmen im Bundesrathe für Er- theilung der Zuſtimmung abgegeben worden ſind. 3. Verordnungen des Reichskanzlers oder einer andern Reichsbehörde. Dieſer Fall hat die größte Verwandt- ſchaft mit der Delegation zu Gunſten des Kaiſers und iſt ihm in allen Stücken analog. Denn der Reichskanzler und die übrigen Reichsbehörden ſind Gehilfen des Kaiſers, deren er ſich bei der ihm zuſtehenden Regierungsthätigkeit bedient 2). Alle einer Reichs- behörde zuſtehenden Befugniſſe ſind umſchloſſen von der kaiſerlichen Prärogative und ſtaatsrechtlich nur Bethätigungen der dem Kaiſer übertragenen Führung der Regierungsgeſchäfte 3). Man kann da- her jede geſetzliche Anordnung, welche dem Reichskanzler oder einer andern Reichsbehörde den Erlaß einer Rechtsverordnung überträgt, juriſtiſch auffaſſen als die Delegation des Verordnungsrechtes zu Gunſten des Kaiſers, mit der Maßgabe, daß nicht der Kaiſer ſelbſt dieſes Geſchäft zu verſehen braucht, ſondern daß es für 1) Dies geſchieht ſehr häufig, wie die Protokolle des Bundesraths be- weiſen. 2) Vgl. Bd. I. S. 227. 298 fg. 3) a. a. O. S. 299 a. E. Laband, Reichsſtaatsrecht. II. 6

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/95>, abgerufen am 27.04.2024.