Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Seyn und das Nicht seyn.
ihre Grundsätze und Postulata, für sich nicht
widersprechend sind, und daher die erste An-
lage zu den positiven Möglichkeiten geben,

welche in der Grundlehre um desto mehr müssen auf-
gesuchet werden, weil das Nicht - widersprechen nur
ein verneinendes Merkmal des Möglichen ist. Man
sehe, was wir oben (§. 19.) hierüber angemerket ha-
ben. Die erst erwähnte Grundlage zu positiven
Möglichkeiten ist a priori, und kann der andern,
welche vom Wirklichen aufs Mögliche schließt,
in so fern entgegengesetzt werden, als letztere a poste-
riori
ist, (§. 20.). Die unmittelbarste Quelle aber
zu positiven Möglichkeiten, sowohl
a priori als
a posteriori, sind die Kräfte, weil ohne diese nichts
geschehen kann. Jn dieser Absicht ist in der wirk-
lichen Welt alles das unmöglich, wozu die wirklich
darinn vorkommenden Kräfte, welche allerdings
auch, wie jedes übrige in der Welt, bestimmet sind,
nicht ausreichen. Jm Reiche der Möglichkeit aber
gehen die Kräfte auf alles, was keinen absoluten
oder im strengsten Verstande categorischen, oder auf
keine Bedingungen gesetzten (§. 237.) Widerspruch
hat, und daher werden die Einschränkungen dessen,
was durch Kräfte möglich ist, schon durch die ein-
fachen Begriffe, ihre Grundsätze und Postulata be-
stimmet, (§. cit. und §. 225.). Da wir übrigens
zwischen dem, worinn in der That kein Widerspruch
ist, und zwischen dem, wo wir keinen bemerken, und
so auch zwischen dem, wo wir glauben, das keiner sey,
nicht immer so genau unterscheiden; so gebrauchen
wir das Wort möglich in allen diesen Fällen, und
nennen möglich, sowohl was in der That seyn kann,
als was wir noch unausgemacht lassen, oder worinn
wir nicht sogleich eine Unmöglichkeit sehen. Jm letzten

Falle
O 4

Das Seyn und das Nicht ſeyn.
ihre Grundſaͤtze und Poſtulata, fuͤr ſich nicht
widerſprechend ſind, und daher die erſte An-
lage zu den poſitiven Moͤglichkeiten geben,

welche in der Grundlehre um deſto mehr muͤſſen auf-
geſuchet werden, weil das Nicht ‒ widerſprechen nur
ein verneinendes Merkmal des Moͤglichen iſt. Man
ſehe, was wir oben (§. 19.) hieruͤber angemerket ha-
ben. Die erſt erwaͤhnte Grundlage zu poſitiven
Moͤglichkeiten iſt a priori, und kann der andern,
welche vom Wirklichen aufs Moͤgliche ſchließt,
in ſo fern entgegengeſetzt werden, als letztere a poſte-
riori
iſt, (§. 20.). Die unmittelbarſte Quelle aber
zu poſitiven Moͤglichkeiten, ſowohl
a priori als
a poſteriori, ſind die Kraͤfte, weil ohne dieſe nichts
geſchehen kann. Jn dieſer Abſicht iſt in der wirk-
lichen Welt alles das unmoͤglich, wozu die wirklich
darinn vorkommenden Kraͤfte, welche allerdings
auch, wie jedes uͤbrige in der Welt, beſtimmet ſind,
nicht ausreichen. Jm Reiche der Moͤglichkeit aber
gehen die Kraͤfte auf alles, was keinen abſoluten
oder im ſtrengſten Verſtande categoriſchen, oder auf
keine Bedingungen geſetzten (§. 237.) Widerſpruch
hat, und daher werden die Einſchraͤnkungen deſſen,
was durch Kraͤfte moͤglich iſt, ſchon durch die ein-
fachen Begriffe, ihre Grundſaͤtze und Poſtulata be-
ſtimmet, (§. cit. und §. 225.). Da wir uͤbrigens
zwiſchen dem, worinn in der That kein Widerſpruch
iſt, und zwiſchen dem, wo wir keinen bemerken, und
ſo auch zwiſchen dem, wo wir glauben, das keiner ſey,
nicht immer ſo genau unterſcheiden; ſo gebrauchen
wir das Wort moͤglich in allen dieſen Faͤllen, und
nennen moͤglich, ſowohl was in der That ſeyn kann,
als was wir noch unausgemacht laſſen, oder worinn
wir nicht ſogleich eine Unmoͤglichkeit ſehen. Jm letzten

Falle
O 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0251" n="215"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das Seyn und das Nicht &#x017F;eyn.</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">ihre Grund&#x017F;a&#x0364;tze und</hi><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Po&#x017F;tulata</hi>,</hi><hi rendition="#fr">fu&#x0364;r &#x017F;ich nicht<lb/>
wider&#x017F;prechend &#x017F;ind, und daher die er&#x017F;te An-<lb/>
lage zu den po&#x017F;itiven Mo&#x0364;glichkeiten geben,</hi><lb/>
welche in der Grundlehre um de&#x017F;to mehr mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en auf-<lb/>
ge&#x017F;uchet werden, weil das Nicht &#x2012; wider&#x017F;prechen nur<lb/>
ein verneinendes Merkmal des Mo&#x0364;glichen i&#x017F;t. Man<lb/>
&#x017F;ehe, was wir oben (§. 19.) hieru&#x0364;ber angemerket ha-<lb/>
ben. Die er&#x017F;t erwa&#x0364;hnte Grundlage zu po&#x017F;itiven<lb/>
Mo&#x0364;glichkeiten i&#x017F;t <hi rendition="#aq">a priori,</hi> und kann der andern,<lb/><hi rendition="#fr">welche vom Wirklichen aufs Mo&#x0364;gliche &#x017F;chließt,</hi><lb/>
in &#x017F;o fern entgegenge&#x017F;etzt werden, als letztere <hi rendition="#aq">a po&#x017F;te-<lb/>
riori</hi> i&#x017F;t, (§. 20.). <hi rendition="#fr">Die unmittelbar&#x017F;te Quelle aber<lb/>
zu po&#x017F;itiven Mo&#x0364;glichkeiten, &#x017F;owohl</hi> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">a priori</hi></hi> <hi rendition="#fr">als</hi><lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">a po&#x017F;teriori</hi>,</hi> <hi rendition="#fr">&#x017F;ind die Kra&#x0364;fte,</hi> weil ohne die&#x017F;e nichts<lb/><hi rendition="#fr">ge&#x017F;chehen</hi> kann. Jn die&#x017F;er Ab&#x017F;icht i&#x017F;t in der wirk-<lb/>
lichen Welt alles das unmo&#x0364;glich, wozu die wirklich<lb/>
darinn vorkommenden Kra&#x0364;fte, welche allerdings<lb/>
auch, wie jedes u&#x0364;brige in der Welt, be&#x017F;timmet &#x017F;ind,<lb/>
nicht ausreichen. Jm Reiche der Mo&#x0364;glichkeit aber<lb/>
gehen die Kra&#x0364;fte auf alles, was keinen ab&#x017F;oluten<lb/>
oder im &#x017F;treng&#x017F;ten Ver&#x017F;tande categori&#x017F;chen, oder auf<lb/>
keine Bedingungen ge&#x017F;etzten (§. 237.) Wider&#x017F;pruch<lb/>
hat, und daher werden die Ein&#x017F;chra&#x0364;nkungen de&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
was durch Kra&#x0364;fte mo&#x0364;glich i&#x017F;t, &#x017F;chon durch die ein-<lb/>
fachen Begriffe, ihre Grund&#x017F;a&#x0364;tze und <hi rendition="#aq">Po&#x017F;tulata</hi> be-<lb/>
&#x017F;timmet, (§. <hi rendition="#aq">cit.</hi> und §. 225.). Da wir u&#x0364;brigens<lb/>
zwi&#x017F;chen dem, worinn in der That kein Wider&#x017F;pruch<lb/>
i&#x017F;t, und zwi&#x017F;chen dem, wo wir keinen bemerken, und<lb/>
&#x017F;o auch zwi&#x017F;chen dem, wo wir glauben, das keiner &#x017F;ey,<lb/>
nicht immer &#x017F;o genau unter&#x017F;cheiden; &#x017F;o gebrauchen<lb/>
wir das Wort <hi rendition="#fr">mo&#x0364;glich</hi> in allen die&#x017F;en Fa&#x0364;llen, und<lb/>
nennen mo&#x0364;glich, &#x017F;owohl was in der That &#x017F;eyn kann,<lb/>
als was wir noch unausgemacht la&#x017F;&#x017F;en, oder worinn<lb/>
wir nicht &#x017F;ogleich eine Unmo&#x0364;glichkeit &#x017F;ehen. Jm letzten<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O 4</fw><fw place="bottom" type="catch">Falle</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[215/0251] Das Seyn und das Nicht ſeyn. ihre Grundſaͤtze und Poſtulata, fuͤr ſich nicht widerſprechend ſind, und daher die erſte An- lage zu den poſitiven Moͤglichkeiten geben, welche in der Grundlehre um deſto mehr muͤſſen auf- geſuchet werden, weil das Nicht ‒ widerſprechen nur ein verneinendes Merkmal des Moͤglichen iſt. Man ſehe, was wir oben (§. 19.) hieruͤber angemerket ha- ben. Die erſt erwaͤhnte Grundlage zu poſitiven Moͤglichkeiten iſt a priori, und kann der andern, welche vom Wirklichen aufs Moͤgliche ſchließt, in ſo fern entgegengeſetzt werden, als letztere a poſte- riori iſt, (§. 20.). Die unmittelbarſte Quelle aber zu poſitiven Moͤglichkeiten, ſowohl a priori als a poſteriori, ſind die Kraͤfte, weil ohne dieſe nichts geſchehen kann. Jn dieſer Abſicht iſt in der wirk- lichen Welt alles das unmoͤglich, wozu die wirklich darinn vorkommenden Kraͤfte, welche allerdings auch, wie jedes uͤbrige in der Welt, beſtimmet ſind, nicht ausreichen. Jm Reiche der Moͤglichkeit aber gehen die Kraͤfte auf alles, was keinen abſoluten oder im ſtrengſten Verſtande categoriſchen, oder auf keine Bedingungen geſetzten (§. 237.) Widerſpruch hat, und daher werden die Einſchraͤnkungen deſſen, was durch Kraͤfte moͤglich iſt, ſchon durch die ein- fachen Begriffe, ihre Grundſaͤtze und Poſtulata be- ſtimmet, (§. cit. und §. 225.). Da wir uͤbrigens zwiſchen dem, worinn in der That kein Widerſpruch iſt, und zwiſchen dem, wo wir keinen bemerken, und ſo auch zwiſchen dem, wo wir glauben, das keiner ſey, nicht immer ſo genau unterſcheiden; ſo gebrauchen wir das Wort moͤglich in allen dieſen Faͤllen, und nennen moͤglich, ſowohl was in der That ſeyn kann, als was wir noch unausgemacht laſſen, oder worinn wir nicht ſogleich eine Unmoͤglichkeit ſehen. Jm letzten Falle O 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/251
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/251>, abgerufen am 27.04.2024.