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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771.

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X. Hauptstück. Das Wahr seyn
Dingen selbst ist, die metaphysische Wahrheit,
welche daher den eigentlichen Unterschied wahrer Din-
ge von bloß erträumten Dingen ausmachet. Man
will dadurch überhaupt anzeigen, daß das Gedenk-
bare wirklich etwas sey.
Die Wahrheit in
den Dingen
machet nämlich das Gedenkbare nicht
nur von Seiten des denkenden Wesens, sondern
fürnehmlich von Seiten der Dinge selbst gedenkbar,
die dadurch vorgestellet werden. Es kömmt hiebey
auf die vorhin (§. 288.) angeführten drey Arten von
Möglichkeiten an. Denn wie wir die Wörter, wel-
che keinen möglichen, oder für sich gedenkbaren Be-
griff vorstellen, leere Töne nennen, so würden auch
die an sich gedenkbaren Begriffe leere, oder schlecht-
hin nur ideale Begriffe, oder leere Träume seyn,
wenn das, was sie dem denkenden Wesen vorstellen,
nicht wirklich Etwas wäre. Wir können es auch
so ausdrücken, daß wie die logische Wahrheit die
Gränzlinie zwischen dem bloß Symbolischen und dem
Gedenkbaren ist, eben so auch die metaphysische
Wahrheit die Gränzlinie zwischen dem bloß gedenk-
baren und dem wirklichen, oder realen, categori-
schen Etwas sey. Damit das Symbolische durch-
aus gedenkbar sey, ist es genug, daß die Wider-
sprüche und Lücken daraus wegbleiben. Hingegen,
soll das Gedenkbare wirklich Etwas vorstellen, so
muß zu dem bloßen Nicht -- widersprechen noch
etwas positives hinzukommen, und dieses ist das
existiren können. Das will nun sagen: So viel
man auch das Gedenkbare möglich nennen
will, so bleibt es nur in Absicht auf die Kräfte
des Verstandes möglich; an sich aber sind alle
diese Möglichkeiten Nichts, oder ein leerer
Traum, wenn die Möglichkeit zu existiren

nicht

X. Hauptſtuͤck. Das Wahr ſeyn
Dingen ſelbſt iſt, die metaphyſiſche Wahrheit,
welche daher den eigentlichen Unterſchied wahrer Din-
ge von bloß ertraͤumten Dingen ausmachet. Man
will dadurch uͤberhaupt anzeigen, daß das Gedenk-
bare wirklich etwas ſey.
Die Wahrheit in
den Dingen
machet naͤmlich das Gedenkbare nicht
nur von Seiten des denkenden Weſens, ſondern
fuͤrnehmlich von Seiten der Dinge ſelbſt gedenkbar,
die dadurch vorgeſtellet werden. Es koͤmmt hiebey
auf die vorhin (§. 288.) angefuͤhrten drey Arten von
Moͤglichkeiten an. Denn wie wir die Woͤrter, wel-
che keinen moͤglichen, oder fuͤr ſich gedenkbaren Be-
griff vorſtellen, leere Toͤne nennen, ſo wuͤrden auch
die an ſich gedenkbaren Begriffe leere, oder ſchlecht-
hin nur ideale Begriffe, oder leere Traͤume ſeyn,
wenn das, was ſie dem denkenden Weſen vorſtellen,
nicht wirklich Etwas waͤre. Wir koͤnnen es auch
ſo ausdruͤcken, daß wie die logiſche Wahrheit die
Graͤnzlinie zwiſchen dem bloß Symboliſchen und dem
Gedenkbaren iſt, eben ſo auch die metaphyſiſche
Wahrheit die Graͤnzlinie zwiſchen dem bloß gedenk-
baren und dem wirklichen, oder realen, categori-
ſchen Etwas ſey. Damit das Symboliſche durch-
aus gedenkbar ſey, iſt es genug, daß die Wider-
ſpruͤche und Luͤcken daraus wegbleiben. Hingegen,
ſoll das Gedenkbare wirklich Etwas vorſtellen, ſo
muß zu dem bloßen Nicht — widerſprechen noch
etwas poſitives hinzukommen, und dieſes iſt das
exiſtiren koͤnnen. Das will nun ſagen: So viel
man auch das Gedenkbare moͤglich nennen
will, ſo bleibt es nur in Abſicht auf die Kraͤfte
des Verſtandes moͤglich; an ſich aber ſind alle
dieſe Moͤglichkeiten Nichts, oder ein leerer
Traum, wenn die Moͤglichkeit zu exiſtiren

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[286/0322] X. Hauptſtuͤck. Das Wahr ſeyn Dingen ſelbſt iſt, die metaphyſiſche Wahrheit, welche daher den eigentlichen Unterſchied wahrer Din- ge von bloß ertraͤumten Dingen ausmachet. Man will dadurch uͤberhaupt anzeigen, daß das Gedenk- bare wirklich etwas ſey. Die Wahrheit in den Dingen machet naͤmlich das Gedenkbare nicht nur von Seiten des denkenden Weſens, ſondern fuͤrnehmlich von Seiten der Dinge ſelbſt gedenkbar, die dadurch vorgeſtellet werden. Es koͤmmt hiebey auf die vorhin (§. 288.) angefuͤhrten drey Arten von Moͤglichkeiten an. Denn wie wir die Woͤrter, wel- che keinen moͤglichen, oder fuͤr ſich gedenkbaren Be- griff vorſtellen, leere Toͤne nennen, ſo wuͤrden auch die an ſich gedenkbaren Begriffe leere, oder ſchlecht- hin nur ideale Begriffe, oder leere Traͤume ſeyn, wenn das, was ſie dem denkenden Weſen vorſtellen, nicht wirklich Etwas waͤre. Wir koͤnnen es auch ſo ausdruͤcken, daß wie die logiſche Wahrheit die Graͤnzlinie zwiſchen dem bloß Symboliſchen und dem Gedenkbaren iſt, eben ſo auch die metaphyſiſche Wahrheit die Graͤnzlinie zwiſchen dem bloß gedenk- baren und dem wirklichen, oder realen, categori- ſchen Etwas ſey. Damit das Symboliſche durch- aus gedenkbar ſey, iſt es genug, daß die Wider- ſpruͤche und Luͤcken daraus wegbleiben. Hingegen, ſoll das Gedenkbare wirklich Etwas vorſtellen, ſo muß zu dem bloßen Nicht — widerſprechen noch etwas poſitives hinzukommen, und dieſes iſt das exiſtiren koͤnnen. Das will nun ſagen: So viel man auch das Gedenkbare moͤglich nennen will, ſo bleibt es nur in Abſicht auf die Kraͤfte des Verſtandes moͤglich; an ſich aber ſind alle dieſe Moͤglichkeiten Nichts, oder ein leerer Traum, wenn die Moͤglichkeit zu exiſtiren nicht

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/322>, abgerufen am 29.04.2024.