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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771.

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X. Hauptstück. Das Wahr seyn
Kräfte noch mehrere Fälle angezeiget, wo metaphysi-
sche Wahrheit vorkömmt, welche wir hier nicht jede
besonders anführen wollen, weil auch die bisher an-
geführten hier eigentlich nur als Beyspiele vorkom-
men, dadurch überhaupt das Transcendente in der
metaphysischen Wahrheit gezeiget wird. Jch werde
demnach hier nur kurz berühren, daß das Wort
transcendent in der Metaphysic häufig gebraucht
wird. Es kann darinn nicht anders als metapho-
risch vorkommen, weil es eigentlich so viel als hin-
übersteigend
bedeutet. Wie fern es aber in der
Metaphysic so viel als wesentlich bedeute, und daher
z. E. transcendentaliter vnum durch wesentlich eines,
Veritas transcendentalis durch wesentliche Wahr-
heit,
Perfectio transcendentalis durch innere wesent-
liche Vollkommenheit
etc. übersetzet werden müsse,
habe ich nicht finden können. Soll aber das Wort
transcendent noch einen Abdruck seiner eigentlichen
Bedeutung behalten, so werden wir überhaupt einen
Begriff transcendent nennen können, wenn wir den-
selben von seinem Gegenstande hinweg auf einen Ge-
genstand von ganz verschiedener Art bringen. Und
in diesem Verstande ist der Begriff Wahrheit auf
eine gedoppelte Art transcendent, weil wir denselben
von den Sätzen auf die Begriffe, und von diesen auf
die Dinge selbst transferiren (§. 297.), und dadurch
die logische Wahrheit in die metaphysische verwan-
deln. Sodann wird letztere zugleich mit dem Be-
griffe der Kraft noch auf eine andere Art transcen-
dent, weil wir letztern aus der Körperwelt in die
Jntellectualwelt bringen, (§. 29. 299.). Man sieht
daraus, daß wir das Wort transcendent in beyden
Fällen nur als eine Benennung und als ein Prädicat
gebrauchen, und daß es auf eine ähnliche Art zu noch

mehrern

X. Hauptſtuͤck. Das Wahr ſeyn
Kraͤfte noch mehrere Faͤlle angezeiget, wo metaphyſi-
ſche Wahrheit vorkoͤmmt, welche wir hier nicht jede
beſonders anfuͤhren wollen, weil auch die bisher an-
gefuͤhrten hier eigentlich nur als Beyſpiele vorkom-
men, dadurch uͤberhaupt das Tranſcendente in der
metaphyſiſchen Wahrheit gezeiget wird. Jch werde
demnach hier nur kurz beruͤhren, daß das Wort
tranſcendent in der Metaphyſic haͤufig gebraucht
wird. Es kann darinn nicht anders als metapho-
riſch vorkommen, weil es eigentlich ſo viel als hin-
uͤberſteigend
bedeutet. Wie fern es aber in der
Metaphyſic ſo viel als weſentlich bedeute, und daher
z. E. tranſcendentaliter vnum durch weſentlich eines,
Veritas tranſcendentalis durch weſentliche Wahr-
heit,
Perfectio tranſcendentalis durch innere weſent-
liche Vollkommenheit
ꝛc. uͤberſetzet werden muͤſſe,
habe ich nicht finden koͤnnen. Soll aber das Wort
tranſcendent noch einen Abdruck ſeiner eigentlichen
Bedeutung behalten, ſo werden wir uͤberhaupt einen
Begriff tranſcendent nennen koͤnnen, wenn wir den-
ſelben von ſeinem Gegenſtande hinweg auf einen Ge-
genſtand von ganz verſchiedener Art bringen. Und
in dieſem Verſtande iſt der Begriff Wahrheit auf
eine gedoppelte Art tranſcendent, weil wir denſelben
von den Saͤtzen auf die Begriffe, und von dieſen auf
die Dinge ſelbſt transferiren (§. 297.), und dadurch
die logiſche Wahrheit in die metaphyſiſche verwan-
deln. Sodann wird letztere zugleich mit dem Be-
griffe der Kraft noch auf eine andere Art tranſcen-
dent, weil wir letztern aus der Koͤrperwelt in die
Jntellectualwelt bringen, (§. 29. 299.). Man ſieht
daraus, daß wir das Wort tranſcendent in beyden
Faͤllen nur als eine Benennung und als ein Praͤdicat
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mehrern
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[292/0328] X. Hauptſtuͤck. Das Wahr ſeyn Kraͤfte noch mehrere Faͤlle angezeiget, wo metaphyſi- ſche Wahrheit vorkoͤmmt, welche wir hier nicht jede beſonders anfuͤhren wollen, weil auch die bisher an- gefuͤhrten hier eigentlich nur als Beyſpiele vorkom- men, dadurch uͤberhaupt das Tranſcendente in der metaphyſiſchen Wahrheit gezeiget wird. Jch werde demnach hier nur kurz beruͤhren, daß das Wort tranſcendent in der Metaphyſic haͤufig gebraucht wird. Es kann darinn nicht anders als metapho- riſch vorkommen, weil es eigentlich ſo viel als hin- uͤberſteigend bedeutet. Wie fern es aber in der Metaphyſic ſo viel als weſentlich bedeute, und daher z. E. tranſcendentaliter vnum durch weſentlich eines, Veritas tranſcendentalis durch weſentliche Wahr- heit, Perfectio tranſcendentalis durch innere weſent- liche Vollkommenheit ꝛc. uͤberſetzet werden muͤſſe, habe ich nicht finden koͤnnen. Soll aber das Wort tranſcendent noch einen Abdruck ſeiner eigentlichen Bedeutung behalten, ſo werden wir uͤberhaupt einen Begriff tranſcendent nennen koͤnnen, wenn wir den- ſelben von ſeinem Gegenſtande hinweg auf einen Ge- genſtand von ganz verſchiedener Art bringen. Und in dieſem Verſtande iſt der Begriff Wahrheit auf eine gedoppelte Art tranſcendent, weil wir denſelben von den Saͤtzen auf die Begriffe, und von dieſen auf die Dinge ſelbſt transferiren (§. 297.), und dadurch die logiſche Wahrheit in die metaphyſiſche verwan- deln. Sodann wird letztere zugleich mit dem Be- griffe der Kraft noch auf eine andere Art tranſcen- dent, weil wir letztern aus der Koͤrperwelt in die Jntellectualwelt bringen, (§. 29. 299.). Man ſieht daraus, daß wir das Wort tranſcendent in beyden Faͤllen nur als eine Benennung und als ein Praͤdicat gebrauchen, und daß es auf eine aͤhnliche Art zu noch mehrern

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/328>, abgerufen am 29.04.2024.