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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

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von der wissenschaftlichen Erkenntniß.
durch Dinge anzeigen, die zusammengesetzt sind, so
kann auch leicht, wenigstens dem Schein nach, ein
Zirkel im Definiren vorgehen, und dieses ist desto
möglicher, wenn man nur einzelne Stücke der Erkennt-
niß in eine Theorie zu bringen vornimmt. Denn da
lassen sich allerdings Erklärungen machen, die ganz
anders angeordnet werden müßten, wenn man ein
solches Stück der Erkenntniß mit einem ganzen Lehr-
gebäude in Zusammenhang bringen wollte. Jn ein-
zeln Stücken
der Erkenntniß nimmt man Erfah-
rungsbegriffe
an, welche in dem ganzen Lehrge-
bäude als Lehrbegriffe
müßten aus einfachern zu-
sammengesetzt und erwiesen werden. Man geht daher
nicht so strenge a priori, und die Hauptsache kömmt
darauf an, daß die angenommenen Erfahrungs-
begriffe wirklich als solche angenommen wer-
den, das ist, daß man die Erfahrungen auf-
weisen könne, aus welchen man solche Begriffe
hat, und bey welchen sie sich durch die un-
mittelbare Empfindung und das Bewußtseyn
derselben erlangen lassen.
Thut man dieses, so
mag es in solchen einzeln Stücken oder Fragmenten
der Erkenntniß angehen, daß man einfachere Begriffe
durch ihr Verhältniß zu den zusammengesetztern be-
stimme, und folglich diese jenen vorgehen lasse, unge-
achtet die strengere Ordnung das Gegentheil erforderte.
Da man demnach hiebey eine größere Auswahl be-
hält, so ist auch leicht zu begreifen, warum solche
Fragmente leichter in einen ihnen eignen Zusammen-
hang, als aber in den Zusammenhang eines ganzen
Lehrgebäudes gebracht werden können. Da aber die
erste Anlage dazu Erfahrungsbegriffe sind, und meh-
rere darinn vorkommen, so fordern sie desto mehrere
Beweise a posteriori. Man sieht hieraus, wohin

das
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von der wiſſenſchaftlichen Erkenntniß.
durch Dinge anzeigen, die zuſammengeſetzt ſind, ſo
kann auch leicht, wenigſtens dem Schein nach, ein
Zirkel im Definiren vorgehen, und dieſes iſt deſto
moͤglicher, wenn man nur einzelne Stuͤcke der Erkennt-
niß in eine Theorie zu bringen vornimmt. Denn da
laſſen ſich allerdings Erklaͤrungen machen, die ganz
anders angeordnet werden muͤßten, wenn man ein
ſolches Stuͤck der Erkenntniß mit einem ganzen Lehr-
gebaͤude in Zuſammenhang bringen wollte. Jn ein-
zeln Stuͤcken
der Erkenntniß nimmt man Erfah-
rungsbegriffe
an, welche in dem ganzen Lehrge-
baͤude als Lehrbegriffe
muͤßten aus einfachern zu-
ſammengeſetzt und erwieſen werden. Man geht daher
nicht ſo ſtrenge a priori, und die Hauptſache koͤmmt
darauf an, daß die angenommenen Erfahrungs-
begriffe wirklich als ſolche angenommen wer-
den, das iſt, daß man die Erfahrungen auf-
weiſen koͤnne, aus welchen man ſolche Begriffe
hat, und bey welchen ſie ſich durch die un-
mittelbare Empfindung und das Bewußtſeyn
derſelben erlangen laſſen.
Thut man dieſes, ſo
mag es in ſolchen einzeln Stuͤcken oder Fragmenten
der Erkenntniß angehen, daß man einfachere Begriffe
durch ihr Verhaͤltniß zu den zuſammengeſetztern be-
ſtimme, und folglich dieſe jenen vorgehen laſſe, unge-
achtet die ſtrengere Ordnung das Gegentheil erforderte.
Da man demnach hiebey eine groͤßere Auswahl be-
haͤlt, ſo iſt auch leicht zu begreifen, warum ſolche
Fragmente leichter in einen ihnen eignen Zuſammen-
hang, als aber in den Zuſammenhang eines ganzen
Lehrgebaͤudes gebracht werden koͤnnen. Da aber die
erſte Anlage dazu Erfahrungsbegriffe ſind, und meh-
rere darinn vorkommen, ſo fordern ſie deſto mehrere
Beweiſe a poſteriori. Man ſieht hieraus, wohin

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[439/0461] von der wiſſenſchaftlichen Erkenntniß. durch Dinge anzeigen, die zuſammengeſetzt ſind, ſo kann auch leicht, wenigſtens dem Schein nach, ein Zirkel im Definiren vorgehen, und dieſes iſt deſto moͤglicher, wenn man nur einzelne Stuͤcke der Erkennt- niß in eine Theorie zu bringen vornimmt. Denn da laſſen ſich allerdings Erklaͤrungen machen, die ganz anders angeordnet werden muͤßten, wenn man ein ſolches Stuͤck der Erkenntniß mit einem ganzen Lehr- gebaͤude in Zuſammenhang bringen wollte. Jn ein- zeln Stuͤcken der Erkenntniß nimmt man Erfah- rungsbegriffe an, welche in dem ganzen Lehrge- baͤude als Lehrbegriffe muͤßten aus einfachern zu- ſammengeſetzt und erwieſen werden. Man geht daher nicht ſo ſtrenge a priori, und die Hauptſache koͤmmt darauf an, daß die angenommenen Erfahrungs- begriffe wirklich als ſolche angenommen wer- den, das iſt, daß man die Erfahrungen auf- weiſen koͤnne, aus welchen man ſolche Begriffe hat, und bey welchen ſie ſich durch die un- mittelbare Empfindung und das Bewußtſeyn derſelben erlangen laſſen. Thut man dieſes, ſo mag es in ſolchen einzeln Stuͤcken oder Fragmenten der Erkenntniß angehen, daß man einfachere Begriffe durch ihr Verhaͤltniß zu den zuſammengeſetztern be- ſtimme, und folglich dieſe jenen vorgehen laſſe, unge- achtet die ſtrengere Ordnung das Gegentheil erforderte. Da man demnach hiebey eine groͤßere Auswahl be- haͤlt, ſo iſt auch leicht zu begreifen, warum ſolche Fragmente leichter in einen ihnen eignen Zuſammen- hang, als aber in den Zuſammenhang eines ganzen Lehrgebaͤudes gebracht werden koͤnnen. Da aber die erſte Anlage dazu Erfahrungsbegriffe ſind, und meh- rere darinn vorkommen, ſo fordern ſie deſto mehrere Beweiſe a poſteriori. Man ſieht hieraus, wohin das E e 4

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/461>, abgerufen am 27.04.2024.