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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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X. H. Vom Hypothetischen der Sprache.
Sprache Wörter habe, welche man zu der Definition
gebrauchen müßte, und die den behörigen Umfang in
der Bedeutung haben. Trift dieses schicklich zu, so ist
es sehr gelegentlich, weil man die Sprache nehmen
muß, wie man sie findet. Findet man aber dergleichen,
so sind dennoch solche Nominaldefinitionen öfters nichts
anders als bloße Bestimmungen der Bedeutung des
Wortes, und woferne dabey nicht die Sache selbst im
Ganzen zum Grunde liegt, so sieht es damit noch miß-
licher aus. Denn da entsteht der Begriff, den
man mit dem Worte verbindet, aus den Re-
densarten, in welchen das Wort gebraucht
wird, und man richtet die Definition so ein,
daß sie diesen Redensarten und Sätzen nicht
zuwiderlaufe.
Diese Sätze werden demnach bereits
vorausgesetzt, weil sie der Grund sind, warum man die
Definition vielmehr so als anders einrichtet. Leitet man
sie demnach nachgehends aus der Definition her, so ist
klar, daß dieses höchstens nur in der Absicht geschehen
könne, um die Definition dadurch wie auf die Probe
zu setzen, nicht aber um diese Sätze daraus zu beweisen,
als welches ein logischer Circul wäre. Von dieser Art
ist z. E. der ontologische Satz: Modi possunt adesse
et abesse salua rei essentia.
Denn die darinn ange-
zeigte Möglichkeit wird vorausgesetzt, wenn man die
Begriffe des Wesens und der Modificationen defi-
niren und die Definitionen beweisen will (Dianoiol.
§. 23. 22.). Und überhaupt will dieser Satz nicht mehr
sagen, als daß wir den Sachen einerley Namen beybe-
halten, ohne auf gewisse kleinere Veränderungen zu se-
hen, die sie leiden. Und dieses thun wir theils zur Ab-
kürzung der Sprache, theils zum Behufe des Gedächt-
nisses, theils auch weil die Veränderungen uns nicht
immer in die Sinnen fallen, und mehrentheils auch der
Zeit nach durch unmerkliche Stuffen gehen.



Phäno-

X. H. Vom Hypothetiſchen der Sprache.
Sprache Woͤrter habe, welche man zu der Definition
gebrauchen muͤßte, und die den behoͤrigen Umfang in
der Bedeutung haben. Trift dieſes ſchicklich zu, ſo iſt
es ſehr gelegentlich, weil man die Sprache nehmen
muß, wie man ſie findet. Findet man aber dergleichen,
ſo ſind dennoch ſolche Nominaldefinitionen oͤfters nichts
anders als bloße Beſtimmungen der Bedeutung des
Wortes, und woferne dabey nicht die Sache ſelbſt im
Ganzen zum Grunde liegt, ſo ſieht es damit noch miß-
licher aus. Denn da entſteht der Begriff, den
man mit dem Worte verbindet, aus den Re-
densarten, in welchen das Wort gebraucht
wird, und man richtet die Definition ſo ein,
daß ſie dieſen Redensarten und Saͤtzen nicht
zuwiderlaufe.
Dieſe Saͤtze werden demnach bereits
vorausgeſetzt, weil ſie der Grund ſind, warum man die
Definition vielmehr ſo als anders einrichtet. Leitet man
ſie demnach nachgehends aus der Definition her, ſo iſt
klar, daß dieſes hoͤchſtens nur in der Abſicht geſchehen
koͤnne, um die Definition dadurch wie auf die Probe
zu ſetzen, nicht aber um dieſe Saͤtze daraus zu beweiſen,
als welches ein logiſcher Circul waͤre. Von dieſer Art
iſt z. E. der ontologiſche Satz: Modi poſſunt adeſſe
et abeſſe ſalua rei eſſentia.
Denn die darinn ange-
zeigte Moͤglichkeit wird vorausgeſetzt, wenn man die
Begriffe des Weſens und der Modificationen defi-
niren und die Definitionen beweiſen will (Dianoiol.
§. 23. 22.). Und uͤberhaupt will dieſer Satz nicht mehr
ſagen, als daß wir den Sachen einerley Namen beybe-
halten, ohne auf gewiſſe kleinere Veraͤnderungen zu ſe-
hen, die ſie leiden. Und dieſes thun wir theils zur Ab-
kuͤrzung der Sprache, theils zum Behufe des Gedaͤcht-
niſſes, theils auch weil die Veraͤnderungen uns nicht
immer in die Sinnen fallen, und mehrentheils auch der
Zeit nach durch unmerkliche Stuffen gehen.



Phaͤno-
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[214/0220] X. H. Vom Hypothetiſchen der Sprache. Sprache Woͤrter habe, welche man zu der Definition gebrauchen muͤßte, und die den behoͤrigen Umfang in der Bedeutung haben. Trift dieſes ſchicklich zu, ſo iſt es ſehr gelegentlich, weil man die Sprache nehmen muß, wie man ſie findet. Findet man aber dergleichen, ſo ſind dennoch ſolche Nominaldefinitionen oͤfters nichts anders als bloße Beſtimmungen der Bedeutung des Wortes, und woferne dabey nicht die Sache ſelbſt im Ganzen zum Grunde liegt, ſo ſieht es damit noch miß- licher aus. Denn da entſteht der Begriff, den man mit dem Worte verbindet, aus den Re- densarten, in welchen das Wort gebraucht wird, und man richtet die Definition ſo ein, daß ſie dieſen Redensarten und Saͤtzen nicht zuwiderlaufe. Dieſe Saͤtze werden demnach bereits vorausgeſetzt, weil ſie der Grund ſind, warum man die Definition vielmehr ſo als anders einrichtet. Leitet man ſie demnach nachgehends aus der Definition her, ſo iſt klar, daß dieſes hoͤchſtens nur in der Abſicht geſchehen koͤnne, um die Definition dadurch wie auf die Probe zu ſetzen, nicht aber um dieſe Saͤtze daraus zu beweiſen, als welches ein logiſcher Circul waͤre. Von dieſer Art iſt z. E. der ontologiſche Satz: Modi poſſunt adeſſe et abeſſe ſalua rei eſſentia. Denn die darinn ange- zeigte Moͤglichkeit wird vorausgeſetzt, wenn man die Begriffe des Weſens und der Modificationen defi- niren und die Definitionen beweiſen will (Dianoiol. §. 23. 22.). Und uͤberhaupt will dieſer Satz nicht mehr ſagen, als daß wir den Sachen einerley Namen beybe- halten, ohne auf gewiſſe kleinere Veraͤnderungen zu ſe- hen, die ſie leiden. Und dieſes thun wir theils zur Ab- kuͤrzung der Sprache, theils zum Behufe des Gedaͤcht- niſſes, theils auch weil die Veraͤnderungen uns nicht immer in die Sinnen fallen, und mehrentheils auch der Zeit nach durch unmerkliche Stuffen gehen. Phaͤno-

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/220>, abgerufen am 29.04.2024.