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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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II. Hauptstück.
müssen sie alles gelten lassen, was davon erwiesen wird,
wenn man die Bedingung ändert, und sie als real an-
nimmt, und statt der leeren Einbildung von realen Em-
pfindungen und Vorstellungen redet.

§. 36. Wir halten uns aber hier bey dieser idealisti-
schen Sprache nicht auf, sondern nehmen die Frage, wie
wir sie vorgetragen haben, um theils die Wege zu ihrer
Auflösung anzuzeigen, theils auch einzelne Fälle zu
durchgehen, worinn ihre Erörterung stuffenweise leichter
oder schwerer ist. Da der organische Schein schlecht-
hin subjectiv ist (§. 20. 23.) so gilt von demselben über-
haupt alles, was von dem subjectiven Schein kann ge-
sagt werden. Er dehnt sich nämlich zugleich, und so
lange die Ursache in uns fortwirkt, auf mehrere Objecte
aus. So scheinen einem Gelbsüchtigen jede Dinge an-
ders gefärbt, dem Schwindelnden scheint alles sich um-
zudrehen, und in verdrüßlichen Stunden ärgert, was man
sonst selbst befehlen oder zulassen würde.

§. 37. Eine Hauptclasse des organischen Scheins
sind die Träume. Sie werden zwar bey dem Aufwa-
chen fast immer leicht als Träume erkennt, die wenigen
Fälle ausgenommen, wo man es sich fast nicht ausre-
den kann. Die meisten Träume haben an sich etwas
Ungereimtes, und das sich in den Zusammenhang der
Welt nicht schickt. Oefters findet man des Morgens
die Sachen noch, wie sie vor dem Einschlasen waren,
und versichert sich dadurch, daß die gefürchtete oder ge-
wünschte Aenderung nicht in der Natur vorgegangen,
fondern nur erträumt gewesen sey. Zuweilen hat man
auch im Traum selbst ein dunkles Bewußtseyn, daß
man träume. Und die Versicherung, daß man kein
Nachtwandler sey, und daß man nur eine Nacht ge-
schlafen, macht bey dem Aufwachen alle Träume kennt-
lich, wobey man hätte auf seyn oder viele Tage zubrin-
gen müssen. Bey jeden Träumen finden sich Lücken,

die

II. Hauptſtuͤck.
muͤſſen ſie alles gelten laſſen, was davon erwieſen wird,
wenn man die Bedingung aͤndert, und ſie als real an-
nimmt, und ſtatt der leeren Einbildung von realen Em-
pfindungen und Vorſtellungen redet.

§. 36. Wir halten uns aber hier bey dieſer idealiſti-
ſchen Sprache nicht auf, ſondern nehmen die Frage, wie
wir ſie vorgetragen haben, um theils die Wege zu ihrer
Aufloͤſung anzuzeigen, theils auch einzelne Faͤlle zu
durchgehen, worinn ihre Eroͤrterung ſtuffenweiſe leichter
oder ſchwerer iſt. Da der organiſche Schein ſchlecht-
hin ſubjectiv iſt (§. 20. 23.) ſo gilt von demſelben uͤber-
haupt alles, was von dem ſubjectiven Schein kann ge-
ſagt werden. Er dehnt ſich naͤmlich zugleich, und ſo
lange die Urſache in uns fortwirkt, auf mehrere Objecte
aus. So ſcheinen einem Gelbſuͤchtigen jede Dinge an-
ders gefaͤrbt, dem Schwindelnden ſcheint alles ſich um-
zudrehen, und in verdruͤßlichen Stunden aͤrgert, was man
ſonſt ſelbſt befehlen oder zulaſſen wuͤrde.

§. 37. Eine Hauptclaſſe des organiſchen Scheins
ſind die Traͤume. Sie werden zwar bey dem Aufwa-
chen faſt immer leicht als Traͤume erkennt, die wenigen
Faͤlle ausgenommen, wo man es ſich faſt nicht ausre-
den kann. Die meiſten Traͤume haben an ſich etwas
Ungereimtes, und das ſich in den Zuſammenhang der
Welt nicht ſchickt. Oefters findet man des Morgens
die Sachen noch, wie ſie vor dem Einſchlaſen waren,
und verſichert ſich dadurch, daß die gefuͤrchtete oder ge-
wuͤnſchte Aenderung nicht in der Natur vorgegangen,
fondern nur ertraͤumt geweſen ſey. Zuweilen hat man
auch im Traum ſelbſt ein dunkles Bewußtſeyn, daß
man traͤume. Und die Verſicherung, daß man kein
Nachtwandler ſey, und daß man nur eine Nacht ge-
ſchlafen, macht bey dem Aufwachen alle Traͤume kennt-
lich, wobey man haͤtte auf ſeyn oder viele Tage zubrin-
gen muͤſſen. Bey jeden Traͤumen finden ſich Luͤcken,

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[238/0244] II. Hauptſtuͤck. muͤſſen ſie alles gelten laſſen, was davon erwieſen wird, wenn man die Bedingung aͤndert, und ſie als real an- nimmt, und ſtatt der leeren Einbildung von realen Em- pfindungen und Vorſtellungen redet. §. 36. Wir halten uns aber hier bey dieſer idealiſti- ſchen Sprache nicht auf, ſondern nehmen die Frage, wie wir ſie vorgetragen haben, um theils die Wege zu ihrer Aufloͤſung anzuzeigen, theils auch einzelne Faͤlle zu durchgehen, worinn ihre Eroͤrterung ſtuffenweiſe leichter oder ſchwerer iſt. Da der organiſche Schein ſchlecht- hin ſubjectiv iſt (§. 20. 23.) ſo gilt von demſelben uͤber- haupt alles, was von dem ſubjectiven Schein kann ge- ſagt werden. Er dehnt ſich naͤmlich zugleich, und ſo lange die Urſache in uns fortwirkt, auf mehrere Objecte aus. So ſcheinen einem Gelbſuͤchtigen jede Dinge an- ders gefaͤrbt, dem Schwindelnden ſcheint alles ſich um- zudrehen, und in verdruͤßlichen Stunden aͤrgert, was man ſonſt ſelbſt befehlen oder zulaſſen wuͤrde. §. 37. Eine Hauptclaſſe des organiſchen Scheins ſind die Traͤume. Sie werden zwar bey dem Aufwa- chen faſt immer leicht als Traͤume erkennt, die wenigen Faͤlle ausgenommen, wo man es ſich faſt nicht ausre- den kann. Die meiſten Traͤume haben an ſich etwas Ungereimtes, und das ſich in den Zuſammenhang der Welt nicht ſchickt. Oefters findet man des Morgens die Sachen noch, wie ſie vor dem Einſchlaſen waren, und verſichert ſich dadurch, daß die gefuͤrchtete oder ge- wuͤnſchte Aenderung nicht in der Natur vorgegangen, fondern nur ertraͤumt geweſen ſey. Zuweilen hat man auch im Traum ſelbſt ein dunkles Bewußtſeyn, daß man traͤume. Und die Verſicherung, daß man kein Nachtwandler ſey, und daß man nur eine Nacht ge- ſchlafen, macht bey dem Aufwachen alle Traͤume kennt- lich, wobey man haͤtte auf ſeyn oder viele Tage zubrin- gen muͤſſen. Bey jeden Traͤumen finden ſich Luͤcken, die

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/244>, abgerufen am 27.04.2024.