von jeder ist. Man wird in den cosmologischen Briefen über die Einrichtung des Weltbaues ähnliche Betrachtungen über die Vertheilung und Lage der Cometenbahnen um die Sonne, und hieher dienende Anmerkungen über die dabey angebrachte Lehre der Wahrscheinlichkeit finden.
§. 160. Wir haben bisher das Abzählen der Fälle, es mag nun a priori oder a posteriori gesche- hen, so genommen, daß man dabey alle Sorgfalt an- wendet, folglich wenn man sie aus der Erfahrung nimmt, dieselbe aufzeichnet, oder wenn man sie aus der Natur der Sache bestimmt, die Regeln der Combination und Permutation dabey gebraucht, und die Sache deutlich aus einander setzt. Lassen wir es aber in Ansehung der Erfahrungen schlechthin auf das Gedächtniß ankom- men, so kann es unvermerkt geschehen, daß wir uns von der Oefternheit oder Seltenheit einer jeden Art von Fällen, und daher auch von dem Grade ihrer Wahr- scheinlichkeit einen Begriff machen, und diesen Grad et- wan wohl auch auf Zahlen setzen. So gebrauchen wir die Ausdrücke: unter tausend kaum einer, sehr wenige, die meisten, gar oft, selten, häufig etc. wodurch wir den Particularsätzen nähere Bestimmun- gen geben. Auf eine ähnliche Art, wenn uns die Ur- sachen bekannt sind, die zu jeder Classe von Fällen er- fordert werden, können wir uns aus Betrachtung der- selben einen beyläufigen Begriff machen, ob die Fälle häufiger oder seltener vorkommen. Die Anzahl und Mannichfaltigkeit der Umstände und Ursachen, die zu- sammentreffen müssen, trägt zu dieser Bestimmung viel bey. So z. E. kann ich aus der Erfahrung wissen, daß Titius oft zu dem Cajo geht, wenn ich ihn näm- lich oft hingehen sehe. Weiß ich aber, daß er Geschäff- te halber oft zu ihm gehen muß, so ist mir die Erfah- rung dabey unnöthig, so bald ich weiß, daß keine dauer-
hafte
X 4
Von dem Wahrſcheinlichen.
von jeder iſt. Man wird in den coſmologiſchen Briefen uͤber die Einrichtung des Weltbaues aͤhnliche Betrachtungen uͤber die Vertheilung und Lage der Cometenbahnen um die Sonne, und hieher dienende Anmerkungen uͤber die dabey angebrachte Lehre der Wahrſcheinlichkeit finden.
§. 160. Wir haben bisher das Abzaͤhlen der Faͤlle, es mag nun a priori oder a poſteriori geſche- hen, ſo genommen, daß man dabey alle Sorgfalt an- wendet, folglich wenn man ſie aus der Erfahrung nimmt, dieſelbe aufzeichnet, oder wenn man ſie aus der Natur der Sache beſtimmt, die Regeln der Combination und Permutation dabey gebraucht, und die Sache deutlich aus einander ſetzt. Laſſen wir es aber in Anſehung der Erfahrungen ſchlechthin auf das Gedaͤchtniß ankom- men, ſo kann es unvermerkt geſchehen, daß wir uns von der Oefternheit oder Seltenheit einer jeden Art von Faͤllen, und daher auch von dem Grade ihrer Wahr- ſcheinlichkeit einen Begriff machen, und dieſen Grad et- wan wohl auch auf Zahlen ſetzen. So gebrauchen wir die Ausdruͤcke: unter tauſend kaum einer, ſehr wenige, die meiſten, gar oft, ſelten, haͤufig ꝛc. wodurch wir den Particularſaͤtzen naͤhere Beſtimmun- gen geben. Auf eine aͤhnliche Art, wenn uns die Ur- ſachen bekannt ſind, die zu jeder Claſſe von Faͤllen er- fordert werden, koͤnnen wir uns aus Betrachtung der- ſelben einen beylaͤufigen Begriff machen, ob die Faͤlle haͤufiger oder ſeltener vorkommen. Die Anzahl und Mannichfaltigkeit der Umſtaͤnde und Urſachen, die zu- ſammentreffen muͤſſen, traͤgt zu dieſer Beſtimmung viel bey. So z. E. kann ich aus der Erfahrung wiſſen, daß Titius oft zu dem Cajo geht, wenn ich ihn naͤm- lich oft hingehen ſehe. Weiß ich aber, daß er Geſchaͤff- te halber oft zu ihm gehen muß, ſo iſt mir die Erfah- rung dabey unnoͤthig, ſo bald ich weiß, daß keine dauer-
hafte
X 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0333"n="327"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Von dem Wahrſcheinlichen.</hi></fw><lb/>
von jeder iſt. Man wird in den <hirendition="#fr">coſmologiſchen<lb/>
Briefen uͤber die Einrichtung des Weltbaues</hi><lb/>
aͤhnliche Betrachtungen uͤber die Vertheilung und Lage<lb/>
der Cometenbahnen um die Sonne, und hieher dienende<lb/>
Anmerkungen uͤber die dabey angebrachte Lehre der<lb/>
Wahrſcheinlichkeit finden.</p><lb/><p>§. 160. Wir haben bisher das <hirendition="#fr">Abzaͤhlen der<lb/>
Faͤlle,</hi> es mag nun <hirendition="#aq">a priori</hi> oder <hirendition="#aq">a poſteriori</hi> geſche-<lb/>
hen, ſo genommen, daß man dabey alle Sorgfalt an-<lb/>
wendet, folglich wenn man ſie aus der Erfahrung nimmt,<lb/>
dieſelbe aufzeichnet, oder wenn man ſie aus der Natur<lb/>
der Sache beſtimmt, die Regeln der Combination und<lb/>
Permutation dabey gebraucht, und die Sache deutlich<lb/>
aus einander ſetzt. Laſſen wir es aber in Anſehung der<lb/>
Erfahrungen ſchlechthin auf das Gedaͤchtniß ankom-<lb/>
men, ſo kann es unvermerkt geſchehen, daß wir uns<lb/>
von der Oefternheit oder Seltenheit einer jeden Art von<lb/>
Faͤllen, und daher auch von dem Grade ihrer Wahr-<lb/>ſcheinlichkeit einen Begriff machen, und dieſen Grad et-<lb/>
wan wohl auch auf Zahlen ſetzen. So gebrauchen wir<lb/>
die Ausdruͤcke: <hirendition="#fr">unter tauſend kaum einer, ſehr<lb/>
wenige, die meiſten, gar oft, ſelten, haͤufig</hi>ꝛc.<lb/>
wodurch wir den Particularſaͤtzen naͤhere Beſtimmun-<lb/>
gen geben. Auf eine aͤhnliche Art, wenn uns die Ur-<lb/>ſachen bekannt ſind, die zu jeder Claſſe von Faͤllen er-<lb/>
fordert werden, koͤnnen wir uns aus Betrachtung der-<lb/>ſelben einen beylaͤufigen Begriff machen, ob die Faͤlle<lb/>
haͤufiger oder ſeltener vorkommen. Die Anzahl und<lb/>
Mannichfaltigkeit der Umſtaͤnde und Urſachen, die zu-<lb/>ſammentreffen muͤſſen, traͤgt zu dieſer Beſtimmung viel<lb/>
bey. So z. E. kann ich aus der Erfahrung wiſſen,<lb/>
daß <hirendition="#fr">Titius</hi> oft zu dem <hirendition="#fr">Cajo</hi> geht, wenn ich ihn naͤm-<lb/>
lich oft hingehen ſehe. Weiß ich aber, daß er Geſchaͤff-<lb/>
te halber oft zu ihm gehen muß, ſo iſt mir die Erfah-<lb/>
rung dabey unnoͤthig, ſo bald ich weiß, daß keine dauer-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">X 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">hafte</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[327/0333]
Von dem Wahrſcheinlichen.
von jeder iſt. Man wird in den coſmologiſchen
Briefen uͤber die Einrichtung des Weltbaues
aͤhnliche Betrachtungen uͤber die Vertheilung und Lage
der Cometenbahnen um die Sonne, und hieher dienende
Anmerkungen uͤber die dabey angebrachte Lehre der
Wahrſcheinlichkeit finden.
§. 160. Wir haben bisher das Abzaͤhlen der
Faͤlle, es mag nun a priori oder a poſteriori geſche-
hen, ſo genommen, daß man dabey alle Sorgfalt an-
wendet, folglich wenn man ſie aus der Erfahrung nimmt,
dieſelbe aufzeichnet, oder wenn man ſie aus der Natur
der Sache beſtimmt, die Regeln der Combination und
Permutation dabey gebraucht, und die Sache deutlich
aus einander ſetzt. Laſſen wir es aber in Anſehung der
Erfahrungen ſchlechthin auf das Gedaͤchtniß ankom-
men, ſo kann es unvermerkt geſchehen, daß wir uns
von der Oefternheit oder Seltenheit einer jeden Art von
Faͤllen, und daher auch von dem Grade ihrer Wahr-
ſcheinlichkeit einen Begriff machen, und dieſen Grad et-
wan wohl auch auf Zahlen ſetzen. So gebrauchen wir
die Ausdruͤcke: unter tauſend kaum einer, ſehr
wenige, die meiſten, gar oft, ſelten, haͤufig ꝛc.
wodurch wir den Particularſaͤtzen naͤhere Beſtimmun-
gen geben. Auf eine aͤhnliche Art, wenn uns die Ur-
ſachen bekannt ſind, die zu jeder Claſſe von Faͤllen er-
fordert werden, koͤnnen wir uns aus Betrachtung der-
ſelben einen beylaͤufigen Begriff machen, ob die Faͤlle
haͤufiger oder ſeltener vorkommen. Die Anzahl und
Mannichfaltigkeit der Umſtaͤnde und Urſachen, die zu-
ſammentreffen muͤſſen, traͤgt zu dieſer Beſtimmung viel
bey. So z. E. kann ich aus der Erfahrung wiſſen,
daß Titius oft zu dem Cajo geht, wenn ich ihn naͤm-
lich oft hingehen ſehe. Weiß ich aber, daß er Geſchaͤff-
te halber oft zu ihm gehen muß, ſo iſt mir die Erfah-
rung dabey unnoͤthig, ſo bald ich weiß, daß keine dauer-
hafte
X 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/333>, abgerufen am 01.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.