[Spaltenumbruch]
mit ihnen hatte, so muste er ihnen auch gleich werden kata panta, in allen Stücken, die zur menschlichen Natur gehören, dazu sonderlich zu rechnen sind diejenigen Eigenschaften, nach wel- chen Christus konnte auf mancherley Art versu- chet und verfolget, und endlich gar dem Tode übergeben werden. Daß die Sünde davon ausgenommen, weiß man aus der Eigenschaft seiner Person: und solches bezeuget Pauius aus- drücklich c. 4, 15. Siehe Phil. 2, 7.
3. Und diese Gleichheit der Brüder ge- hörete zu der Ordnung, in welcher er sich konnte gegen sie recht mitleidig und barmhertzig erwei- sen. Zwar konnte er als wahrer GOTT ge- nugsam wissen, wie elend es um das menschliche Geschlecht stehe; er konnte auch seine barmher- tzigkeit gegen dasselbe fühlen und sehen lassen: allein ohne die wirckliche Menschwerdung, da- durch er selbst in den Orden der Menschen ge- treten, konte er solche nicht so nachdrücklich be- zeugen, und die Menschen hätten sich ohne die- selbe die Erbarmung Christi nicht so beweglich vorstellen können. Darum hier Paulus c. 4, 15. mit Recht also schreibet: Wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte Mit- leiden haben mit unserer Schwachheit, son- dern der versuchet ist allenthalben, gleich- wie wir, doch ohne Sünde.
4. Es ging zwar das gantze Levitische Prie- sterthum auf Christum; wie denn ein jeglicher Priester ein Vorbild auf Christum war, für- nemlich aber war es der Hohepriester, sonder- lich mit seinen Verrichtungen am jährlichen ho- hen Versöhnungs-Feste, nach 3 B. Mos. 17. als da er unter andern mit dem Opfer-Blute ins Al- lerheiligste einging, und mit dessen Sprengung das Volck versöhnete.
5. Die Treue des Hohenpriesters hat sich darinnen erwiesen, daß er sich, vermöge der von ihme geschehenen Bürgschaft und der von der Erlösung gegebenen Verheissung, zur bestimm- ten Zeit dazu eingestellet, Mensch worden und das Werck der Wiederbringung nicht allein an- gefangen und fortgesetzet, sondern auch zum völ- ligen Siege vollendet hat. Und diese Treue be- weiset unser Heyland noch bis auf diesen Tag gegen alle seine gläubigen Glieder, also daß, da er ihnen sein Versöhnopfer durch die kräftige Wirckung des Heiligen Geistes appliciret, sie sich sicherlich auf ihn verlassen können.
6. Ta pros ton theon, heißt: Was antrift solche Sachen, welche für das menschliche Geschlecht bey GOtt zu verrichten und ab- zuthun waren: Welche da sonderlich in der durch die Sünde geschehenen Trennung von GOTT und in der damit verknüpften Feind- schaft wider GOTT bestunden. Daher denn eine Versöhnung nöthig war: welcher der Apo- stel darauf ausdrücklich gedencket.
7. Diese Versöhnung bestunde nun dar- inn, daß Christus, als der Hohepriester, sich selbst zum Opfer dargestellet, die Sünde des gantzen menschlichen Geschlechts der Schuld und Strafe nach auf sich genommen, und wie durch seinen [Spaltenumbruch]
vollkommenen Gehorsam unsere Schuldigkeit, debita nostra, also auch durch sein Leiden und Sterben unsere Schuld, culpam, und Strafe in seiner eigenen Person abgetragen, und damit im Göttlichen Gerichte der unwandelbaren Straf-Gerechtigkeit GOttes ein Genügen ge- than, und solchergestalt das Gesetz erfüllet, GOtt versöhnet und GOttes Gnade erworben hat, und uns seine Gerechtigkeit, um damit vor GOtt zu bestehen, geschencket. Welches denn heißt, daß er uns erlöset hat.
8. Eigentlich gehet die Versöhnung auf GOtt. Wenn es alhier heißt, daß er die Sünden versöhnet habe, so wird damit ange- zeiget, daß der Sünde wegen eine Versöhnung bey GOTT nöthig gewesen, und daß sie durch die Versöhnung, der Schuld und Strafe nach, abgethan sey. Daher denn, der gläubigen Zu- eignung nach, die Rechtfertigung, oder Gerecht- machung entstehet.
9. Das Wort des Volckes wird alhier deswegen gebrauchet, weil es der Hohepriester des alten Testaments eigentlich mit seinem, oder dem Judischen Volcke, im Vorbilde zu thun hat- te. Nun war zwar jenes Volck, das Volck Meßiä: aber nach dem neuen Bunde ist sein Volck, das gantze menschliche Geschlecht: als für welches er den Tod geschmecket hat. v. 9.
V. 18.
Denn darinnen er (autos er selbst) ge- litten hat und versuchet ist, kan er helfen denen, die versuchet werden (seinen Brüdern, welchen er in den Leiden und Versuchungen gleich worden ist.)
Anmerckungen.
1. Der Apostel erläutert mit diesen Wor- ten das, was er vorher von Christo, als dem barmhertzigen und treuen Hohenpriester gesaget hatte.
2. Die Leiden Christi sind mancherley gewesen, nemlich innerliche von GOtt, son- derlich in der Verlassung, da er den ewigen Tod geschmecket hat v. 9. und äusserliche vom Satan und von der Welt. Und diese sind auf ihn gestossen durch Versuchungen, da die An- fälle bald innerlich, doch ohne Sünde, bald äusserlich geschehen sind, und, da er solche über sich willig ergehen lassen, das würckliche Leiden verursachet haben.
3. Nun aber waren die Leiden Christi nicht allein würcklich, sondern auch verdienst- lich, und geschahen um unsert willen. Dar- um kommen sie uns zu statten, zuvorderst also, daß sie uns zur Gerechtigkeit zugerechnet wer- den; und denn auch also, daß unser Hoherprie- ster uns in unsern Versuchungen, sie mögen nun seyn innerlich, oder äusserlich, mit seinem Unter- richt und mit seiner Stärckung zu Hülfe kömmt. Welches der Apostel helfen nennet.
4. Und da es ein solches helfen ist, wel- ches mit dem Worte boetheo ausgedrucket wird, so wird damit angezeiget, daß wir in unsern
Ver-
Erklaͤrung des Briefes Pauli C. 2. v. 17. 18.
[Spaltenumbruch]
mit ihnen hatte, ſo muſte er ihnen auch gleich werden κατὰ πάντα, in allen Stuͤcken, die zur menſchlichen Natur gehoͤren, dazu ſonderlich zu rechnen ſind diejenigen Eigenſchaften, nach wel- chen Chriſtus konnte auf mancherley Art verſu- chet und verfolget, und endlich gar dem Tode uͤbergeben werden. Daß die Suͤnde davon ausgenommen, weiß man aus der Eigenſchaft ſeiner Perſon: und ſolches bezeuget Pauius aus- druͤcklich c. 4, 15. Siehe Phil. 2, 7.
3. Und dieſe Gleichheit der Bruͤder ge- hoͤrete zu der Ordnung, in welcher er ſich konnte gegen ſie recht mitleidig und barmhertzig erwei- ſen. Zwar konnte er als wahrer GOTT ge- nugſam wiſſen, wie elend es um das menſchliche Geſchlecht ſtehe; er konnte auch ſeine barmher- tzigkeit gegen daſſelbe fuͤhlen und ſehen laſſen: allein ohne die wirckliche Menſchwerdung, da- durch er ſelbſt in den Orden der Menſchen ge- treten, konte er ſolche nicht ſo nachdruͤcklich be- zeugen, und die Menſchen haͤtten ſich ohne die- ſelbe die Erbarmung Chriſti nicht ſo beweglich vorſtellen koͤnnen. Darum hier Paulus c. 4, 15. mit Recht alſo ſchreibet: Wir haben nicht einen Hohenprieſter, der nicht koͤnnte Mit- leiden haben mit unſerer Schwachheit, ſon- dern der verſuchet iſt allenthalben, gleich- wie wir, doch ohne Suͤnde.
4. Es ging zwar das gantze Levitiſche Prie- ſterthum auf Chriſtum; wie denn ein jeglicher Prieſter ein Vorbild auf Chriſtum war, fuͤr- nemlich aber war es der Hoheprieſter, ſonder- lich mit ſeinen Verrichtungen am jaͤhrlichen ho- hen Verſoͤhnungs-Feſte, nach 3 B. Moſ. 17. als da er unter andern mit dem Opfer-Blute ins Al- lerheiligſte einging, und mit deſſen Sprengung das Volck verſoͤhnete.
5. Die Treue des Hohenprieſters hat ſich darinnen erwieſen, daß er ſich, vermoͤge der von ihme geſchehenen Buͤrgſchaft und der von der Erloͤſung gegebenen Verheiſſung, zur beſtimm- ten Zeit dazu eingeſtellet, Menſch worden und das Werck der Wiederbringung nicht allein an- gefangen und fortgeſetzet, ſondern auch zum voͤl- ligen Siege vollendet hat. Und dieſe Treue be- weiſet unſer Heyland noch bis auf dieſen Tag gegen alle ſeine glaͤubigen Glieder, alſo daß, da er ihnen ſein Verſoͤhnopfer durch die kraͤftige Wirckung des Heiligen Geiſtes appliciret, ſie ſich ſicherlich auf ihn verlaſſen koͤnnen.
6. Τὰ πρὸς τὸν θεὸν, heißt: Was antrift ſolche Sachen, welche fuͤr das menſchliche Geſchlecht bey GOtt zu verrichten und ab- zuthun waren: Welche da ſonderlich in der durch die Suͤnde geſchehenen Trennung von GOTT und in der damit verknuͤpften Feind- ſchaft wider GOTT beſtunden. Daher denn eine Verſoͤhnung noͤthig war: welcher der Apo- ſtel darauf ausdruͤcklich gedencket.
7. Dieſe Verſoͤhnung beſtunde nun dar- inn, daß Chriſtus, als der Hoheprieſter, ſich ſelbſt zum Opfer dargeſtellet, die Suͤnde des gantzen menſchlichen Geſchlechts der Schuld und Strafe nach auf ſich genommen, und wie durch ſeinen [Spaltenumbruch]
vollkommenen Gehorſam unſere Schuldigkeit, debita noſtra, alſo auch durch ſein Leiden und Sterben unſere Schuld, culpam, und Strafe in ſeiner eigenen Perſon abgetragen, und damit im Goͤttlichen Gerichte der unwandelbaren Straf-Gerechtigkeit GOttes ein Genuͤgen ge- than, und ſolchergeſtalt das Geſetz erfuͤllet, GOtt verſoͤhnet und GOttes Gnade erworben hat, und uns ſeine Gerechtigkeit, um damit vor GOtt zu beſtehen, geſchencket. Welches denn heißt, daß er uns erloͤſet hat.
8. Eigentlich gehet die Verſoͤhnung auf GOtt. Wenn es alhier heißt, daß er die Suͤnden verſoͤhnet habe, ſo wird damit ange- zeiget, daß der Suͤnde wegen eine Verſoͤhnung bey GOTT noͤthig geweſen, und daß ſie durch die Verſoͤhnung, der Schuld und Strafe nach, abgethan ſey. Daher denn, der glaͤubigen Zu- eignung nach, die Rechtfertigung, oder Gerecht- machung entſtehet.
9. Das Wort des Volckes wird alhier deswegen gebrauchet, weil es der Hoheprieſter des alten Teſtaments eigentlich mit ſeinem, oder dem Judiſchen Volcke, im Vorbilde zu thun hat- te. Nun war zwar jenes Volck, das Volck Meßiaͤ: aber nach dem neuen Bunde iſt ſein Volck, das gantze menſchliche Geſchlecht: als fuͤr welches er den Tod geſchmecket hat. v. 9.
V. 18.
Denn darinnen er (αυτὸς er ſelbſt) ge- litten hat und verſuchet iſt, kan er helfen denen, die verſuchet werden (ſeinen Bruͤdern, welchen er in den Leiden und Verſuchungen gleich worden iſt.)
Anmerckungen.
1. Der Apoſtel erlaͤutert mit dieſen Wor- ten das, was er vorher von Chriſto, als dem barmhertzigen und treuen Hohenprieſter geſaget hatte.
2. Die Leiden Chriſti ſind mancherley geweſen, nemlich innerliche von GOtt, ſon- derlich in der Verlaſſung, da er den ewigen Tod geſchmecket hat v. 9. und aͤuſſerliche vom Satan und von der Welt. Und dieſe ſind auf ihn geſtoſſen durch Veꝛſuchungen, da die An- faͤlle bald innerlich, doch ohne Suͤnde, bald aͤuſſerlich geſchehen ſind, und, da er ſolche uͤber ſich willig ergehen laſſen, das wuͤrckliche Leiden verurſachet haben.
3. Nun aber waren die Leiden Chriſti nicht allein wuͤꝛcklich, ſondern auch verdienſt- lich, und geſchahen um unſert willen. Dar- um kommen ſie uns zu ſtatten, zuvorderſt alſo, daß ſie uns zur Gerechtigkeit zugerechnet wer- den; und denn auch alſo, daß unſer Hoherprie- ſter uns in unſern Verſuchungen, ſie moͤgen nun ſeyn innerlich, oder aͤuſſerlich, mit ſeinem Unter- richt und mit ſeiner Staͤrckung zu Huͤlfe koͤmmt. Welches der Apoſtel helfen nennet.
4. Und da es ein ſolches helfen iſt, wel- ches mit dem Worte βοηθέω ausgedrucket wird, ſo wird damit angezeiget, daß wir in unſern
Ver-
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[272/0274]
Erklaͤrung des Briefes Pauli C. 2. v. 17. 18.
mit ihnen hatte, ſo muſte er ihnen auch gleich
werden κατὰ πάντα, in allen Stuͤcken, die zur
menſchlichen Natur gehoͤren, dazu ſonderlich zu
rechnen ſind diejenigen Eigenſchaften, nach wel-
chen Chriſtus konnte auf mancherley Art verſu-
chet und verfolget, und endlich gar dem Tode
uͤbergeben werden. Daß die Suͤnde davon
ausgenommen, weiß man aus der Eigenſchaft
ſeiner Perſon: und ſolches bezeuget Pauius aus-
druͤcklich c. 4, 15. Siehe Phil. 2, 7.
3. Und dieſe Gleichheit der Bruͤder ge-
hoͤrete zu der Ordnung, in welcher er ſich konnte
gegen ſie recht mitleidig und barmhertzig erwei-
ſen. Zwar konnte er als wahrer GOTT ge-
nugſam wiſſen, wie elend es um das menſchliche
Geſchlecht ſtehe; er konnte auch ſeine barmher-
tzigkeit gegen daſſelbe fuͤhlen und ſehen laſſen:
allein ohne die wirckliche Menſchwerdung, da-
durch er ſelbſt in den Orden der Menſchen ge-
treten, konte er ſolche nicht ſo nachdruͤcklich be-
zeugen, und die Menſchen haͤtten ſich ohne die-
ſelbe die Erbarmung Chriſti nicht ſo beweglich
vorſtellen koͤnnen. Darum hier Paulus c. 4, 15.
mit Recht alſo ſchreibet: Wir haben nicht
einen Hohenprieſter, der nicht koͤnnte Mit-
leiden haben mit unſerer Schwachheit, ſon-
dern der verſuchet iſt allenthalben, gleich-
wie wir, doch ohne Suͤnde.
4. Es ging zwar das gantze Levitiſche Prie-
ſterthum auf Chriſtum; wie denn ein jeglicher
Prieſter ein Vorbild auf Chriſtum war, fuͤr-
nemlich aber war es der Hoheprieſter, ſonder-
lich mit ſeinen Verrichtungen am jaͤhrlichen ho-
hen Verſoͤhnungs-Feſte, nach 3 B. Moſ. 17. als
da er unter andern mit dem Opfer-Blute ins Al-
lerheiligſte einging, und mit deſſen Sprengung
das Volck verſoͤhnete.
5. Die Treue des Hohenprieſters hat ſich
darinnen erwieſen, daß er ſich, vermoͤge der von
ihme geſchehenen Buͤrgſchaft und der von der
Erloͤſung gegebenen Verheiſſung, zur beſtimm-
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das Werck der Wiederbringung nicht allein an-
gefangen und fortgeſetzet, ſondern auch zum voͤl-
ligen Siege vollendet hat. Und dieſe Treue be-
weiſet unſer Heyland noch bis auf dieſen Tag
gegen alle ſeine glaͤubigen Glieder, alſo daß, da
er ihnen ſein Verſoͤhnopfer durch die kraͤftige
Wirckung des Heiligen Geiſtes appliciret, ſie
ſich ſicherlich auf ihn verlaſſen koͤnnen.
6. Τὰ πρὸς τὸν θεὸν, heißt: Was antrift
ſolche Sachen, welche fuͤr das menſchliche
Geſchlecht bey GOtt zu verrichten und ab-
zuthun waren: Welche da ſonderlich in der
durch die Suͤnde geſchehenen Trennung von
GOTT und in der damit verknuͤpften Feind-
ſchaft wider GOTT beſtunden. Daher denn
eine Verſoͤhnung noͤthig war: welcher der Apo-
ſtel darauf ausdruͤcklich gedencket.
7. Dieſe Verſoͤhnung beſtunde nun dar-
inn, daß Chriſtus, als der Hoheprieſter, ſich ſelbſt
zum Opfer dargeſtellet, die Suͤnde des gantzen
menſchlichen Geſchlechts der Schuld und Strafe
nach auf ſich genommen, und wie durch ſeinen
vollkommenen Gehorſam unſere Schuldigkeit,
debita noſtra, alſo auch durch ſein Leiden und
Sterben unſere Schuld, culpam, und Strafe
in ſeiner eigenen Perſon abgetragen, und damit
im Goͤttlichen Gerichte der unwandelbaren
Straf-Gerechtigkeit GOttes ein Genuͤgen ge-
than, und ſolchergeſtalt das Geſetz erfuͤllet,
GOtt verſoͤhnet und GOttes Gnade erworben
hat, und uns ſeine Gerechtigkeit, um damit vor
GOtt zu beſtehen, geſchencket. Welches denn
heißt, daß er uns erloͤſet hat.
8. Eigentlich gehet die Verſoͤhnung auf
GOtt. Wenn es alhier heißt, daß er die
Suͤnden verſoͤhnet habe, ſo wird damit ange-
zeiget, daß der Suͤnde wegen eine Verſoͤhnung
bey GOTT noͤthig geweſen, und daß ſie durch
die Verſoͤhnung, der Schuld und Strafe nach,
abgethan ſey. Daher denn, der glaͤubigen Zu-
eignung nach, die Rechtfertigung, oder Gerecht-
machung entſtehet.
9. Das Wort des Volckes wird alhier
deswegen gebrauchet, weil es der Hoheprieſter
des alten Teſtaments eigentlich mit ſeinem, oder
dem Judiſchen Volcke, im Vorbilde zu thun hat-
te. Nun war zwar jenes Volck, das Volck
Meßiaͤ: aber nach dem neuen Bunde iſt ſein
Volck, das gantze menſchliche Geſchlecht: als
fuͤr welches er den Tod geſchmecket hat. v. 9.
V. 18.
Denn darinnen er (αυτὸς er ſelbſt) ge-
litten hat und verſuchet iſt, kan er helfen
denen, die verſuchet werden (ſeinen Bruͤdern,
welchen er in den Leiden und Verſuchungen
gleich worden iſt.)
Anmerckungen.
1. Der Apoſtel erlaͤutert mit dieſen Wor-
ten das, was er vorher von Chriſto, als dem
barmhertzigen und treuen Hohenprieſter geſaget
hatte.
2. Die Leiden Chriſti ſind mancherley
geweſen, nemlich innerliche von GOtt, ſon-
derlich in der Verlaſſung, da er den ewigen
Tod geſchmecket hat v. 9. und aͤuſſerliche vom
Satan und von der Welt. Und dieſe ſind auf
ihn geſtoſſen durch Veꝛſuchungen, da die An-
faͤlle bald innerlich, doch ohne Suͤnde, bald
aͤuſſerlich geſchehen ſind, und, da er ſolche uͤber
ſich willig ergehen laſſen, das wuͤrckliche Leiden
verurſachet haben.
3. Nun aber waren die Leiden Chriſti
nicht allein wuͤꝛcklich, ſondern auch verdienſt-
lich, und geſchahen um unſert willen. Dar-
um kommen ſie uns zu ſtatten, zuvorderſt alſo,
daß ſie uns zur Gerechtigkeit zugerechnet wer-
den; und denn auch alſo, daß unſer Hoherprie-
ſter uns in unſern Verſuchungen, ſie moͤgen nun
ſeyn innerlich, oder aͤuſſerlich, mit ſeinem Unter-
richt und mit ſeiner Staͤrckung zu Huͤlfe koͤmmt.
Welches der Apoſtel helfen nennet.
4. Und da es ein ſolches helfen iſt, wel-
ches mit dem Worte βοηθέω ausgedrucket wird,
ſo wird damit angezeiget, daß wir in unſern
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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/274>, abgerufen am 17.06.2024.
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