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Lange, Max: Lehrbuch des Schachspiels. Halle (Saale), 1856.

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Anmerkung. Die Erzeugnisse der zuletzt genannten Klassen
gehören meist einer Zeit an, in welcher das Schach ein
eigenthümlich sociales Ansehen genoss und seine theore-
tische wie praktische Uebung fast allein bevorzugten Stän-
den (der Ritterschaft und dem Mönchthum) anheim fiel.
Wir bitten §. 438 zu vergleichen und wollen zum besseren
Verständniss noch eine Ausführung des kenntnissreichen
Forschers Wackernagel hier anführen: "Zuerst eine
sittliche Unterweisung und sinnreiche Unterhaltung für
einen König, ein Vorbild und eine Lehre des Krieges war
es im weiteren Verlaufe der Wanderung desselben durch
die Völker und die Zeiten zunächst ein Bild germani-
scher Staatseinrichtung endlich sogar des Lebens
aller Welt geworden, ein Bild für jechliches
Verhältniss der Menschen unter sich und gegen
Gott
. Und umgekehrt erschien die ganze Welt nur als
Schach, das der Allmächtige spiele, auf dem er nach Be-
lieben Könige und Bauern hin und herbewege, gewinnen
und verloren gehen lasse, oder aber wenn das Spiel des
Lebens beendigt sei, dann kommt der Tod und räumt die
Figuren zusammen und wirft sie unterschiedslos durch-
einander. Also spricht Herrmann von Fritslar in seinem
Buche das Heiligenleben am Schlusse Sancte Alexius Tars:
"Ein meister glichit diese werlt eime schafzabele; da slan
uffe kunige vnd kuniginnen vnd rittere vnd knappen vnd
venden; hie mite spilen si, wanne si maude gespilet haben so
werfen si den einen vnder den anderen in einen sack. Also
taut der tot; der wirfet iz allez in di erden. Welich der
reiche sei ader der arme si ader der babist sei ader der kunic
daz schowet an deme gebeine: der knecht is dicke vber den
herren geleget, so si ligen in deme beinhause
."

§. 445. Belletristische Schilderungen von socialen Ver-
hältnissen der Spieler betreffen entweder diese als solche
oder speciell ihre Persönlichkeit. In letzterer Beziehung
kommen vorzugsweise Lebensbilder und Nekrologe berühmter
Meister in Betracht, wie sie vielfach in den modernen Schach-
journalen mitgetheilt werden. Wegen ihrer belletristischen
Färbung unterscheiden sich solche Erzeugnisse durch inneren
Kunstwerth von anderen Artikeln, welche lediglich die ein-
fache Darstellung der Geschichte von Meistern und Spielern,
also die Geschichte der Praxis überhaupt, zum Zweck haben.
Zu der anderen Klasse von Abhandlungen gehören zunächst
Schilderungen vom Schachtreiben und von Schachzuständen
an einzelnen Ortschaften. Sodann giebt es eine Art humo-
ristischer Darstellungen, welche an die Gewohnheiten und
Sitten mancher Spieler anknüpfen oder auf Vergleichung von
Meistern und Spielern sich stützen. Endlich hat man wohl
noch solche belletristische Schilderungen, welche sich an

Anmerkung. Die Erzeugnisse der zuletzt genannten Klassen
gehören meist einer Zeit an, in welcher das Schach ein
eigenthümlich sociales Ansehen genoss und seine theore-
tische wie praktische Uebung fast allein bevorzugten Stän-
den (der Ritterschaft und dem Mönchthum) anheim fiel.
Wir bitten §. 438 zu vergleichen und wollen zum besseren
Verständniss noch eine Ausführung des kenntnissreichen
Forschers Wackernagel hier anführen: „Zuerst eine
sittliche Unterweisung und sinnreiche Unterhaltung für
einen König, ein Vorbild und eine Lehre des Krieges war
es im weiteren Verlaufe der Wanderung desselben durch
die Völker und die Zeiten zunächst ein Bild germani-
scher Staatseinrichtung endlich sogar des Lebens
aller Welt geworden, ein Bild für jechliches
Verhältniss der Menschen unter sich und gegen
Gott
. Und umgekehrt erschien die ganze Welt nur als
Schach, das der Allmächtige spiele, auf dem er nach Be-
lieben Könige und Bauern hin und herbewege, gewinnen
und verloren gehen lasse, oder aber wenn das Spiel des
Lebens beendigt sei, dann kommt der Tod und räumt die
Figuren zusammen und wirft sie unterschiedslos durch-
einander. Also spricht Herrmann von Fritslar in seinem
Buche das Heiligenleben am Schlusse Sancte Alexius Tars:
Ein meister glichit diese werlt eime schafzabele; da slân
uffe kunige vnd kuniginnen vnd rittere vnd knappen vnd
venden; hie mite spilen si, wanne si mûde gespilet haben so
werfen si den einen vnder den anderen in einen sack. Also
tût der tôt; der wirfet iz allez in di erden. Welich der
rîche sî ader der arme si ader der bâbist sî ader der kunic
daz schowet an deme gebeine: der knecht is dicke vber den
herren geleget, so si ligen in deme beinhûse
.“

§. 445. Belletristische Schilderungen von socialen Ver-
hältnissen der Spieler betreffen entweder diese als solche
oder speciell ihre Persönlichkeit. In letzterer Beziehung
kommen vorzugsweise Lebensbilder und Nekrologe berühmter
Meister in Betracht, wie sie vielfach in den modernen Schach-
journalen mitgetheilt werden. Wegen ihrer belletristischen
Färbung unterscheiden sich solche Erzeugnisse durch inneren
Kunstwerth von anderen Artikeln, welche lediglich die ein-
fache Darstellung der Geschichte von Meistern und Spielern,
also die Geschichte der Praxis überhaupt, zum Zweck haben.
Zu der anderen Klasse von Abhandlungen gehören zunächst
Schilderungen vom Schachtreiben und von Schachzuständen
an einzelnen Ortschaften. Sodann giebt es eine Art humo-
ristischer Darstellungen, welche an die Gewohnheiten und
Sitten mancher Spieler anknüpfen oder auf Vergleichung von
Meistern und Spielern sich stützen. Endlich hat man wohl
noch solche belletristische Schilderungen, welche sich an

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[260/0272] Anmerkung. Die Erzeugnisse der zuletzt genannten Klassen gehören meist einer Zeit an, in welcher das Schach ein eigenthümlich sociales Ansehen genoss und seine theore- tische wie praktische Uebung fast allein bevorzugten Stän- den (der Ritterschaft und dem Mönchthum) anheim fiel. Wir bitten §. 438 zu vergleichen und wollen zum besseren Verständniss noch eine Ausführung des kenntnissreichen Forschers Wackernagel hier anführen: „Zuerst eine sittliche Unterweisung und sinnreiche Unterhaltung für einen König, ein Vorbild und eine Lehre des Krieges war es im weiteren Verlaufe der Wanderung desselben durch die Völker und die Zeiten zunächst ein Bild germani- scher Staatseinrichtung endlich sogar des Lebens aller Welt geworden, ein Bild für jechliches Verhältniss der Menschen unter sich und gegen Gott. Und umgekehrt erschien die ganze Welt nur als Schach, das der Allmächtige spiele, auf dem er nach Be- lieben Könige und Bauern hin und herbewege, gewinnen und verloren gehen lasse, oder aber wenn das Spiel des Lebens beendigt sei, dann kommt der Tod und räumt die Figuren zusammen und wirft sie unterschiedslos durch- einander. Also spricht Herrmann von Fritslar in seinem Buche das Heiligenleben am Schlusse Sancte Alexius Tars: „Ein meister glichit diese werlt eime schafzabele; da slân uffe kunige vnd kuniginnen vnd rittere vnd knappen vnd venden; hie mite spilen si, wanne si mûde gespilet haben so werfen si den einen vnder den anderen in einen sack. Also tût der tôt; der wirfet iz allez in di erden. Welich der rîche sî ader der arme si ader der bâbist sî ader der kunic daz schowet an deme gebeine: der knecht is dicke vber den herren geleget, so si ligen in deme beinhûse.“ §. 445. Belletristische Schilderungen von socialen Ver- hältnissen der Spieler betreffen entweder diese als solche oder speciell ihre Persönlichkeit. In letzterer Beziehung kommen vorzugsweise Lebensbilder und Nekrologe berühmter Meister in Betracht, wie sie vielfach in den modernen Schach- journalen mitgetheilt werden. Wegen ihrer belletristischen Färbung unterscheiden sich solche Erzeugnisse durch inneren Kunstwerth von anderen Artikeln, welche lediglich die ein- fache Darstellung der Geschichte von Meistern und Spielern, also die Geschichte der Praxis überhaupt, zum Zweck haben. Zu der anderen Klasse von Abhandlungen gehören zunächst Schilderungen vom Schachtreiben und von Schachzuständen an einzelnen Ortschaften. Sodann giebt es eine Art humo- ristischer Darstellungen, welche an die Gewohnheiten und Sitten mancher Spieler anknüpfen oder auf Vergleichung von Meistern und Spielern sich stützen. Endlich hat man wohl noch solche belletristische Schilderungen, welche sich an

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Zitationshilfe: Lange, Max: Lehrbuch des Schachspiels. Halle (Saale), 1856, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_schachspiel_1856/272>, abgerufen am 27.04.2024.