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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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in mir erneuerte. Wie oft riß mich der
Jammer von dem Tisch oder aus der Ge-
sellschaft fort, wenn ich in den zwey letz-
tern Jahren (da sie den ganzen Wuchs
ihrer Mutter hatte, und Kleider nach mei-
nem Willen trug) den eignen Ton der
Stimme, die Gebehrden, die ganze Güte
und liebenswürdige Fröhlichkeit ihrer
Mutter an ihr sah!

Gott gebe, daß dieses Beyspiel des
Wiedervergeltungsrechts von meiner Toch-
ter bis auf ihre späteste Enkel fortgepflanzt
werde; denn ich habe ihr eben so viel da-
von gesprochen, als mein Vater mir!



Mit lebhafter Wehmuth erinnere ich
mich der letzten Stunden dieses edeln
Mannes, und seiner Unterredungen wäh-
rend den Tagen seiner zunehmenden Krank-
heit. Das theure Fräulein konnte wenig
weinen, sie lag auf ihren Knieen neben
dem Bette ihres Vaters; aber der Aus-
druck des tiefsten Schmerzens, war in ih-

rem

in mir erneuerte. Wie oft riß mich der
Jammer von dem Tiſch oder aus der Ge-
ſellſchaft fort, wenn ich in den zwey letz-
tern Jahren (da ſie den ganzen Wuchs
ihrer Mutter hatte, und Kleider nach mei-
nem Willen trug) den eignen Ton der
Stimme, die Gebehrden, die ganze Guͤte
und liebenswuͤrdige Froͤhlichkeit ihrer
Mutter an ihr ſah!

Gott gebe, daß dieſes Beyſpiel des
Wiedervergeltungsrechts von meiner Toch-
ter bis auf ihre ſpaͤteſte Enkel fortgepflanzt
werde; denn ich habe ihr eben ſo viel da-
von geſprochen, als mein Vater mir!



Mit lebhafter Wehmuth erinnere ich
mich der letzten Stunden dieſes edeln
Mannes, und ſeiner Unterredungen waͤh-
rend den Tagen ſeiner zunehmenden Krank-
heit. Das theure Fraͤulein konnte wenig
weinen, ſie lag auf ihren Knieen neben
dem Bette ihres Vaters; aber der Aus-
druck des tiefſten Schmerzens, war in ih-

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[75/0101] in mir erneuerte. Wie oft riß mich der Jammer von dem Tiſch oder aus der Ge- ſellſchaft fort, wenn ich in den zwey letz- tern Jahren (da ſie den ganzen Wuchs ihrer Mutter hatte, und Kleider nach mei- nem Willen trug) den eignen Ton der Stimme, die Gebehrden, die ganze Guͤte und liebenswuͤrdige Froͤhlichkeit ihrer Mutter an ihr ſah! Gott gebe, daß dieſes Beyſpiel des Wiedervergeltungsrechts von meiner Toch- ter bis auf ihre ſpaͤteſte Enkel fortgepflanzt werde; denn ich habe ihr eben ſo viel da- von geſprochen, als mein Vater mir! Mit lebhafter Wehmuth erinnere ich mich der letzten Stunden dieſes edeln Mannes, und ſeiner Unterredungen waͤh- rend den Tagen ſeiner zunehmenden Krank- heit. Das theure Fraͤulein konnte wenig weinen, ſie lag auf ihren Knieen neben dem Bette ihres Vaters; aber der Aus- druck des tiefſten Schmerzens, war in ih- rem

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/101>, abgerufen am 29.04.2024.