nahe ganz niedergedrückt, nahm ihren Wohnplatz bey dem Herrn von Sternheim, und diente dem jungen Fräulein zur Auf- sicht. Der Oberste machte ihr durch seine ehrerbietige Liebe und sein Beyspiel der ge- duldigsten Unterwerfung viele Erleichte- rung in ihrem Gemüthe. Der edel- denkende Pfarrer und seine Töchter waren beynahe die einzige Gesellschaft, in welcher sie Vergnügen fanden. Gleich- wohl genoß das Fräulein von Stern- heim die vortrefflichste Erziehung für ih- ren Geist und für ihr Herz. Eine Toch- ter des Pfarrers, die mit ihr gleiches Alter hatte, wurde ihr zugegeben, theils einen Wetteifer im Lernen zu erregen, theils zu verhindern, daß die junge Dame nicht in ihrer ersten Jugend lauter düstre Eindrücke sammeln möchte; welches bey ihrer Großmutter und ihrem Vater leicht hätte geschehen können. Denn beyde weinten oft über ihren Verlust, und dann führte Herr von Sternheim das zwölf jäh- rige Fräulein bey der Hand zu dem Bild- niß ihrer Mutter, und sprach von ihrer Tu-
gend
nahe ganz niedergedruͤckt, nahm ihren Wohnplatz bey dem Herrn von Sternheim, und diente dem jungen Fraͤulein zur Auf- ſicht. Der Oberſte machte ihr durch ſeine ehrerbietige Liebe und ſein Beyſpiel der ge- duldigſten Unterwerfung viele Erleichte- rung in ihrem Gemuͤthe. Der edel- denkende Pfarrer und ſeine Toͤchter waren beynahe die einzige Geſellſchaft, in welcher ſie Vergnuͤgen fanden. Gleich- wohl genoß das Fraͤulein von Stern- heim die vortrefflichſte Erziehung fuͤr ih- ren Geiſt und fuͤr ihr Herz. Eine Toch- ter des Pfarrers, die mit ihr gleiches Alter hatte, wurde ihr zugegeben, theils einen Wetteifer im Lernen zu erregen, theils zu verhindern, daß die junge Dame nicht in ihrer erſten Jugend lauter duͤſtre Eindruͤcke ſammeln moͤchte; welches bey ihrer Großmutter und ihrem Vater leicht haͤtte geſchehen koͤnnen. Denn beyde weinten oft uͤber ihren Verluſt, und dann fuͤhrte Herr von Sternheim das zwoͤlf jaͤh- rige Fraͤulein bey der Hand zu dem Bild- niß ihrer Mutter, und ſprach von ihrer Tu-
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nahe ganz niedergedruͤckt, nahm ihren
Wohnplatz bey dem Herrn von Sternheim,
und diente dem jungen Fraͤulein zur Auf-
ſicht. Der Oberſte machte ihr durch ſeine
ehrerbietige Liebe und ſein Beyſpiel der ge-
duldigſten Unterwerfung viele Erleichte-
rung in ihrem Gemuͤthe. Der edel-
denkende Pfarrer und ſeine Toͤchter
waren beynahe die einzige Geſellſchaft,
in welcher ſie Vergnuͤgen fanden. Gleich-
wohl genoß das Fraͤulein von Stern-
heim die vortrefflichſte Erziehung fuͤr ih-
ren Geiſt und fuͤr ihr Herz. Eine Toch-
ter des Pfarrers, die mit ihr gleiches
Alter hatte, wurde ihr zugegeben, theils
einen Wetteifer im Lernen zu erregen,
theils zu verhindern, daß die junge Dame
nicht in ihrer erſten Jugend lauter duͤſtre
Eindruͤcke ſammeln moͤchte; welches bey
ihrer Großmutter und ihrem Vater leicht
haͤtte geſchehen koͤnnen. Denn beyde
weinten oft uͤber ihren Verluſt, und dann
fuͤhrte Herr von Sternheim das zwoͤlf jaͤh-
rige Fraͤulein bey der Hand zu dem Bild-
niß ihrer Mutter, und ſprach von ihrer Tu-
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/92>, abgerufen am 29.04.2024.
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