Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite


wicht gab ihn ihr selbst. Blaß und starr
wurde sie; endlich, ohne ein Wort zu sa-
gen, zerriß sie mit der größten Heftigkeit
seinen Brief, und noch ein Papier, warf
die Stücke zu Boden, deutete mit einer
Hand darauf, und mit einem erbärmli-
chen Ausdruck von Schmerzen sagte sie
dem Kerl: geh, geh; zugleich aber fiel sie
auf ihre Knie, faltete ihre Hände, und
blieb über zwo Stunden stumm, und wie
halb todt liegen. Was ich ausstund,
kann ich dir nicht sagen; Gott weiß es
allein! Jch kniete neben sie hin, faßte sie
in meine Arme, und bat sie so lange mit
tausend Thränen, bis sie mir mit gebro-
chener matter Stimme und stotternd sag-
te: Derby verlasse sie -- ihre Heurath
wäre falsch, und sie hätte nichts mehr zu
wünschen als den Tod. -- Sie will sich
nicht rächen; bey dir, liebste Schwester,
will sie sich verbergen. Uebermorgen rei-
sen wir ab; ach Gott sey uns gnädig auf
unserer Reise! Du mußt sie aufnehmen;
Dein Mann wird es auch thun, und ihr
rathen. Wir nehmen nichts mit, was

vom
II Theil. D


wicht gab ihn ihr ſelbſt. Blaß und ſtarr
wurde ſie; endlich, ohne ein Wort zu ſa-
gen, zerriß ſie mit der groͤßten Heftigkeit
ſeinen Brief, und noch ein Papier, warf
die Stuͤcke zu Boden, deutete mit einer
Hand darauf, und mit einem erbaͤrmli-
chen Ausdruck von Schmerzen ſagte ſie
dem Kerl: geh, geh; zugleich aber fiel ſie
auf ihre Knie, faltete ihre Haͤnde, und
blieb uͤber zwo Stunden ſtumm, und wie
halb todt liegen. Was ich ausſtund,
kann ich dir nicht ſagen; Gott weiß es
allein! Jch kniete neben ſie hin, faßte ſie
in meine Arme, und bat ſie ſo lange mit
tauſend Thraͤnen, bis ſie mir mit gebro-
chener matter Stimme und ſtotternd ſag-
te: Derby verlaſſe ſie — ihre Heurath
waͤre falſch, und ſie haͤtte nichts mehr zu
wuͤnſchen als den Tod. — Sie will ſich
nicht raͤchen; bey dir, liebſte Schweſter,
will ſie ſich verbergen. Uebermorgen rei-
ſen wir ab; ach Gott ſey uns gnaͤdig auf
unſerer Reiſe! Du mußt ſie aufnehmen;
Dein Mann wird es auch thun, und ihr
rathen. Wir nehmen nichts mit, was

vom
II Theil. D
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0055" n="49"/><fw place="top" type="header"><lb/></fw> wicht gab ihn ihr &#x017F;elb&#x017F;t. Blaß und &#x017F;tarr<lb/>
wurde &#x017F;ie; endlich, ohne ein Wort zu &#x017F;a-<lb/>
gen, zerriß &#x017F;ie mit der gro&#x0364;ßten Heftigkeit<lb/>
&#x017F;einen Brief, und noch ein Papier, warf<lb/>
die Stu&#x0364;cke zu Boden, deutete mit einer<lb/>
Hand darauf, und mit einem erba&#x0364;rmli-<lb/>
chen Ausdruck von Schmerzen &#x017F;agte &#x017F;ie<lb/>
dem Kerl: geh, geh; zugleich aber fiel &#x017F;ie<lb/>
auf ihre Knie, faltete ihre Ha&#x0364;nde, und<lb/>
blieb u&#x0364;ber zwo Stunden &#x017F;tumm, und wie<lb/>
halb todt liegen. Was ich aus&#x017F;tund,<lb/>
kann ich dir nicht &#x017F;agen; Gott weiß es<lb/>
allein! Jch kniete neben &#x017F;ie hin, faßte &#x017F;ie<lb/>
in meine Arme, und bat &#x017F;ie &#x017F;o lange mit<lb/>
tau&#x017F;end Thra&#x0364;nen, bis &#x017F;ie mir mit gebro-<lb/>
chener matter Stimme und &#x017F;totternd &#x017F;ag-<lb/>
te: Derby verla&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ie &#x2014; ihre Heurath<lb/>
wa&#x0364;re fal&#x017F;ch, und &#x017F;ie ha&#x0364;tte nichts mehr zu<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;chen als den Tod. &#x2014; Sie will &#x017F;ich<lb/>
nicht ra&#x0364;chen; bey dir, lieb&#x017F;te Schwe&#x017F;ter,<lb/>
will &#x017F;ie &#x017F;ich verbergen. Uebermorgen rei-<lb/>
&#x017F;en wir ab; ach Gott &#x017F;ey uns gna&#x0364;dig auf<lb/>
un&#x017F;erer Rei&#x017F;e! Du mußt &#x017F;ie aufnehmen;<lb/>
Dein Mann wird es auch thun, und ihr<lb/>
rathen. Wir nehmen nichts mit, was<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">II</hi><hi rendition="#fr">Theil.</hi> D</fw><fw place="bottom" type="catch">vom</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0055] wicht gab ihn ihr ſelbſt. Blaß und ſtarr wurde ſie; endlich, ohne ein Wort zu ſa- gen, zerriß ſie mit der groͤßten Heftigkeit ſeinen Brief, und noch ein Papier, warf die Stuͤcke zu Boden, deutete mit einer Hand darauf, und mit einem erbaͤrmli- chen Ausdruck von Schmerzen ſagte ſie dem Kerl: geh, geh; zugleich aber fiel ſie auf ihre Knie, faltete ihre Haͤnde, und blieb uͤber zwo Stunden ſtumm, und wie halb todt liegen. Was ich ausſtund, kann ich dir nicht ſagen; Gott weiß es allein! Jch kniete neben ſie hin, faßte ſie in meine Arme, und bat ſie ſo lange mit tauſend Thraͤnen, bis ſie mir mit gebro- chener matter Stimme und ſtotternd ſag- te: Derby verlaſſe ſie — ihre Heurath waͤre falſch, und ſie haͤtte nichts mehr zu wuͤnſchen als den Tod. — Sie will ſich nicht raͤchen; bey dir, liebſte Schweſter, will ſie ſich verbergen. Uebermorgen rei- ſen wir ab; ach Gott ſey uns gnaͤdig auf unſerer Reiſe! Du mußt ſie aufnehmen; Dein Mann wird es auch thun, und ihr rathen. Wir nehmen nichts mit, was vom II Theil. D

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/55
Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/55>, abgerufen am 01.05.2024.