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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Lactantius: Gegen Leukipp.
eines künstlichen Urhebers, gleichsam von selbst und ohne
bewußte Gestaltung geworden. Beide Ansichten seien falsch.1

Die Widerlegung der Atomisten versucht er auf wissen-
schaftlichem Wege, indem er ihnen allerlei Sinnlosigkeiten und
Widersprüche nachzuweisen bestrebt ist. Er fragt zunächst,
wo und woher denn jene kleinen Keime (semina) seien, durch
deren Zusammentreffen die ganze Welt zustandegekommen sein
soll. Wer hat sie je gesehen, wer gefühlt, wer gehört? Hat
allein Leukipp Augen gehabt, er allein Einsicht? Er, der doch
wahrlich mehr als irgend ein andrer blind und sinnlos war,
indem er Zeug zusammenschwatzte, das weder ein Kranker
phantasieren, noch ein Schlafender je träumen könnte! Die
alten Philosophen haben behauptet, daß alles aus vier Elementen
entstanden sei. Aber dies paßte ihm nicht, damit er nicht in
fremde Fußtapfen zu treten scheine; so nahm er denn an,
daß der Ursprung der Elemente selbst ein andrer sei, nämlich
ursprüngliche Teilchen, die weder gesehen noch berührt noch
mit irgend einem Organ des Körpers sinnlich wahrgenommen
werden können. "So klein sind sie," sagt er, "daß keine
Schärfe des Eisens fein genug ist, sie zu teilen." Daher legte
er ihnen den Namen der Atome bei. Aber es fiel ihm ein,
daß sie ja unmöglich so verschiedenartige Dinge von so großer
Mannigfaltigkeit, wie wir sie in der Welt sehen, bewirken
könnten, wenn ihnen allen dieselbe Natur zukäme. Er sagt
also, es gebe glatte und rauhe, runde, eckige und mit Haken
versehene Atome. "Wieviel besser wäre es gewesen zu
schweigen, als so jämmerliche und nichtige Reden zu führen!
Ich fürchte zwar, daß, wer so etwas widerlegen zu müssen
glaubt, nicht weniger unsinnig erscheint; dennoch will ich ihm
erwidern, als hätte er etwas gesagt."

Wenn die Atome leicht und rund sind, so können sie
auf keinen Fall sich gegenseitig festhalten, so daß sie einen
Körper erzeugen; gerade als wenn jemand Hirse zu einem
Haufen ballen wollte, wobei denn die Glätte der Körner ihre
Vereinigung in eine Masse nicht gestatten würde.

1 Lactantius. De ira Dei ad Donatum liber unus. Op. omn. Biponti 1786.
T. II. c. 10. p. 180--189.
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Lactantius: Gegen Leukipp.
eines künstlichen Urhebers, gleichsam von selbst und ohne
bewußte Gestaltung geworden. Beide Ansichten seien falsch.1

Die Widerlegung der Atomisten versucht er auf wissen-
schaftlichem Wege, indem er ihnen allerlei Sinnlosigkeiten und
Widersprüche nachzuweisen bestrebt ist. Er fragt zunächst,
wo und woher denn jene kleinen Keime (semina) seien, durch
deren Zusammentreffen die ganze Welt zustandegekommen sein
soll. Wer hat sie je gesehen, wer gefühlt, wer gehört? Hat
allein Leukipp Augen gehabt, er allein Einsicht? Er, der doch
wahrlich mehr als irgend ein andrer blind und sinnlos war,
indem er Zeug zusammenschwatzte, das weder ein Kranker
phantasieren, noch ein Schlafender je träumen könnte! Die
alten Philosophen haben behauptet, daß alles aus vier Elementen
entstanden sei. Aber dies paßte ihm nicht, damit er nicht in
fremde Fußtapfen zu treten scheine; so nahm er denn an,
daß der Ursprung der Elemente selbst ein andrer sei, nämlich
ursprüngliche Teilchen, die weder gesehen noch berührt noch
mit irgend einem Organ des Körpers sinnlich wahrgenommen
werden können. „So klein sind sie,‟ sagt er, „daß keine
Schärfe des Eisens fein genug ist, sie zu teilen.‟ Daher legte
er ihnen den Namen der Atome bei. Aber es fiel ihm ein,
daß sie ja unmöglich so verschiedenartige Dinge von so großer
Mannigfaltigkeit, wie wir sie in der Welt sehen, bewirken
könnten, wenn ihnen allen dieselbe Natur zukäme. Er sagt
also, es gebe glatte und rauhe, runde, eckige und mit Haken
versehene Atome. „Wieviel besser wäre es gewesen zu
schweigen, als so jämmerliche und nichtige Reden zu führen!
Ich fürchte zwar, daß, wer so etwas widerlegen zu müssen
glaubt, nicht weniger unsinnig erscheint; dennoch will ich ihm
erwidern, als hätte er etwas gesagt.‟

Wenn die Atome leicht und rund sind, so können sie
auf keinen Fall sich gegenseitig festhalten, so daß sie einen
Körper erzeugen; gerade als wenn jemand Hirse zu einem
Haufen ballen wollte, wobei denn die Glätte der Körner ihre
Vereinigung in eine Masse nicht gestatten würde.

1 Lactantius. De ira Dei ad Donatum liber unus. Op. omn. Biponti 1786.
T. II. c. 10. p. 180—189.
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[19/0037] Lactantius: Gegen Leukipp. eines künstlichen Urhebers, gleichsam von selbst und ohne bewußte Gestaltung geworden. Beide Ansichten seien falsch. 1 Die Widerlegung der Atomisten versucht er auf wissen- schaftlichem Wege, indem er ihnen allerlei Sinnlosigkeiten und Widersprüche nachzuweisen bestrebt ist. Er fragt zunächst, wo und woher denn jene kleinen Keime (semina) seien, durch deren Zusammentreffen die ganze Welt zustandegekommen sein soll. Wer hat sie je gesehen, wer gefühlt, wer gehört? Hat allein Leukipp Augen gehabt, er allein Einsicht? Er, der doch wahrlich mehr als irgend ein andrer blind und sinnlos war, indem er Zeug zusammenschwatzte, das weder ein Kranker phantasieren, noch ein Schlafender je träumen könnte! Die alten Philosophen haben behauptet, daß alles aus vier Elementen entstanden sei. Aber dies paßte ihm nicht, damit er nicht in fremde Fußtapfen zu treten scheine; so nahm er denn an, daß der Ursprung der Elemente selbst ein andrer sei, nämlich ursprüngliche Teilchen, die weder gesehen noch berührt noch mit irgend einem Organ des Körpers sinnlich wahrgenommen werden können. „So klein sind sie,‟ sagt er, „daß keine Schärfe des Eisens fein genug ist, sie zu teilen.‟ Daher legte er ihnen den Namen der Atome bei. Aber es fiel ihm ein, daß sie ja unmöglich so verschiedenartige Dinge von so großer Mannigfaltigkeit, wie wir sie in der Welt sehen, bewirken könnten, wenn ihnen allen dieselbe Natur zukäme. Er sagt also, es gebe glatte und rauhe, runde, eckige und mit Haken versehene Atome. „Wieviel besser wäre es gewesen zu schweigen, als so jämmerliche und nichtige Reden zu führen! Ich fürchte zwar, daß, wer so etwas widerlegen zu müssen glaubt, nicht weniger unsinnig erscheint; dennoch will ich ihm erwidern, als hätte er etwas gesagt.‟ Wenn die Atome leicht und rund sind, so können sie auf keinen Fall sich gegenseitig festhalten, so daß sie einen Körper erzeugen; gerade als wenn jemand Hirse zu einem Haufen ballen wollte, wobei denn die Glätte der Körner ihre Vereinigung in eine Masse nicht gestatten würde. 1 Lactantius. De ira Dei ad Donatum liber unus. Op. omn. Biponti 1786. T. II. c. 10. p. 180—189. 2*

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/37>, abgerufen am 29.04.2024.