Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Taurellus.
selbst gestaltete sich, sondern ihr Uhrwerk rollte ab; nicht im
einzelnen wirkte der Geist des Schöpfers, sondern er hatte ein
für allemal alles gewirkt; nicht die Materie ist die Trägerin
des Weltgeschehens, sondern das außerweltliche, von Gott ge-
gebene, unveränderliche und unwandelbare Gesetz.

Diese Ausgestaltung des Monotheismus, welche innerhalb
des Dogmatismus der Naturforschung freie Bahn zu schaffen
imstande war, vertrat der deutsche Philosoph Nicolaus Tau-
rellus
(1547--1606). Er widerspricht der Unterscheidung
zwischen einer doppelten Wahrheit, einer theologischen und
philosophischen;1 durch die Erforschung der Natur kann die
Wahrheit des Gotteswortes nicht berührt werden. Gott steht
über der Welt. Es wäre kein Unterschied zwischen Gott und
Natur, wenn er alles im einzelnen selbst wirkte, sondern die
Natur ist eben die Ursache der Teilwirkungen, Gott die des
Ganzen. Gott hat alles aus nichts geschaffen, er bedarf nicht
der Materie. Zwei Prinzipien nur gibt es, wodurch die Sub-
stanzen entstehen: Gott und die Natur.2 Die Materie existiert
überhaupt nicht, sondern nur die Formen, sie können zusammen-
gesetzt werden.3 Die ersten Formen und ersten Subjekte sind
die vier Elemente;4 nicht ihre Eigenschaften, sondern die Sub-
stanzen selbst sind entgegengesetzt, und diese entgegengesetz-
ten Substanzen selbst erleiden gegenseitige Einwirkungen.5

Die Bewegung ist nicht die Ursache, sondern die Folge
dieser Einwirkungen.6 Die Substanzen und ihre Prinzipien
können nur a posteriori aus ihren Accidentien erkannt werden,
aus ihren Wirkungen und Eigenschaften. Das ist die Sache
des Physikers, welcher nicht mehr annehmen darf, als was
durch die Erfahrung bestätigt wird.7

So ist Taurellus, welcher die Belebtheit der Welt leugnet,
die Außerweltlichkeit Gottes statuiert und die Naturnotwendig-

1 Philosophiae Triumphus, h. e. metaphysica philosophandi methodus.
Basil. 1573. -- Epist. dedicat.
2 A. a. O. p. 181. Materiam divinis operibus detrahimus ejusque loco
negationem substituimus, ut unum deum ceu primam, solamque causam demonstrent
omnia. -- Thesis 130. Duo videmus esse principia, quibus substantiae fiunt,
deum et naturam: Haec positis omnibus causis suos producit effectus.
3 A. a. O. p. 117.
4 A. a. O. 170.
5 A. a. O. p. 163, 165.
6 A. a. O. p 139.
7 A. a. O. p. 99, 109.

Taurellus.
selbst gestaltete sich, sondern ihr Uhrwerk rollte ab; nicht im
einzelnen wirkte der Geist des Schöpfers, sondern er hatte ein
für allemal alles gewirkt; nicht die Materie ist die Trägerin
des Weltgeschehens, sondern das außerweltliche, von Gott ge-
gebene, unveränderliche und unwandelbare Gesetz.

Diese Ausgestaltung des Monotheismus, welche innerhalb
des Dogmatismus der Naturforschung freie Bahn zu schaffen
imstande war, vertrat der deutsche Philosoph Nicolaus Tau-
rellus
(1547—1606). Er widerspricht der Unterscheidung
zwischen einer doppelten Wahrheit, einer theologischen und
philosophischen;1 durch die Erforschung der Natur kann die
Wahrheit des Gotteswortes nicht berührt werden. Gott steht
über der Welt. Es wäre kein Unterschied zwischen Gott und
Natur, wenn er alles im einzelnen selbst wirkte, sondern die
Natur ist eben die Ursache der Teilwirkungen, Gott die des
Ganzen. Gott hat alles aus nichts geschaffen, er bedarf nicht
der Materie. Zwei Prinzipien nur gibt es, wodurch die Sub-
stanzen entstehen: Gott und die Natur.2 Die Materie existiert
überhaupt nicht, sondern nur die Formen, sie können zusammen-
gesetzt werden.3 Die ersten Formen und ersten Subjekte sind
die vier Elemente;4 nicht ihre Eigenschaften, sondern die Sub-
stanzen selbst sind entgegengesetzt, und diese entgegengesetz-
ten Substanzen selbst erleiden gegenseitige Einwirkungen.5

Die Bewegung ist nicht die Ursache, sondern die Folge
dieser Einwirkungen.6 Die Substanzen und ihre Prinzipien
können nur a posteriori aus ihren Accidentien erkannt werden,
aus ihren Wirkungen und Eigenschaften. Das ist die Sache
des Physikers, welcher nicht mehr annehmen darf, als was
durch die Erfahrung bestätigt wird.7

So ist Taurellus, welcher die Belebtheit der Welt leugnet,
die Außerweltlichkeit Gottes statuiert und die Naturnotwendig-

1 Philosophiae Triumphus, h. e. metaphysica philosophandi methodus.
Basil. 1573. — Epist. dedicat.
2 A. a. O. p. 181. Materiam divinis operibus detrahimus ejusque loco
negationem substituimus, ut unum deum ceu primam, solamque causam demonstrent
omnia. — Thesis 130. Duo videmus esse principia, quibus substantiae fiunt,
deum et naturam: Haec positis omnibus causis suos producit effectus.
3 A. a. O. p. 117.
4 A. a. O. 170.
5 A. a. O. p. 163, 165.
6 A. a. O. p 139.
7 A. a. O. p. 99, 109.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0374" n="356"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#k">Taurellus</hi>.</fw><lb/>
selbst gestaltete sich, sondern ihr Uhrwerk rollte ab; nicht im<lb/>
einzelnen wirkte der Geist des Schöpfers, sondern er hatte ein<lb/>
für allemal alles gewirkt; nicht die Materie ist die Trägerin<lb/>
des Weltgeschehens, sondern das außerweltliche, von Gott ge-<lb/>
gebene, unveränderliche und unwandelbare Gesetz.</p><lb/>
            <p>Diese Ausgestaltung des Monotheismus, welche innerhalb<lb/>
des Dogmatismus der Naturforschung freie Bahn zu schaffen<lb/>
imstande war, vertrat der deutsche Philosoph <hi rendition="#k">Nicolaus Tau-<lb/>
rellus</hi> (1547&#x2014;1606). Er widerspricht der Unterscheidung<lb/>
zwischen einer doppelten Wahrheit, einer theologischen und<lb/>
philosophischen;<note place="foot" n="1"><hi rendition="#i">Philosophiae Triumphus, h. e. metaphysica philosophandi methodus.</hi><lb/>
Basil. 1573. &#x2014; Epist. dedicat.</note> durch die Erforschung der Natur kann die<lb/>
Wahrheit des Gotteswortes nicht berührt werden. Gott steht<lb/>
über der Welt. Es wäre kein Unterschied zwischen Gott und<lb/>
Natur, wenn er alles im einzelnen selbst wirkte, sondern die<lb/>
Natur ist eben die Ursache der Teilwirkungen, Gott die des<lb/>
Ganzen. Gott hat alles aus nichts geschaffen, er bedarf nicht<lb/>
der Materie. Zwei Prinzipien nur gibt es, wodurch die Sub-<lb/>
stanzen entstehen: Gott und die Natur.<note place="foot" n="2">A. a. O. p. 181. Materiam divinis operibus detrahimus ejusque loco<lb/>
negationem substituimus, ut unum deum ceu primam, solamque causam demonstrent<lb/>
omnia. &#x2014; Thesis 130. Duo videmus esse principia, quibus substantiae fiunt,<lb/>
deum et <hi rendition="#g">naturam: Haec</hi> positis omnibus causis suos producit effectus.</note> Die Materie existiert<lb/>
überhaupt nicht, sondern nur die Formen, sie können zusammen-<lb/>
gesetzt werden.<note place="foot" n="3">A. a. O. p. 117.</note> Die ersten Formen und ersten Subjekte sind<lb/>
die vier Elemente;<note place="foot" n="4">A. a. O. 170.</note> nicht ihre Eigenschaften, sondern die Sub-<lb/>
stanzen selbst sind entgegengesetzt, und diese entgegengesetz-<lb/>
ten Substanzen selbst erleiden gegenseitige Einwirkungen.<note place="foot" n="5">A. a. O. p. 163, 165.</note></p><lb/>
            <p>Die Bewegung ist nicht die Ursache, sondern die Folge<lb/>
dieser Einwirkungen.<note place="foot" n="6">A. a. O. p 139.</note> Die Substanzen und ihre Prinzipien<lb/>
können nur <hi rendition="#i">a posteriori</hi> aus ihren Accidentien erkannt werden,<lb/>
aus ihren Wirkungen und Eigenschaften. Das ist die Sache<lb/>
des Physikers, welcher nicht mehr annehmen darf, als was<lb/>
durch die Erfahrung bestätigt wird.<note place="foot" n="7">A. a. O. p. 99, 109.</note></p><lb/>
            <p>So ist <hi rendition="#k">Taurellus</hi>, welcher die Belebtheit der Welt leugnet,<lb/>
die Außerweltlichkeit Gottes statuiert und die Naturnotwendig-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[356/0374] Taurellus. selbst gestaltete sich, sondern ihr Uhrwerk rollte ab; nicht im einzelnen wirkte der Geist des Schöpfers, sondern er hatte ein für allemal alles gewirkt; nicht die Materie ist die Trägerin des Weltgeschehens, sondern das außerweltliche, von Gott ge- gebene, unveränderliche und unwandelbare Gesetz. Diese Ausgestaltung des Monotheismus, welche innerhalb des Dogmatismus der Naturforschung freie Bahn zu schaffen imstande war, vertrat der deutsche Philosoph Nicolaus Tau- rellus (1547—1606). Er widerspricht der Unterscheidung zwischen einer doppelten Wahrheit, einer theologischen und philosophischen; 1 durch die Erforschung der Natur kann die Wahrheit des Gotteswortes nicht berührt werden. Gott steht über der Welt. Es wäre kein Unterschied zwischen Gott und Natur, wenn er alles im einzelnen selbst wirkte, sondern die Natur ist eben die Ursache der Teilwirkungen, Gott die des Ganzen. Gott hat alles aus nichts geschaffen, er bedarf nicht der Materie. Zwei Prinzipien nur gibt es, wodurch die Sub- stanzen entstehen: Gott und die Natur. 2 Die Materie existiert überhaupt nicht, sondern nur die Formen, sie können zusammen- gesetzt werden. 3 Die ersten Formen und ersten Subjekte sind die vier Elemente; 4 nicht ihre Eigenschaften, sondern die Sub- stanzen selbst sind entgegengesetzt, und diese entgegengesetz- ten Substanzen selbst erleiden gegenseitige Einwirkungen. 5 Die Bewegung ist nicht die Ursache, sondern die Folge dieser Einwirkungen. 6 Die Substanzen und ihre Prinzipien können nur a posteriori aus ihren Accidentien erkannt werden, aus ihren Wirkungen und Eigenschaften. Das ist die Sache des Physikers, welcher nicht mehr annehmen darf, als was durch die Erfahrung bestätigt wird. 7 So ist Taurellus, welcher die Belebtheit der Welt leugnet, die Außerweltlichkeit Gottes statuiert und die Naturnotwendig- 1 Philosophiae Triumphus, h. e. metaphysica philosophandi methodus. Basil. 1573. — Epist. dedicat. 2 A. a. O. p. 181. Materiam divinis operibus detrahimus ejusque loco negationem substituimus, ut unum deum ceu primam, solamque causam demonstrent omnia. — Thesis 130. Duo videmus esse principia, quibus substantiae fiunt, deum et naturam: Haec positis omnibus causis suos producit effectus. 3 A. a. O. p. 117. 4 A. a. O. 170. 5 A. a. O. p. 163, 165. 6 A. a. O. p 139. 7 A. a. O. p. 99, 109.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/374
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/374>, abgerufen am 05.06.2024.