Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

G. Bruno: Atome und Vacuum.
lich aller Schwierigkeiten des Begriffes der Irrationalität sich
enthoben zu haben. Einen Unterschied zwischen Rationalem
und Irrationalem gibt es nicht mehr. Dadurch wird auch die
Trigonometrie mit ihren Sinustafeln überflüssig, ja es eröffnet
sich durch den Vergleich der kleinsten Sehne mit dem klein-
sten Bogen sogar ein Weg zur Ausmessung der Peripherie des
Kreises; allerdings nur durch äußere Annahmen, da ja, wie
aus den Prinzipien folgt, von einer inneren Gleichheit niemals
die Rede sein kann.1

4. Physikalische Atomistik.

Jene absonderliche Mathematik entsteht bei Bruno, weil
seine Minima immer zugleich Atome des physischen
Kontinuums
sind. Denn die Existenz des Minimums haftet
am Raume wie am Körper, weil sie am Denken selbst haftet.
Die mathematischen Minima sind physische Einzelkörper, non
vanae mathematicorum species.
2 Darum treten sie als physikalische
Atome in Gegensatz zum leeren Raume und bilden die feste
Körperwelt. Das Starre, Trockne, die Erde, das sind die
Atome, dieselben Atome, welche die mathematischen Figuren
bilden. Und was wird nun aus den Räumen zwischen den
runden Atomen? Hier befindet sich das Vacuum oder der
Äther, welcher zugleich den alles durchdringenden Weltgeist
und die alles umfassende Flüssigkeit repräsentiert. Ein Vacuum,
das an sich keine realen Dimensionen besäße, gibt es nicht,
sondern nur einen leeren Raum, insofern er die reale körper-
liche Ausdehnung ist, geeignet, bald den einen, bald den andren
Körper aufzunehmen. Raum ohne Körper ist niemals in Wirk-
lichkeit, sondern nur in der Abstraktion des Gedankens mög-
lich. Wenn nichts anderes zur Erfüllung des Raumes vorhanden
ist, so ist dies Sache des Äthers; er ist der physische Raum.3

1 De min. III, 6. p. 110. c. 7. p. 111. c. 12. p. 128.
2 Acrotismus p. 87.
3 Acrotismus seu rationes articulorum physicorum etc. art. 33. p. 59.
Vacuum spacium ut pote in quo actu nihil sit, nos non ponimus, sed spacium
certe, in quo modo unum, modo aliud corpus necessario contineatur, quodque
primo ab aere repleri natum est. Est enim nobis ens infinitum, et nihil est,
in quo aliquid non sit. Hinc nobis definitur vacuum, spacium vel terminus, in

G. Bruno: Atome und Vacuum.
lich aller Schwierigkeiten des Begriffes der Irrationalität sich
enthoben zu haben. Einen Unterschied zwischen Rationalem
und Irrationalem gibt es nicht mehr. Dadurch wird auch die
Trigonometrie mit ihren Sinustafeln überflüssig, ja es eröffnet
sich durch den Vergleich der kleinsten Sehne mit dem klein-
sten Bogen sogar ein Weg zur Ausmessung der Peripherie des
Kreises; allerdings nur durch äußere Annahmen, da ja, wie
aus den Prinzipien folgt, von einer inneren Gleichheit niemals
die Rede sein kann.1

4. Physikalische Atomistik.

Jene absonderliche Mathematik entsteht bei Bruno, weil
seine Minima immer zugleich Atome des physischen
Kontinuums
sind. Denn die Existenz des Minimums haftet
am Raume wie am Körper, weil sie am Denken selbst haftet.
Die mathematischen Minima sind physische Einzelkörper, non
vanae mathematicorum species.
2 Darum treten sie als physikalische
Atome in Gegensatz zum leeren Raume und bilden die feste
Körperwelt. Das Starre, Trockne, die Erde, das sind die
Atome, dieselben Atome, welche die mathematischen Figuren
bilden. Und was wird nun aus den Räumen zwischen den
runden Atomen? Hier befindet sich das Vacuum oder der
Äther, welcher zugleich den alles durchdringenden Weltgeist
und die alles umfassende Flüssigkeit repräsentiert. Ein Vacuum,
das an sich keine realen Dimensionen besäße, gibt es nicht,
sondern nur einen leeren Raum, insofern er die reale körper-
liche Ausdehnung ist, geeignet, bald den einen, bald den andren
Körper aufzunehmen. Raum ohne Körper ist niemals in Wirk-
lichkeit, sondern nur in der Abstraktion des Gedankens mög-
lich. Wenn nichts anderes zur Erfüllung des Raumes vorhanden
ist, so ist dies Sache des Äthers; er ist der physische Raum.3

1 De min. III, 6. p. 110. c. 7. p. 111. c. 12. p. 128.
2 Acrotismus p. 87.
3 Acrotismus seu rationes articulorum physicorum etc. art. 33. p. 59.
Vacuum spacium ut pote in quo actu nihil sit, nos non ponimus, sed spacium
certe, in quo modo unum, modo aliud corpus necessario contineatur, quodque
primo ab aere repleri natum est. Est enim nobis ens infinitum, et nihil est,
in quo aliquid non sit. Hinc nobis definitur vacuum, spacium vel terminus, in
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0395" n="377"/><fw place="top" type="header">G. <hi rendition="#k">Bruno</hi>: Atome und Vacuum.</fw><lb/>
lich aller Schwierigkeiten des Begriffes der Irrationalität sich<lb/>
enthoben zu haben. Einen Unterschied zwischen Rationalem<lb/>
und Irrationalem gibt es nicht mehr. Dadurch wird auch die<lb/>
Trigonometrie mit ihren Sinustafeln überflüssig, ja es eröffnet<lb/>
sich durch den Vergleich der kleinsten Sehne mit dem klein-<lb/>
sten Bogen sogar ein Weg zur Ausmessung der Peripherie des<lb/>
Kreises; allerdings nur durch äußere Annahmen, da ja, wie<lb/>
aus den Prinzipien folgt, von einer inneren Gleichheit niemals<lb/>
die Rede sein kann.<note place="foot" n="1"><hi rendition="#i">De min.</hi> III, 6. p. 110. c. 7. p. 111. c. 12. p. 128.</note></p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">4. Physikalische Atomistik.</hi> </head><lb/>
            <p>Jene absonderliche Mathematik entsteht bei <hi rendition="#k">Bruno</hi>, weil<lb/>
seine Minima immer zugleich <hi rendition="#g">Atome des physischen<lb/>
Kontinuums</hi> sind. Denn die Existenz des Minimums haftet<lb/>
am Raume wie am Körper, weil sie am Denken selbst haftet.<lb/>
Die mathematischen Minima sind physische Einzelkörper, <hi rendition="#i">non<lb/>
vanae mathematicorum species.</hi><note place="foot" n="2"><hi rendition="#i">Acrotismus</hi> p. 87.</note> Darum treten sie als physikalische<lb/>
Atome in Gegensatz zum leeren Raume und bilden die feste<lb/>
Körperwelt. Das Starre, Trockne, die Erde, das sind die<lb/>
Atome, dieselben Atome, welche die mathematischen Figuren<lb/>
bilden. Und was wird nun aus den Räumen zwischen den<lb/>
runden Atomen? Hier befindet sich das <hi rendition="#i">Vacuum</hi> oder der<lb/>
Äther, welcher zugleich den alles durchdringenden Weltgeist<lb/>
und die alles umfassende Flüssigkeit repräsentiert. Ein Vacuum,<lb/>
das an sich keine realen Dimensionen besäße, gibt es nicht,<lb/>
sondern nur einen leeren Raum, insofern er die reale körper-<lb/>
liche Ausdehnung ist, geeignet, bald den einen, bald den andren<lb/>
Körper aufzunehmen. Raum ohne Körper ist niemals in Wirk-<lb/>
lichkeit, sondern nur in der Abstraktion des Gedankens mög-<lb/>
lich. Wenn nichts anderes zur Erfüllung des Raumes vorhanden<lb/>
ist, so ist dies Sache des Äthers; er ist der physische Raum.<note xml:id="seg2pn_18_1" next="#seg2pn_18_2" place="foot" n="3"><hi rendition="#i">Acrotismus seu rationes articulorum physicorum</hi> etc. art. 33. p. 59.<lb/>
Vacuum spacium ut pote in quo actu nihil sit, nos non ponimus, sed spacium<lb/>
certe, in quo modo unum, modo aliud corpus necessario contineatur, quodque<lb/>
primo ab aere repleri natum est. Est enim nobis ens infinitum, et nihil est,<lb/>
in quo aliquid non sit. Hinc nobis definitur vacuum, spacium vel terminus, in</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[377/0395] G. Bruno: Atome und Vacuum. lich aller Schwierigkeiten des Begriffes der Irrationalität sich enthoben zu haben. Einen Unterschied zwischen Rationalem und Irrationalem gibt es nicht mehr. Dadurch wird auch die Trigonometrie mit ihren Sinustafeln überflüssig, ja es eröffnet sich durch den Vergleich der kleinsten Sehne mit dem klein- sten Bogen sogar ein Weg zur Ausmessung der Peripherie des Kreises; allerdings nur durch äußere Annahmen, da ja, wie aus den Prinzipien folgt, von einer inneren Gleichheit niemals die Rede sein kann. 1 4. Physikalische Atomistik. Jene absonderliche Mathematik entsteht bei Bruno, weil seine Minima immer zugleich Atome des physischen Kontinuums sind. Denn die Existenz des Minimums haftet am Raume wie am Körper, weil sie am Denken selbst haftet. Die mathematischen Minima sind physische Einzelkörper, non vanae mathematicorum species. 2 Darum treten sie als physikalische Atome in Gegensatz zum leeren Raume und bilden die feste Körperwelt. Das Starre, Trockne, die Erde, das sind die Atome, dieselben Atome, welche die mathematischen Figuren bilden. Und was wird nun aus den Räumen zwischen den runden Atomen? Hier befindet sich das Vacuum oder der Äther, welcher zugleich den alles durchdringenden Weltgeist und die alles umfassende Flüssigkeit repräsentiert. Ein Vacuum, das an sich keine realen Dimensionen besäße, gibt es nicht, sondern nur einen leeren Raum, insofern er die reale körper- liche Ausdehnung ist, geeignet, bald den einen, bald den andren Körper aufzunehmen. Raum ohne Körper ist niemals in Wirk- lichkeit, sondern nur in der Abstraktion des Gedankens mög- lich. Wenn nichts anderes zur Erfüllung des Raumes vorhanden ist, so ist dies Sache des Äthers; er ist der physische Raum. 3 1 De min. III, 6. p. 110. c. 7. p. 111. c. 12. p. 128. 2 Acrotismus p. 87. 3 Acrotismus seu rationes articulorum physicorum etc. art. 33. p. 59. Vacuum spacium ut pote in quo actu nihil sit, nos non ponimus, sed spacium certe, in quo modo unum, modo aliud corpus necessario contineatur, quodque primo ab aere repleri natum est. Est enim nobis ens infinitum, et nihil est, in quo aliquid non sit. Hinc nobis definitur vacuum, spacium vel terminus, in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/395
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/395>, abgerufen am 31.10.2024.