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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.

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Aus dem Tagebuche einer Ameise.
Ob sie in Sorgen wacht, ich weiß es nicht,
Ob sie das schöne Haupt geneigt zum Schlummer --
Vielleicht, o Gott, gebeugt der strengen Pflicht
Muß jetzt sie lächeln unter ihrem Kummer.
Doch weiß ich Eins: Mit ihrem Schmerz allein
Wildschluchzend bebt sie auf in heißem Sehnen --
Jch weiß, auch sie -- auch sie gedenket mein
Und heimlich trocknet sie die stillen Thränen.


Es ist mein Stern aus seiner Bahn gegangen
Und seiner Pole Umsturz ward vollbracht.
Nun wandel' ich am Tage traumbefangen
Und grübelnd bang durchwach' ich meine Nacht.
Jch blick' empor, und meine Sinne irren
Befremdet in der dunkeln Welt umher.
Sind es nur Nebel, die den Weg mir wirren,
Sperrt ewig ihn das abgrundtiefe Meer?
Noch glüht ein Schimmer mir aus Wolken nieder,
Ein ferner Hoffnungsstrahl, der sie durchbricht.
O raub' ihn nicht! Gieb mir das Leben wieder!
Geliebte Sonne, gönne mir dein Licht!

Das Bild war ihrer Hand entfallen. Mit Erstaunen
sah ich, daß es den Menschen darstellte, an welchem sie
heut so kalt vorübergegangen war. Und jetzt -- unbe-
greiflich -- erfaßte sie wieder das Bild und drückte ihre
Lippen darauf -- gerade wie es der Mensch mit jener
Haarlocke gemacht. Jch weiß jetzt, daß dies das Zeichen

Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.
Ob ſie in Sorgen wacht, ich weiß es nicht,
Ob ſie das ſchöne Haupt geneigt zum Schlummer —
Vielleicht, o Gott, gebeugt der ſtrengen Pflicht
Muß jetzt ſie lächeln unter ihrem Kummer.
Doch weiß ich Eins: Mit ihrem Schmerz allein
Wildſchluchzend bebt ſie auf in heißem Sehnen —
Jch weiß, auch ſie — auch ſie gedenket mein
Und heimlich trocknet ſie die ſtillen Thränen.


Es iſt mein Stern aus ſeiner Bahn gegangen
Und ſeiner Pole Umſturz ward vollbracht.
Nun wandel’ ich am Tage traumbefangen
Und grübelnd bang durchwach’ ich meine Nacht.
Jch blick’ empor, und meine Sinne irren
Befremdet in der dunkeln Welt umher.
Sind es nur Nebel, die den Weg mir wirren,
Sperrt ewig ihn das abgrundtiefe Meer?
Noch glüht ein Schimmer mir aus Wolken nieder,
Ein ferner Hoffnungsſtrahl, der ſie durchbricht.
O raub’ ihn nicht! Gieb mir das Leben wieder!
Geliebte Sonne, gönne mir dein Licht!

Das Bild war ihrer Hand entfallen. Mit Erſtaunen
ſah ich, daß es den Menſchen darſtellte, an welchem ſie
heut ſo kalt vorübergegangen war. Und jetzt — unbe-
greiflich — erfaßte ſie wieder das Bild und drückte ihre
Lippen darauf — gerade wie es der Menſch mit jener
Haarlocke gemacht. Jch weiß jetzt, daß dies das Zeichen

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[103/0109] Aus dem Tagebuche einer Ameiſe. Ob ſie in Sorgen wacht, ich weiß es nicht, Ob ſie das ſchöne Haupt geneigt zum Schlummer — Vielleicht, o Gott, gebeugt der ſtrengen Pflicht Muß jetzt ſie lächeln unter ihrem Kummer. Doch weiß ich Eins: Mit ihrem Schmerz allein Wildſchluchzend bebt ſie auf in heißem Sehnen — Jch weiß, auch ſie — auch ſie gedenket mein Und heimlich trocknet ſie die ſtillen Thränen. Es iſt mein Stern aus ſeiner Bahn gegangen Und ſeiner Pole Umſturz ward vollbracht. Nun wandel’ ich am Tage traumbefangen Und grübelnd bang durchwach’ ich meine Nacht. Jch blick’ empor, und meine Sinne irren Befremdet in der dunkeln Welt umher. Sind es nur Nebel, die den Weg mir wirren, Sperrt ewig ihn das abgrundtiefe Meer? Noch glüht ein Schimmer mir aus Wolken nieder, Ein ferner Hoffnungsſtrahl, der ſie durchbricht. O raub’ ihn nicht! Gieb mir das Leben wieder! Geliebte Sonne, gönne mir dein Licht! Das Bild war ihrer Hand entfallen. Mit Erſtaunen ſah ich, daß es den Menſchen darſtellte, an welchem ſie heut ſo kalt vorübergegangen war. Und jetzt — unbe- greiflich — erfaßte ſie wieder das Bild und drückte ihre Lippen darauf — gerade wie es der Menſch mit jener Haarlocke gemacht. Jch weiß jetzt, daß dies das Zeichen

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/109>, abgerufen am 27.04.2024.