Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

vermiethet; sie sind wie der Esel in der Mühle, der im
Kreise herumgehend ein Rad bewegt. Der höchste und
beste Grundsatz dieser Leute ist: "Erkläre auf die ein¬
fachste und beste Art, wie es die Hermeneutik bei
den sogenannten profanen Schriftstellern lehrt, die hei¬
lige Schrift und das Resultat dieser Erklärung sei
Deine Religion" und daneben sagen sie mir, der Stif¬
ter jener Religion sei ein vortrefflicher Mensch, aber
nur ein Mensch gewesen und dieser Mensch soll nun
eine Glaubens- und Sittenlehre gegeben haben, die
nach 1800 Jahren ganz andern Ländern, nachdem alle
gesellschaftlichen Verhältnisse zehnmal umgestürzt und um¬
geändert worden sind, noch unverändert gelten soll!
Daher die Erscheinung, daß der gebildete Theil der Welt,
welcher nicht von der Theologie lebt, überall eine eigne
Sittenlehre hat, und von sogenannten Sündern wim¬
melt; daher die wunderbare Stellung, welche der Theo¬
loge unbefangenen Leuten gegenüber einnimmt; daher
der Glaube, die Theologie sei blos da, um dem Volke
etwas vorzumachen, ihm etwas zu thun zu geben."

"Die gesellschaftlichen Verhältnisse und die mora¬
lischen Anforderungen müssen Eins das Andere bedingen,
Eins in dem Andern aufgehen: so wenig wie ich ver¬

vermiethet; ſie ſind wie der Eſel in der Mühle, der im
Kreiſe herumgehend ein Rad bewegt. Der höchſte und
beſte Grundſatz dieſer Leute iſt: „Erkläre auf die ein¬
fachſte und beſte Art, wie es die Hermeneutik bei
den ſogenannten profanen Schriftſtellern lehrt, die hei¬
lige Schrift und das Reſultat dieſer Erklärung ſei
Deine Religion“ und daneben ſagen ſie mir, der Stif¬
ter jener Religion ſei ein vortrefflicher Menſch, aber
nur ein Menſch geweſen und dieſer Menſch ſoll nun
eine Glaubens- und Sittenlehre gegeben haben, die
nach 1800 Jahren ganz andern Ländern, nachdem alle
geſellſchaftlichen Verhältniſſe zehnmal umgeſtürzt und um¬
geändert worden ſind, noch unverändert gelten ſoll!
Daher die Erſcheinung, daß der gebildete Theil der Welt,
welcher nicht von der Theologie lebt, überall eine eigne
Sittenlehre hat, und von ſogenannten Sündern wim¬
melt; daher die wunderbare Stellung, welche der Theo¬
loge unbefangenen Leuten gegenüber einnimmt; daher
der Glaube, die Theologie ſei blos da, um dem Volke
etwas vorzumachen, ihm etwas zu thun zu geben.“

„Die geſellſchaftlichen Verhältniſſe und die mora¬
liſchen Anforderungen müſſen Eins das Andere bedingen,
Eins in dem Andern aufgehen: ſo wenig wie ich ver¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0149" n="137"/>
vermiethet; &#x017F;ie &#x017F;ind wie der E&#x017F;el in der Mühle, der im<lb/>
Krei&#x017F;e herumgehend ein Rad bewegt. Der höch&#x017F;te und<lb/>
be&#x017F;te Grund&#x017F;atz die&#x017F;er Leute i&#x017F;t: &#x201E;Erkläre auf die ein¬<lb/>
fach&#x017F;te und be&#x017F;te Art, wie es die Hermeneutik bei<lb/>
den &#x017F;ogenannten profanen Schrift&#x017F;tellern lehrt, die hei¬<lb/>
lige Schrift und das Re&#x017F;ultat die&#x017F;er Erklärung &#x017F;ei<lb/>
Deine Religion&#x201C; und daneben &#x017F;agen &#x017F;ie mir, der Stif¬<lb/>
ter jener Religion &#x017F;ei ein vortrefflicher Men&#x017F;ch, aber<lb/>
nur ein Men&#x017F;ch gewe&#x017F;en und die&#x017F;er Men&#x017F;ch &#x017F;oll nun<lb/>
eine Glaubens- und Sittenlehre gegeben haben, die<lb/>
nach 1800 Jahren ganz andern Ländern, nachdem alle<lb/>
ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Verhältni&#x017F;&#x017F;e zehnmal umge&#x017F;türzt und um¬<lb/>
geändert worden &#x017F;ind, noch unverändert gelten &#x017F;oll!<lb/>
Daher die Er&#x017F;cheinung, daß der gebildete Theil der Welt,<lb/>
welcher nicht von der Theologie lebt, überall eine eigne<lb/>
Sittenlehre hat, und von &#x017F;ogenannten Sündern wim¬<lb/>
melt; daher die wunderbare Stellung, welche der Theo¬<lb/>
loge unbefangenen Leuten gegenüber einnimmt; daher<lb/>
der Glaube, die Theologie &#x017F;ei blos da, um dem Volke<lb/>
etwas vorzumachen, ihm etwas zu thun zu geben.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Die ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Verhältni&#x017F;&#x017F;e und die mora¬<lb/>
li&#x017F;chen Anforderungen mü&#x017F;&#x017F;en Eins das Andere bedingen,<lb/>
Eins in dem Andern aufgehen: &#x017F;o wenig wie ich ver¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0149] vermiethet; ſie ſind wie der Eſel in der Mühle, der im Kreiſe herumgehend ein Rad bewegt. Der höchſte und beſte Grundſatz dieſer Leute iſt: „Erkläre auf die ein¬ fachſte und beſte Art, wie es die Hermeneutik bei den ſogenannten profanen Schriftſtellern lehrt, die hei¬ lige Schrift und das Reſultat dieſer Erklärung ſei Deine Religion“ und daneben ſagen ſie mir, der Stif¬ ter jener Religion ſei ein vortrefflicher Menſch, aber nur ein Menſch geweſen und dieſer Menſch ſoll nun eine Glaubens- und Sittenlehre gegeben haben, die nach 1800 Jahren ganz andern Ländern, nachdem alle geſellſchaftlichen Verhältniſſe zehnmal umgeſtürzt und um¬ geändert worden ſind, noch unverändert gelten ſoll! Daher die Erſcheinung, daß der gebildete Theil der Welt, welcher nicht von der Theologie lebt, überall eine eigne Sittenlehre hat, und von ſogenannten Sündern wim¬ melt; daher die wunderbare Stellung, welche der Theo¬ loge unbefangenen Leuten gegenüber einnimmt; daher der Glaube, die Theologie ſei blos da, um dem Volke etwas vorzumachen, ihm etwas zu thun zu geben.“ „Die geſellſchaftlichen Verhältniſſe und die mora¬ liſchen Anforderungen müſſen Eins das Andere bedingen, Eins in dem Andern aufgehen: ſo wenig wie ich ver¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/149
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/149>, abgerufen am 03.05.2024.