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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

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Etwas über Pferde.
"Engländer, oder ein Polak, ein Däne, oder ein Ungar ist. Wenn ein Pferd breite, lange, weit
"von einander abstehende, herunterhängende Ohren hat, so wissen wir alle gewiß, daß es faul und
"träg ist. Geht ein Ohr immer hin, das andere her, so ist es scheu und tückisch; dahingegen feine,
"spitze, nach vorne zu gerichtete Ohren, ein gutes Pferd von gutem Humeur andeuten. -- Du
"wirst dir doch nie weißmachen lassen, daß ein Pferd mit einem am Nacken dicken Schweinhalse
"ein gutes gelehriges Schulpferd werden könne, und daß es von starker Natur sey, wenn die
"Schweifrübe sich so leicht auf und nieder ziehen läßt -- wie ein Hundeschwanz; du denkst doch
"gewiß, daß ein Pferd, welches große muntere Augen, feine und glänzende Haare hat, wenn
"sonst nichts dabey zu erinnern ist, von guter Complexion und Verstand sey -- Du besinnest dich
"doch noch, was mein seliger Vater uns immer sagte: Jungens, gebt acht, ob ein Pferd will, und
"ob es kann. Ein Pferd von lustigem, leutseligem Humeur will; ein Pferd, an dessen Gebäude,
"Knochen und Gelenken nichts auszusetzen ist, kann. Deswegen sehet nicht auf ein Zeichen al-
"lein, sondern auf so viele ihr nur immer könnt, so werdet ihr am wenigsten beheftet. Durchs
"Reiten lernt ihr wohl ein Pferd näher kennen, wie die Menschen durch den Umgang, aber ob ihr
"aufs Roß handeln wollt, müßt ihr doch vom Ansehen haben -- Das ist nun von Ochsen und
"Schaafen, vielleicht von allen Thieren, eben so wahr als von Pferden. Ein weißer Ochse taugt
"lange nicht so gut zum Zug- und Arbeitsochsen, als ein schwarzer oder rothbrauner. Er ist
"schwächlicher und kränklicher, als diese. Ein Schaaf, das kurze Beine, einen starken Hals,
"breiten Rücken, und muntere Augen hat, ist ein gutes Zuchtschaaf, und bleibt gut bey der Heerde.
"Nun aber denke ich, wenn man bey den Thieren aus dem Aeußerlichen das Jnnere abnehmen
"kann, so sollte es bey den Menschen auch wohl möglich seyn können."


Drittes
K 2
Etwas uͤber Pferde.
„Englaͤnder, oder ein Polak, ein Daͤne, oder ein Ungar iſt. Wenn ein Pferd breite, lange, weit
„von einander abſtehende, herunterhaͤngende Ohren hat, ſo wiſſen wir alle gewiß, daß es faul und
„traͤg iſt. Geht ein Ohr immer hin, das andere her, ſo iſt es ſcheu und tuͤckiſch; dahingegen feine,
„ſpitze, nach vorne zu gerichtete Ohren, ein gutes Pferd von gutem Humeur andeuten. — Du
„wirſt dir doch nie weißmachen laſſen, daß ein Pferd mit einem am Nacken dicken Schweinhalſe
„ein gutes gelehriges Schulpferd werden koͤnne, und daß es von ſtarker Natur ſey, wenn die
„Schweifruͤbe ſich ſo leicht auf und nieder ziehen laͤßt — wie ein Hundeſchwanz; du denkſt doch
„gewiß, daß ein Pferd, welches große muntere Augen, feine und glaͤnzende Haare hat, wenn
„ſonſt nichts dabey zu erinnern iſt, von guter Complexion und Verſtand ſey — Du beſinneſt dich
„doch noch, was mein ſeliger Vater uns immer ſagte: Jungens, gebt acht, ob ein Pferd will, und
„ob es kann. Ein Pferd von luſtigem, leutſeligem Humeur will; ein Pferd, an deſſen Gebaͤude,
„Knochen und Gelenken nichts auszuſetzen iſt, kann. Deswegen ſehet nicht auf ein Zeichen al-
„lein, ſondern auf ſo viele ihr nur immer koͤnnt, ſo werdet ihr am wenigſten beheftet. Durchs
„Reiten lernt ihr wohl ein Pferd naͤher kennen, wie die Menſchen durch den Umgang, aber ob ihr
„aufs Roß handeln wollt, muͤßt ihr doch vom Anſehen haben — Das iſt nun von Ochſen und
„Schaafen, vielleicht von allen Thieren, eben ſo wahr als von Pferden. Ein weißer Ochſe taugt
„lange nicht ſo gut zum Zug- und Arbeitsochſen, als ein ſchwarzer oder rothbrauner. Er iſt
„ſchwaͤchlicher und kraͤnklicher, als dieſe. Ein Schaaf, das kurze Beine, einen ſtarken Hals,
„breiten Ruͤcken, und muntere Augen hat, iſt ein gutes Zuchtſchaaf, und bleibt gut bey der Heerde.
„Nun aber denke ich, wenn man bey den Thieren aus dem Aeußerlichen das Jnnere abnehmen
„kann, ſo ſollte es bey den Menſchen auch wohl moͤglich ſeyn koͤnnen.“


Drittes
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[75/0111] Etwas uͤber Pferde. „Englaͤnder, oder ein Polak, ein Daͤne, oder ein Ungar iſt. Wenn ein Pferd breite, lange, weit „von einander abſtehende, herunterhaͤngende Ohren hat, ſo wiſſen wir alle gewiß, daß es faul und „traͤg iſt. Geht ein Ohr immer hin, das andere her, ſo iſt es ſcheu und tuͤckiſch; dahingegen feine, „ſpitze, nach vorne zu gerichtete Ohren, ein gutes Pferd von gutem Humeur andeuten. — Du „wirſt dir doch nie weißmachen laſſen, daß ein Pferd mit einem am Nacken dicken Schweinhalſe „ein gutes gelehriges Schulpferd werden koͤnne, und daß es von ſtarker Natur ſey, wenn die „Schweifruͤbe ſich ſo leicht auf und nieder ziehen laͤßt — wie ein Hundeſchwanz; du denkſt doch „gewiß, daß ein Pferd, welches große muntere Augen, feine und glaͤnzende Haare hat, wenn „ſonſt nichts dabey zu erinnern iſt, von guter Complexion und Verſtand ſey — Du beſinneſt dich „doch noch, was mein ſeliger Vater uns immer ſagte: Jungens, gebt acht, ob ein Pferd will, und „ob es kann. Ein Pferd von luſtigem, leutſeligem Humeur will; ein Pferd, an deſſen Gebaͤude, „Knochen und Gelenken nichts auszuſetzen iſt, kann. Deswegen ſehet nicht auf ein Zeichen al- „lein, ſondern auf ſo viele ihr nur immer koͤnnt, ſo werdet ihr am wenigſten beheftet. Durchs „Reiten lernt ihr wohl ein Pferd naͤher kennen, wie die Menſchen durch den Umgang, aber ob ihr „aufs Roß handeln wollt, muͤßt ihr doch vom Anſehen haben — Das iſt nun von Ochſen und „Schaafen, vielleicht von allen Thieren, eben ſo wahr als von Pferden. Ein weißer Ochſe taugt „lange nicht ſo gut zum Zug- und Arbeitsochſen, als ein ſchwarzer oder rothbrauner. Er iſt „ſchwaͤchlicher und kraͤnklicher, als dieſe. Ein Schaaf, das kurze Beine, einen ſtarken Hals, „breiten Ruͤcken, und muntere Augen hat, iſt ein gutes Zuchtſchaaf, und bleibt gut bey der Heerde. „Nun aber denke ich, wenn man bey den Thieren aus dem Aeußerlichen das Jnnere abnehmen „kann, ſo ſollte es bey den Menſchen auch wohl moͤglich ſeyn koͤnnen.“ Drittes K 2

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/111>, abgerufen am 29.04.2024.