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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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IV. Abschnitt. V. Fragment.
mit kleinen Nasen von hohlem Profil gesehen -- aber dieser ihre Vortrefflichkeit besteht mehr im
Leiden und Hören, Lernen, Empfangen, Genießen feiner geistiger Wirkungen, (wenn nämlich ihr
übriger Bau fein organisirt ist.) Oben bey der Wurzel vorgebogene Nasen hingegen sind vortreff-
licher zum Gebieten, Herrschen, Wirken, Durchsetzen, Zerstören. Geradlinigte Nasen möchte
ich Schlußsteine zwischen den beyden andern nennen. Sie wirken und leiden mit Kraft und
Stille.

Boerhave, Sokrates, Läreße, hatten mehr und minder häßliche Nasen, und waren
große Männer -- aber ihr Charakter war sanft und duldend.

Jch habe noch nie eine Nase mit einem breiten Rücken gesehen, er mochte nun gebogen oder
gerade seyn -- als an ganz außerordentlichen Menschen. Man kann auch zehntausend lebende Ge-
sichter, und tausend Porträte merkwürdiger Menschen durchgehen, ehe man eine einzige solche findet.

Mehr und weniger solche Nasen hatten z. E. Raynal, Faustus Socinus, Swift, Cä-
sar Borgia, Clepzecker, Anton Pagi, Johann Carl von Enkenberg,
(ein Mann von
Simsonscher Stärke,) Paul Sarpi, Petrus Medizis, Franciscus Carracci, Caßini,
Lukas von Leyden, Titian.

Es giebt aber auch Nasen, die keinen breiten Rücken haben, oben bey der Wurzel sehr
schmal sind -- von außerordentlicher Kraft. Aber ihre Kraft ist mehr elastisch, mehr momentan --
als fortdrückend.

Die tartarischen Völker haben durchgehends platte eingebogene Nasen -- Die afrikani-
schen Schwarzen
Stumpfnasen, die Juden größtentheils Habichtsnasen -- Die Engländer
haben selten spitze Nasen, mehrentheils knorpelicht. Die Holländer haben, aus Porträten zu
schließen, selten schöne und sehr bedeutende Nasen. -- Große und bedeutende Nasen haben die Jta-
liäner;
die großen Franzosen haben, meines Ermessens, den Charakter ihrer Größe am meisten
in den Nasen. Man sehe z. E. die Porträtsammlungen von Perault und Morin.

Kleine Nasenlöcher beynahe ein sicheres Zeichen ununternehmender Furchtsamkeit. Sicht-
bar athmende, offne Nasenflügel ein sicheres Zeichen feiner Empfindung, die leicht in Sinnlichkeit
und Wollust ausarten kann.

Nachste-

IV. Abſchnitt. V. Fragment.
mit kleinen Naſen von hohlem Profil geſehen — aber dieſer ihre Vortrefflichkeit beſteht mehr im
Leiden und Hoͤren, Lernen, Empfangen, Genießen feiner geiſtiger Wirkungen, (wenn naͤmlich ihr
uͤbriger Bau fein organiſirt iſt.) Oben bey der Wurzel vorgebogene Naſen hingegen ſind vortreff-
licher zum Gebieten, Herrſchen, Wirken, Durchſetzen, Zerſtoͤren. Geradlinigte Naſen moͤchte
ich Schlußſteine zwiſchen den beyden andern nennen. Sie wirken und leiden mit Kraft und
Stille.

Boerhave, Sokrates, Laͤreße, hatten mehr und minder haͤßliche Naſen, und waren
große Maͤnner — aber ihr Charakter war ſanft und duldend.

Jch habe noch nie eine Naſe mit einem breiten Ruͤcken geſehen, er mochte nun gebogen oder
gerade ſeyn — als an ganz außerordentlichen Menſchen. Man kann auch zehntauſend lebende Ge-
ſichter, und tauſend Portraͤte merkwuͤrdiger Menſchen durchgehen, ehe man eine einzige ſolche findet.

Mehr und weniger ſolche Naſen hatten z. E. Raynal, Fauſtus Socinus, Swift, Caͤ-
ſar Borgia, Clepzecker, Anton Pagi, Johann Carl von Enkenberg,
(ein Mann von
Simſonſcher Staͤrke,) Paul Sarpi, Petrus Medizis, Franciſcus Carracci, Caßini,
Lukas von Leyden, Titian.

Es giebt aber auch Naſen, die keinen breiten Ruͤcken haben, oben bey der Wurzel ſehr
ſchmal ſind — von außerordentlicher Kraft. Aber ihre Kraft iſt mehr elaſtiſch, mehr momentan —
als fortdruͤckend.

Die tartariſchen Voͤlker haben durchgehends platte eingebogene Naſen — Die afrikani-
ſchen Schwarzen
Stumpfnaſen, die Juden groͤßtentheils Habichtsnaſen — Die Englaͤnder
haben ſelten ſpitze Naſen, mehrentheils knorpelicht. Die Hollaͤnder haben, aus Portraͤten zu
ſchließen, ſelten ſchoͤne und ſehr bedeutende Naſen. — Große und bedeutende Naſen haben die Jta-
liaͤner;
die großen Franzoſen haben, meines Ermeſſens, den Charakter ihrer Groͤße am meiſten
in den Naſen. Man ſehe z. E. die Portraͤtſammlungen von Perault und Morin.

Kleine Naſenloͤcher beynahe ein ſicheres Zeichen ununternehmender Furchtſamkeit. Sicht-
bar athmende, offne Naſenfluͤgel ein ſicheres Zeichen feiner Empfindung, die leicht in Sinnlichkeit
und Wolluſt ausarten kann.

Nachſte-
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[258/0298] IV. Abſchnitt. V. Fragment. mit kleinen Naſen von hohlem Profil geſehen — aber dieſer ihre Vortrefflichkeit beſteht mehr im Leiden und Hoͤren, Lernen, Empfangen, Genießen feiner geiſtiger Wirkungen, (wenn naͤmlich ihr uͤbriger Bau fein organiſirt iſt.) Oben bey der Wurzel vorgebogene Naſen hingegen ſind vortreff- licher zum Gebieten, Herrſchen, Wirken, Durchſetzen, Zerſtoͤren. Geradlinigte Naſen moͤchte ich Schlußſteine zwiſchen den beyden andern nennen. Sie wirken und leiden mit Kraft und Stille. Boerhave, Sokrates, Laͤreße, hatten mehr und minder haͤßliche Naſen, und waren große Maͤnner — aber ihr Charakter war ſanft und duldend. Jch habe noch nie eine Naſe mit einem breiten Ruͤcken geſehen, er mochte nun gebogen oder gerade ſeyn — als an ganz außerordentlichen Menſchen. Man kann auch zehntauſend lebende Ge- ſichter, und tauſend Portraͤte merkwuͤrdiger Menſchen durchgehen, ehe man eine einzige ſolche findet. Mehr und weniger ſolche Naſen hatten z. E. Raynal, Fauſtus Socinus, Swift, Caͤ- ſar Borgia, Clepzecker, Anton Pagi, Johann Carl von Enkenberg, (ein Mann von Simſonſcher Staͤrke,) Paul Sarpi, Petrus Medizis, Franciſcus Carracci, Caßini, Lukas von Leyden, Titian. Es giebt aber auch Naſen, die keinen breiten Ruͤcken haben, oben bey der Wurzel ſehr ſchmal ſind — von außerordentlicher Kraft. Aber ihre Kraft iſt mehr elaſtiſch, mehr momentan — als fortdruͤckend. Die tartariſchen Voͤlker haben durchgehends platte eingebogene Naſen — Die afrikani- ſchen Schwarzen Stumpfnaſen, die Juden groͤßtentheils Habichtsnaſen — Die Englaͤnder haben ſelten ſpitze Naſen, mehrentheils knorpelicht. Die Hollaͤnder haben, aus Portraͤten zu ſchließen, ſelten ſchoͤne und ſehr bedeutende Naſen. — Große und bedeutende Naſen haben die Jta- liaͤner; die großen Franzoſen haben, meines Ermeſſens, den Charakter ihrer Groͤße am meiſten in den Naſen. Man ſehe z. E. die Portraͤtſammlungen von Perault und Morin. Kleine Naſenloͤcher beynahe ein ſicheres Zeichen ununternehmender Furchtſamkeit. Sicht- bar athmende, offne Naſenfluͤgel ein ſicheres Zeichen feiner Empfindung, die leicht in Sinnlichkeit und Wolluſt ausarten kann. Nachſte-

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/298>, abgerufen am 28.04.2024.