Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.V. Abschnitt. IV. Fragment. d) Und wer kennt nicht den Elsaßer, und in demselben den freundlichgefälligen, unter- [Abbildung]
e) Michael Le Masle.*) Des IV Ban-des XIV Ta- fel. M. Le Masle. Ein französisches Gesicht in deutschen Kupferstich übersetzt; könnte wirklich eines f) Hier *) [Spaltenumbruch]
Jch weiß nichts von dem Manne, und noch weni-
ger, in wiefern ihm das Bild ähnlich ist. Aber das weiß ich: das Gesicht, das wir vor uns haben, ist kein gros- ses, aber ein kluges Gesicht -- nicht ein weises, sondern ein kluges -- Weisheit macht die Physiognomie frey: Klugheit, in sofern sie bloß Klugheit ist, gepreßt und gespannt -- Die hohe geräumige Stirne faßt erstaun- lich viel, ordnet und hält fest, giebt nichts zurück, als was sie geben will und wie sie geben will, alles gemes- [Spaltenumbruch] sen, gezählt und gewogen; nichts mit Kindereinfalt und nichts mit Etourderie -- Eigentlicher Tiefsinn, sym- bolische Weisheit, Abstraktionsverstand finde ich keinen in dieser Stirne, dieser Augenbraune. Aber diese Au- gen wahrhaftig klug -- obgleich nicht groß klug. Der Kreis ihrer Klugheit ist beschränkt und überschaubar. Bestimmtheit ist der Charakter aller Züge dieses Ge- sichtes und Charakters. Durchaus keine Größe -- aber durchaus kluge Bestimmtheit. Diese V. Abſchnitt. IV. Fragment. d) Und wer kennt nicht den Elſaßer, und in demſelben den freundlichgefaͤlligen, unter- [Abbildung]
e) Michael Le Masle.*) Des IV Ban-des XIV Ta- fel. M. Le Masle. Ein franzoͤſiſches Geſicht in deutſchen Kupferſtich uͤberſetzt; koͤnnte wirklich eines f) Hier *) [Spaltenumbruch]
Jch weiß nichts von dem Manne, und noch weni-
ger, in wiefern ihm das Bild aͤhnlich iſt. Aber das weiß ich: das Geſicht, das wir vor uns haben, iſt kein groſ- ſes, aber ein kluges Geſicht — nicht ein weiſes, ſondern ein kluges — Weisheit macht die Phyſiognomie frey: Klugheit, in ſofern ſie bloß Klugheit iſt, gepreßt und geſpannt — Die hohe geraͤumige Stirne faßt erſtaun- lich viel, ordnet und haͤlt feſt, giebt nichts zuruͤck, als was ſie geben will und wie ſie geben will, alles gemeſ- [Spaltenumbruch] ſen, gezaͤhlt und gewogen; nichts mit Kindereinfalt und nichts mit Etourderie — Eigentlicher Tiefſinn, ſym- boliſche Weisheit, Abſtraktionsverſtand finde ich keinen in dieſer Stirne, dieſer Augenbraune. Aber dieſe Au- gen wahrhaftig klug — obgleich nicht groß klug. Der Kreis ihrer Klugheit iſt beſchraͤnkt und uͤberſchaubar. Beſtimmtheit iſt der Charakter aller Zuͤge dieſes Ge- ſichtes und Charakters. Durchaus keine Groͤße — aber durchaus kluge Beſtimmtheit. Dieſe <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0334" n="292"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">V.</hi> Abſchnitt. <hi rendition="#aq">IV.</hi> Fragment.</hi> </fw><lb/> <p><hi rendition="#aq">d)</hi> Und wer kennt nicht den <hi rendition="#fr">Elſaßer,</hi> und in demſelben den freundlichgefaͤlligen, unter-<lb/> haltenden, allenfalls ſuͤßen Geſellſchafter im nachſtehenden Bilde.</p><lb/> <figure/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">e)</hi> Michael Le Masle.</hi> <note xml:id="a46" next="#a47" place="foot" n="*)"><cb/> Jch weiß nichts von dem Manne, und noch weni-<lb/> ger, in wiefern ihm das Bild aͤhnlich iſt. Aber das weiß<lb/> ich: das Geſicht, das wir vor uns haben, iſt kein groſ-<lb/> ſes, aber ein kluges Geſicht — nicht ein weiſes, ſondern<lb/> ein kluges — <hi rendition="#fr">Weisheit</hi> macht die Phyſiognomie frey:<lb/><hi rendition="#fr">Klugheit,</hi> in ſofern ſie bloß <hi rendition="#fr">Klugheit</hi> iſt, gepreßt und<lb/> geſpannt — Die hohe geraͤumige Stirne faßt erſtaun-<lb/> lich viel, ordnet und haͤlt feſt, giebt nichts zuruͤck, als<lb/> was ſie geben will und wie ſie geben will, alles gemeſ-<lb/><cb/> ſen, gezaͤhlt und gewogen; nichts mit Kindereinfalt und<lb/> nichts mit Etourderie — Eigentlicher Tiefſinn, ſym-<lb/> boliſche Weisheit, Abſtraktionsverſtand finde ich keinen<lb/> in dieſer Stirne, dieſer Augenbraune. Aber dieſe Au-<lb/> gen wahrhaftig klug — obgleich nicht groß klug. Der<lb/> Kreis ihrer Klugheit iſt beſchraͤnkt und uͤberſchaubar.<lb/> Beſtimmtheit iſt der Charakter aller Zuͤge dieſes Ge-<lb/> ſichtes und Charakters. Durchaus keine Groͤße —<lb/> aber durchaus kluge Beſtimmtheit.<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Dieſe</fw></note> </hi> </p><lb/> <note place="left">Des <hi rendition="#aq">IV</hi> Ban-<lb/> des <hi rendition="#aq">XIV</hi> Ta-<lb/> fel. M. Le<lb/> Masle.</note> <p>Ein franzoͤſiſches Geſicht in deutſchen Kupferſtich uͤberſetzt; koͤnnte wirklich eines<lb/> Deutſchen, oder allenfalls eines Schweizers Geſicht ſeyn; und dennoch wuͤrde ein ſo<lb/> geknochtes Geſicht auf deutſchem Boden faltiger ſeyn. Sonſt iſts merkwuͤrdig, daß<lb/> dieß franzoͤſiſche Geſicht ſo viel deutſchen <hi rendition="#fr">Schnitt</hi> hat.</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">f)</hi> Hier</fw><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [292/0334]
V. Abſchnitt. IV. Fragment.
d) Und wer kennt nicht den Elſaßer, und in demſelben den freundlichgefaͤlligen, unter-
haltenden, allenfalls ſuͤßen Geſellſchafter im nachſtehenden Bilde.
[Abbildung]
e) Michael Le Masle. *)
Ein franzoͤſiſches Geſicht in deutſchen Kupferſtich uͤberſetzt; koͤnnte wirklich eines
Deutſchen, oder allenfalls eines Schweizers Geſicht ſeyn; und dennoch wuͤrde ein ſo
geknochtes Geſicht auf deutſchem Boden faltiger ſeyn. Sonſt iſts merkwuͤrdig, daß
dieß franzoͤſiſche Geſicht ſo viel deutſchen Schnitt hat.
f) Hier
*)
Jch weiß nichts von dem Manne, und noch weni-
ger, in wiefern ihm das Bild aͤhnlich iſt. Aber das weiß
ich: das Geſicht, das wir vor uns haben, iſt kein groſ-
ſes, aber ein kluges Geſicht — nicht ein weiſes, ſondern
ein kluges — Weisheit macht die Phyſiognomie frey:
Klugheit, in ſofern ſie bloß Klugheit iſt, gepreßt und
geſpannt — Die hohe geraͤumige Stirne faßt erſtaun-
lich viel, ordnet und haͤlt feſt, giebt nichts zuruͤck, als
was ſie geben will und wie ſie geben will, alles gemeſ-
ſen, gezaͤhlt und gewogen; nichts mit Kindereinfalt und
nichts mit Etourderie — Eigentlicher Tiefſinn, ſym-
boliſche Weisheit, Abſtraktionsverſtand finde ich keinen
in dieſer Stirne, dieſer Augenbraune. Aber dieſe Au-
gen wahrhaftig klug — obgleich nicht groß klug. Der
Kreis ihrer Klugheit iſt beſchraͤnkt und uͤberſchaubar.
Beſtimmtheit iſt der Charakter aller Zuͤge dieſes Ge-
ſichtes und Charakters. Durchaus keine Groͤße —
aber durchaus kluge Beſtimmtheit.
Dieſe
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Zitationshilfe: | Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/334>, abgerufen am 17.06.2024. |