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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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X. Abschnitt. I. Fragment.
Man lache nun, oder weine -- Natursinn, Naturgefühl, Sinn für die Natursprache aller Wesen hatte vielleicht
niemand mehr als dieser unverständliche Theosoph. Freylich unser diktatorisch journalistisches Zeitalter wird die-
sen Gedanken fein anspießen und Krucisige! schreyen -- Jch weiß, daß ich Freunde habe, die aus Liebe zu mei-
nem theologischen und philosophischen Credit schwachherzig und gutherzig genug wären, diese vier oder fünf Zei-
len mit eben so vielen Louisd'or, wenn's möglich wäre, aus diesem Blatte herauszukaufen; wenn sie's aber auch
thun wollten, und sogleich ein Armer neben mir stünde, der diese Louisd'or wohl zu gebrauchen wüßte; ich näh-
me sie nicht an. Es ist des galanten, honetten, polirten, kraftlosen, sich erst rechts und links umsehenden Ge-
schreibes genug, das sich scheut jeder unmodischen Wahrheit, die jedes kritische anonyme Studentchen aussticht,
und mit weichschwammiger Suffizienz im Triumphe schau führt! Schande dem Knaben -- Gelächter achtenden
Knaben! .. Jakob Böhme, sage ich, hat in seinen Schriften Spuren des tiefsten physiognomischen Sinnes
gegeben, weswegen ich sie aber niemandem, auch nicht dem philosophischen Physiognomen empfehlen will. Aber
empfehlen will ich Männern, die den Edelstein im Kothe nicht zertreten, sein unschätzbares Büchelgen von den
vier Complexionen.

Einer der prüfungswürdigsten Physiognomisten ist auch meines Bedünkens Wilhelm Gratarolus,
ein Bergamotischer Arzt. Jch empfehle sein Buch allen Physiognomen, besonders wegen seiner vorzüglichen Ge-
drängtheit und Reichhaltigkeit -- Es heißt: De praedictione morum naturarumque hominum facili, cum
ex inspectione vultus, aliarumque corporis partium, tum aliis modis.

Scipio Claramontius ist gewiß unter allen physiognomischen Schriftstellern der vorigen Jahrhun-
derte weitaus der beste und lesenswürdigste, gelehrt, und doch nicht bloß Zusammenstoppler. Viel wissend und
scharf urtheilend; fein unterscheidend, und dennoch gedrängt. Sein Buch de conjectandis cujusque moribus
et latitantibus animi affectibus
-- verdient, wo nicht durchaus übersetzt, doch ausgezogen, und mit kritischen
Anmerkungen und neuen Beobachtungen bereichert herausgegeben zu werden. Es mangelt erstaunlich viel dran,
ob es gleich an innerm Werthe reichhaltiger ist, als alle seine mir bekannte Vorgänger. Es ist nicht ohne viele
nachgeschriebene Unrichtigkeiten -- aber wer seine Vorgänger kennt, und vergleichen kann, wird das eigne,
selbstgedachte und gefundene darinn bewundern müssen -- Auch da, wo er mir nicht genug thut, habe ich ihn
immer denkend, überlegend -- und aller seiner Schulgerechtigkeit ungeachtet, selten trocken, nie witzelnd, und
nie anders als würdig gefunden. Würde fehlt so vielen neuern physiognomischen und antiphysiognomischen
Schristen -- wo ich diese finde, rein von Affektation und Prätension, so wird mir gleich wohl ums Herz --
und diese Würde, man mag aufschlagen wo man will, wird man durchaus im Claramontius finden. Er ist
nichts weniger als ein bloßer Schul- oder Cabinetsgelehrter. Seine physiognomische Kenntniß vereinigt sich mit
allgemeiner moralisch politischer Menschenkenntniß. Er pflegt seine allgemeinen Regeln pünktlich und genau auf
besondere Vorfälle und Umstände anzuwenden. Seine erstaunliche Gelehrsamkeit ist glücklich in seine Schlüsse

und

X. Abſchnitt. I. Fragment.
Man lache nun, oder weine — Naturſinn, Naturgefuͤhl, Sinn fuͤr die Naturſprache aller Weſen hatte vielleicht
niemand mehr als dieſer unverſtaͤndliche Theoſoph. Freylich unſer diktatoriſch journaliſtiſches Zeitalter wird die-
ſen Gedanken fein anſpießen und Kruciſige! ſchreyen — Jch weiß, daß ich Freunde habe, die aus Liebe zu mei-
nem theologiſchen und philoſophiſchen Credit ſchwachherzig und gutherzig genug waͤren, dieſe vier oder fuͤnf Zei-
len mit eben ſo vielen Louisd’or, wenn’s moͤglich waͤre, aus dieſem Blatte herauszukaufen; wenn ſie’s aber auch
thun wollten, und ſogleich ein Armer neben mir ſtuͤnde, der dieſe Louisd’or wohl zu gebrauchen wuͤßte; ich naͤh-
me ſie nicht an. Es iſt des galanten, honetten, polirten, kraftloſen, ſich erſt rechts und links umſehenden Ge-
ſchreibes genug, das ſich ſcheut jeder unmodiſchen Wahrheit, die jedes kritiſche anonyme Studentchen ausſticht,
und mit weichſchwammiger Suffizienz im Triumphe ſchau fuͤhrt! Schande dem Knaben — Gelaͤchter achtenden
Knaben! .. Jakob Boͤhme, ſage ich, hat in ſeinen Schriften Spuren des tiefſten phyſiognomiſchen Sinnes
gegeben, weswegen ich ſie aber niemandem, auch nicht dem philoſophiſchen Phyſiognomen empfehlen will. Aber
empfehlen will ich Maͤnnern, die den Edelſtein im Kothe nicht zertreten, ſein unſchaͤtzbares Buͤchelgen von den
vier Complexionen.

Einer der pruͤfungswuͤrdigſten Phyſiognomiſten iſt auch meines Beduͤnkens Wilhelm Gratarolus,
ein Bergamotiſcher Arzt. Jch empfehle ſein Buch allen Phyſiognomen, beſonders wegen ſeiner vorzuͤglichen Ge-
draͤngtheit und Reichhaltigkeit — Es heißt: De praedictione morum naturarumque hominum facili, cum
ex inſpectione vultus, aliarumque corporis partium, tum aliis modis.

Scipio Claramontius iſt gewiß unter allen phyſiognomiſchen Schriftſtellern der vorigen Jahrhun-
derte weitaus der beſte und leſenswuͤrdigſte, gelehrt, und doch nicht bloß Zuſammenſtoppler. Viel wiſſend und
ſcharf urtheilend; fein unterſcheidend, und dennoch gedraͤngt. Sein Buch de conjectandis cujusque moribus
et latitantibus animi affectibus
— verdient, wo nicht durchaus uͤberſetzt, doch ausgezogen, und mit kritiſchen
Anmerkungen und neuen Beobachtungen bereichert herausgegeben zu werden. Es mangelt erſtaunlich viel dran,
ob es gleich an innerm Werthe reichhaltiger iſt, als alle ſeine mir bekannte Vorgaͤnger. Es iſt nicht ohne viele
nachgeſchriebene Unrichtigkeiten — aber wer ſeine Vorgaͤnger kennt, und vergleichen kann, wird das eigne,
ſelbſtgedachte und gefundene darinn bewundern muͤſſen — Auch da, wo er mir nicht genug thut, habe ich ihn
immer denkend, uͤberlegend — und aller ſeiner Schulgerechtigkeit ungeachtet, ſelten trocken, nie witzelnd, und
nie anders als wuͤrdig gefunden. Wuͤrde fehlt ſo vielen neuern phyſiognomiſchen und antiphyſiognomiſchen
Schriſten — wo ich dieſe finde, rein von Affektation und Praͤtenſion, ſo wird mir gleich wohl ums Herz —
und dieſe Wuͤrde, man mag aufſchlagen wo man will, wird man durchaus im Claramontius finden. Er iſt
nichts weniger als ein bloßer Schul- oder Cabinetsgelehrter. Seine phyſiognomiſche Kenntniß vereinigt ſich mit
allgemeiner moraliſch politiſcher Menſchenkenntniß. Er pflegt ſeine allgemeinen Regeln puͤnktlich und genau auf
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[468/0612] X. Abſchnitt. I. Fragment. Man lache nun, oder weine — Naturſinn, Naturgefuͤhl, Sinn fuͤr die Naturſprache aller Weſen hatte vielleicht niemand mehr als dieſer unverſtaͤndliche Theoſoph. Freylich unſer diktatoriſch journaliſtiſches Zeitalter wird die- ſen Gedanken fein anſpießen und Kruciſige! ſchreyen — Jch weiß, daß ich Freunde habe, die aus Liebe zu mei- nem theologiſchen und philoſophiſchen Credit ſchwachherzig und gutherzig genug waͤren, dieſe vier oder fuͤnf Zei- len mit eben ſo vielen Louisd’or, wenn’s moͤglich waͤre, aus dieſem Blatte herauszukaufen; wenn ſie’s aber auch thun wollten, und ſogleich ein Armer neben mir ſtuͤnde, der dieſe Louisd’or wohl zu gebrauchen wuͤßte; ich naͤh- me ſie nicht an. Es iſt des galanten, honetten, polirten, kraftloſen, ſich erſt rechts und links umſehenden Ge- ſchreibes genug, das ſich ſcheut jeder unmodiſchen Wahrheit, die jedes kritiſche anonyme Studentchen ausſticht, und mit weichſchwammiger Suffizienz im Triumphe ſchau fuͤhrt! Schande dem Knaben — Gelaͤchter achtenden Knaben! .. Jakob Boͤhme, ſage ich, hat in ſeinen Schriften Spuren des tiefſten phyſiognomiſchen Sinnes gegeben, weswegen ich ſie aber niemandem, auch nicht dem philoſophiſchen Phyſiognomen empfehlen will. Aber empfehlen will ich Maͤnnern, die den Edelſtein im Kothe nicht zertreten, ſein unſchaͤtzbares Buͤchelgen von den vier Complexionen. Einer der pruͤfungswuͤrdigſten Phyſiognomiſten iſt auch meines Beduͤnkens Wilhelm Gratarolus, ein Bergamotiſcher Arzt. Jch empfehle ſein Buch allen Phyſiognomen, beſonders wegen ſeiner vorzuͤglichen Ge- draͤngtheit und Reichhaltigkeit — Es heißt: De praedictione morum naturarumque hominum facili, cum ex inſpectione vultus, aliarumque corporis partium, tum aliis modis. Scipio Claramontius iſt gewiß unter allen phyſiognomiſchen Schriftſtellern der vorigen Jahrhun- derte weitaus der beſte und leſenswuͤrdigſte, gelehrt, und doch nicht bloß Zuſammenſtoppler. Viel wiſſend und ſcharf urtheilend; fein unterſcheidend, und dennoch gedraͤngt. Sein Buch de conjectandis cujusque moribus et latitantibus animi affectibus — verdient, wo nicht durchaus uͤberſetzt, doch ausgezogen, und mit kritiſchen Anmerkungen und neuen Beobachtungen bereichert herausgegeben zu werden. Es mangelt erſtaunlich viel dran, ob es gleich an innerm Werthe reichhaltiger iſt, als alle ſeine mir bekannte Vorgaͤnger. Es iſt nicht ohne viele nachgeſchriebene Unrichtigkeiten — aber wer ſeine Vorgaͤnger kennt, und vergleichen kann, wird das eigne, ſelbſtgedachte und gefundene darinn bewundern muͤſſen — Auch da, wo er mir nicht genug thut, habe ich ihn immer denkend, uͤberlegend — und aller ſeiner Schulgerechtigkeit ungeachtet, ſelten trocken, nie witzelnd, und nie anders als wuͤrdig gefunden. Wuͤrde fehlt ſo vielen neuern phyſiognomiſchen und antiphyſiognomiſchen Schriſten — wo ich dieſe finde, rein von Affektation und Praͤtenſion, ſo wird mir gleich wohl ums Herz — und dieſe Wuͤrde, man mag aufſchlagen wo man will, wird man durchaus im Claramontius finden. Er iſt nichts weniger als ein bloßer Schul- oder Cabinetsgelehrter. Seine phyſiognomiſche Kenntniß vereinigt ſich mit allgemeiner moraliſch politiſcher Menſchenkenntniß. Er pflegt ſeine allgemeinen Regeln puͤnktlich und genau auf beſondere Vorfaͤlle und Umſtaͤnde anzuwenden. Seine erſtaunliche Gelehrſamkeit iſt gluͤcklich in ſeine Schluͤſſe und

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/612>, abgerufen am 29.04.2024.