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Ledebur, Adolf: Handbuch der Eisenhüttenkunde. Leipzig, 1884.

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Die Darstellung des Flusseisens.
worden 1); die praktische Ausführung des Verfahrens im Grossen aber
scheiterte an der Schwierigkeit, ein basisches Futter herzustellen, welches
in der hohen Schmelztemperatur des flüssigen Eisens ausreichend halt-
bar ist. Eisenoxydreiche Schlacken, dieses bewährte Futter der Puddel-
ofenherde, sind für den Bessemerprocess, wo flüssiges schmiedbares
Eisen erzeugt werden soll, bei Weitem nicht haltbar genug; und die
stattfindende Reduction der Eisenoxyde durch Kohlenstoff würde eine
Abkühlung des Bades herbeiführen (vergl. die Erörterungen auf S. 222
bis 224).

Den Engländern Thomas und Gilchrist gelang es im Jahre 1878
durch Anwendung eines aus gebranntem Dolomit hergestellten Futters
(S. 141) für den Bessemerapparat und Zuschlag von gebranntem Kalk
zu dem flüssigen Eisen diese Schwierigkeiten zu überwinden. Die
ersten von Erfolg gekrönten Versuche im kleineren Maassstabe wurden
auf dem Blaenavon Eisenwerke in Wales ausgeführt; ihnen folgten
bald weitergehende Versuche in den Eston-Eisenwerken von Bolkow,
Vaughan & Co. bei Middlesborough. Schon im Jahre 1879 wurde von
den deutschen Eisenwerken Hörde und Rheinische Stahlwerke bei
Ruhrort das Verfahren eingeführt und wesentlich vervollkommnet. Seit-
dem sind -- besonders in Deutschland, Frankreich und Nordamerika
-- zahlreiche Werke für den neuen Betrieb eingerichtet worden. Die
Erfahrung lehrte, dass die Entphosphorung vollständiger in dem Besse-
merapparate als im Puddelofen zu bewirken sei; phosphorreiche Roh-
eisensorten, welche in früherer Zeit nur in beschränktem Maasse Ver-
wendung finden konnten, erhielten durch das neue Verfahren erhöhte
Wichtigkeit.

Den Namen der Erfinder entsprechend pflegt man das allgemeine
Verfahren der Herstellung schmiedbaren Eisens vermittelst Hindurch-
leitens von Luft durch Roheisen als Bessemerprocess zu bezeichnen;
die Arbeit mit kieselsäurereichem Futter ohne Phosphorabscheidung
heisst der ältere oder saure Bessemerprocess; die Arbeit mit
basischem Futter zum Zwecke der Phosphorabscheidung der Thomas-
process
oder basische Bessemerprocess.

Die früher besprochene hier und da eingeführte Anwendung eines
basischen Futters für den Martinofen zum Zwecke der Entphosphorung
des Eisens wurde erst versucht, nachdem dieses Mittel beim Bessemern
sich so vorzüglich bewährt hatte. Die Gründe, weshalb der basische
Martinprocess niemals eine so hervorragende Bedeutung erlangen wird,
als der basische Bessemerprocess, liegen nahe und wurden bereits
früher erwähnt.


Damit der Process überhaupt möglich sei und damit flüssiges
schmiedbares Eisen aus demselben hervorgehe, ist es erforderlich, dass
die Temperatur des ursprünglich aus Roheisen bestehenden Eisenbades
während der Umwandlung desselben in schmiedbares Eisen nicht allein
nicht verringert, sondern sogar über die Erstarrungstemperatur des

1) Besonders durch Snelus. Vergl. unter Literatur dessen Abhandlung im
Journal of the Iron and Steel Institute.

Die Darstellung des Flusseisens.
worden 1); die praktische Ausführung des Verfahrens im Grossen aber
scheiterte an der Schwierigkeit, ein basisches Futter herzustellen, welches
in der hohen Schmelztemperatur des flüssigen Eisens ausreichend halt-
bar ist. Eisenoxydreiche Schlacken, dieses bewährte Futter der Puddel-
ofenherde, sind für den Bessemerprocess, wo flüssiges schmiedbares
Eisen erzeugt werden soll, bei Weitem nicht haltbar genug; und die
stattfindende Reduction der Eisenoxyde durch Kohlenstoff würde eine
Abkühlung des Bades herbeiführen (vergl. die Erörterungen auf S. 222
bis 224).

Den Engländern Thomas und Gilchrist gelang es im Jahre 1878
durch Anwendung eines aus gebranntem Dolomit hergestellten Futters
(S. 141) für den Bessemerapparat und Zuschlag von gebranntem Kalk
zu dem flüssigen Eisen diese Schwierigkeiten zu überwinden. Die
ersten von Erfolg gekrönten Versuche im kleineren Maassstabe wurden
auf dem Blaenavon Eisenwerke in Wales ausgeführt; ihnen folgten
bald weitergehende Versuche in den Eston-Eisenwerken von Bolkow,
Vaughan & Co. bei Middlesborough. Schon im Jahre 1879 wurde von
den deutschen Eisenwerken Hörde und Rheinische Stahlwerke bei
Ruhrort das Verfahren eingeführt und wesentlich vervollkommnet. Seit-
dem sind — besonders in Deutschland, Frankreich und Nordamerika
— zahlreiche Werke für den neuen Betrieb eingerichtet worden. Die
Erfahrung lehrte, dass die Entphosphorung vollständiger in dem Besse-
merapparate als im Puddelofen zu bewirken sei; phosphorreiche Roh-
eisensorten, welche in früherer Zeit nur in beschränktem Maasse Ver-
wendung finden konnten, erhielten durch das neue Verfahren erhöhte
Wichtigkeit.

Den Namen der Erfinder entsprechend pflegt man das allgemeine
Verfahren der Herstellung schmiedbaren Eisens vermittelst Hindurch-
leitens von Luft durch Roheisen als Bessemerprocess zu bezeichnen;
die Arbeit mit kieselsäurereichem Futter ohne Phosphorabscheidung
heisst der ältere oder saure Bessemerprocess; die Arbeit mit
basischem Futter zum Zwecke der Phosphorabscheidung der Thomas-
process
oder basische Bessemerprocess.

Die früher besprochene hier und da eingeführte Anwendung eines
basischen Futters für den Martinofen zum Zwecke der Entphosphorung
des Eisens wurde erst versucht, nachdem dieses Mittel beim Bessemern
sich so vorzüglich bewährt hatte. Die Gründe, weshalb der basische
Martinprocess niemals eine so hervorragende Bedeutung erlangen wird,
als der basische Bessemerprocess, liegen nahe und wurden bereits
früher erwähnt.


Damit der Process überhaupt möglich sei und damit flüssiges
schmiedbares Eisen aus demselben hervorgehe, ist es erforderlich, dass
die Temperatur des ursprünglich aus Roheisen bestehenden Eisenbades
während der Umwandlung desselben in schmiedbares Eisen nicht allein
nicht verringert, sondern sogar über die Erstarrungstemperatur des

1) Besonders durch Snelus. Vergl. unter Literatur dessen Abhandlung im
Journal of the Iron and Steel Institute.
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[880/0964] Die Darstellung des Flusseisens. worden 1); die praktische Ausführung des Verfahrens im Grossen aber scheiterte an der Schwierigkeit, ein basisches Futter herzustellen, welches in der hohen Schmelztemperatur des flüssigen Eisens ausreichend halt- bar ist. Eisenoxydreiche Schlacken, dieses bewährte Futter der Puddel- ofenherde, sind für den Bessemerprocess, wo flüssiges schmiedbares Eisen erzeugt werden soll, bei Weitem nicht haltbar genug; und die stattfindende Reduction der Eisenoxyde durch Kohlenstoff würde eine Abkühlung des Bades herbeiführen (vergl. die Erörterungen auf S. 222 bis 224). Den Engländern Thomas und Gilchrist gelang es im Jahre 1878 durch Anwendung eines aus gebranntem Dolomit hergestellten Futters (S. 141) für den Bessemerapparat und Zuschlag von gebranntem Kalk zu dem flüssigen Eisen diese Schwierigkeiten zu überwinden. Die ersten von Erfolg gekrönten Versuche im kleineren Maassstabe wurden auf dem Blaenavon Eisenwerke in Wales ausgeführt; ihnen folgten bald weitergehende Versuche in den Eston-Eisenwerken von Bolkow, Vaughan & Co. bei Middlesborough. Schon im Jahre 1879 wurde von den deutschen Eisenwerken Hörde und Rheinische Stahlwerke bei Ruhrort das Verfahren eingeführt und wesentlich vervollkommnet. Seit- dem sind — besonders in Deutschland, Frankreich und Nordamerika — zahlreiche Werke für den neuen Betrieb eingerichtet worden. Die Erfahrung lehrte, dass die Entphosphorung vollständiger in dem Besse- merapparate als im Puddelofen zu bewirken sei; phosphorreiche Roh- eisensorten, welche in früherer Zeit nur in beschränktem Maasse Ver- wendung finden konnten, erhielten durch das neue Verfahren erhöhte Wichtigkeit. Den Namen der Erfinder entsprechend pflegt man das allgemeine Verfahren der Herstellung schmiedbaren Eisens vermittelst Hindurch- leitens von Luft durch Roheisen als Bessemerprocess zu bezeichnen; die Arbeit mit kieselsäurereichem Futter ohne Phosphorabscheidung heisst der ältere oder saure Bessemerprocess; die Arbeit mit basischem Futter zum Zwecke der Phosphorabscheidung der Thomas- process oder basische Bessemerprocess. Die früher besprochene hier und da eingeführte Anwendung eines basischen Futters für den Martinofen zum Zwecke der Entphosphorung des Eisens wurde erst versucht, nachdem dieses Mittel beim Bessemern sich so vorzüglich bewährt hatte. Die Gründe, weshalb der basische Martinprocess niemals eine so hervorragende Bedeutung erlangen wird, als der basische Bessemerprocess, liegen nahe und wurden bereits früher erwähnt. Damit der Process überhaupt möglich sei und damit flüssiges schmiedbares Eisen aus demselben hervorgehe, ist es erforderlich, dass die Temperatur des ursprünglich aus Roheisen bestehenden Eisenbades während der Umwandlung desselben in schmiedbares Eisen nicht allein nicht verringert, sondern sogar über die Erstarrungstemperatur des 1) Besonders durch Snelus. Vergl. unter Literatur dessen Abhandlung im Journal of the Iron and Steel Institute.

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Zitationshilfe: Ledebur, Adolf: Handbuch der Eisenhüttenkunde. Leipzig, 1884, S. 880. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ledebur_eisenhuettenkunde_1884/964>, abgerufen am 05.05.2024.