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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Der atlantische Ocean.
Terrain unter 50° 43' nördl. Br. und 1° 37' östl. L. v. Gr. aus. Der
Fluss ist hier, wie unser Plan zeigt, durch Kunstbauten in einen
geräumigen Hafen mit Bassins und Schleussen verwandelt worden und
steht durch den zwischen zwei langen Wellenbrechern geführten so-
genannten Chenal mit der offenen See in Verbindung. Die grossen
Schleussen des Arriere-Port bilden zwei Communicationen über den
Fluss und die grosse Eisenbahnbrücke Pont de la Liane überquert
denselben in einer schönen Bogenlinie.

Es ist ein anziehendes Bild, das vom Hafen aus die Stadt
bietet. Längs des Quai Gambetta liegen theils in tieferem Wasser ge-
ankert, theils am trockenen Strand aufgefahren zahlreiche Fischer-
barken in jener malerischen Unordnung, welche, so ganz der Pedanterie
entkleidet dem Künstler reiche Motive zu Studien bietet. Die Fischer-
barken bilden hier eine bleibende Staffage, denn das Küstengebiet
von Boulogne bis einschliesslich Dünkirchen zählt nicht weniger als
358 Fischerfahrzeuge jeder Grösse, mit 4852 Mann Bemannung,
welche die Hochsee- und Küstenfischerei sowie den Häringfang be-
treiben.

Im Hafen sieht man auch die Dampfer, welche den täglichen
Verkehr mit Folkstone und London vermitteln, während im Flut-
hafen die Frachtschiffe löschen und laden. Am linken Ufer der Liane
führt der Schienenstrang längs des ganzen Quais vorbei, von der
Passagierstation bis zum Hafenbahnhof. Dort hat denn auch der ge-
sammte Waarenverkehr sein bewegtes Hauptquartier aufgeschlagen.

Ueber dem Hafen baut sich die Stadt auf, aus deren obersten
Partien Thürme und die hohe Kuppel der Notre Dame-Kirche sehr
effectvoll emporragen.

Boulogne wird durch eine etwa 100 m hohe Terrainwelle, an
deren Fusse und Gelände die Stadt sich gebettet hat, in zwei mar-
kante Theile geschieden, und zwar in die untere (Ville basse) und in
die obere Stadt (Ville haute).

Die erstere ist zunächst von regelmässig angelegten Strassen-
zügen durchschnitten, und haben dort die Comptoirs, grossen Hotels,
Kaffeehäuser und hübsche Waarenmagazine Platz gefunden. Auch
die nicht unbedeutende Industrie von Boulogne hat zumeist in der
unteren Stadt sich etablirt. Im nördlichen Theile derselben liegt das
Quartier der Seeleute (Quartier des marins), in dessen Mitte die Kirche
Saint-Pierre des Marins, ein 1850 vollendeter Bau, auf Stadt und Hafen
blickt. Alljährlich am ersten Sonntage des Monats Juli pilgert
von der Kirche aus eine feierliche Procession hinab zum Meeres-

Der atlantische Ocean.
Terrain unter 50° 43′ nördl. Br. und 1° 37′ östl. L. v. Gr. aus. Der
Fluss ist hier, wie unser Plan zeigt, durch Kunstbauten in einen
geräumigen Hafen mit Bassins und Schleussen verwandelt worden und
steht durch den zwischen zwei langen Wellenbrechern geführten so-
genannten Chenal mit der offenen See in Verbindung. Die grossen
Schleussen des Arrière-Port bilden zwei Communicationen über den
Fluss und die grosse Eisenbahnbrücke Pont de la Liane überquert
denselben in einer schönen Bogenlinie.

Es ist ein anziehendes Bild, das vom Hafen aus die Stadt
bietet. Längs des Quai Gambetta liegen theils in tieferem Wasser ge-
ankert, theils am trockenen Strand aufgefahren zahlreiche Fischer-
barken in jener malerischen Unordnung, welche, so ganz der Pedanterie
entkleidet dem Künstler reiche Motive zu Studien bietet. Die Fischer-
barken bilden hier eine bleibende Staffage, denn das Küstengebiet
von Boulogne bis einschliesslich Dünkirchen zählt nicht weniger als
358 Fischerfahrzeuge jeder Grösse, mit 4852 Mann Bemannung,
welche die Hochsee- und Küstenfischerei sowie den Häringfang be-
treiben.

Im Hafen sieht man auch die Dampfer, welche den täglichen
Verkehr mit Folkstone und London vermitteln, während im Flut-
hafen die Frachtschiffe löschen und laden. Am linken Ufer der Liane
führt der Schienenstrang längs des ganzen Quais vorbei, von der
Passagierstation bis zum Hafenbahnhof. Dort hat denn auch der ge-
sammte Waarenverkehr sein bewegtes Hauptquartier aufgeschlagen.

Ueber dem Hafen baut sich die Stadt auf, aus deren obersten
Partien Thürme und die hohe Kuppel der Notre Dame-Kirche sehr
effectvoll emporragen.

Boulogne wird durch eine etwa 100 m hohe Terrainwelle, an
deren Fusse und Gelände die Stadt sich gebettet hat, in zwei mar-
kante Theile geschieden, und zwar in die untere (Ville basse) und in
die obere Stadt (Ville haute).

Die erstere ist zunächst von regelmässig angelegten Strassen-
zügen durchschnitten, und haben dort die Comptoirs, grossen Hôtels,
Kaffeehäuser und hübsche Waarenmagazine Platz gefunden. Auch
die nicht unbedeutende Industrie von Boulogne hat zumeist in der
unteren Stadt sich etablirt. Im nördlichen Theile derselben liegt das
Quartier der Seeleute (Quartier des marins), in dessen Mitte die Kirche
Saint-Pierre des Marins, ein 1850 vollendeter Bau, auf Stadt und Hafen
blickt. Alljährlich am ersten Sonntage des Monats Juli pilgert
von der Kirche aus eine feierliche Procession hinab zum Meeres-

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[624/0644] Der atlantische Ocean. Terrain unter 50° 43′ nördl. Br. und 1° 37′ östl. L. v. Gr. aus. Der Fluss ist hier, wie unser Plan zeigt, durch Kunstbauten in einen geräumigen Hafen mit Bassins und Schleussen verwandelt worden und steht durch den zwischen zwei langen Wellenbrechern geführten so- genannten Chenal mit der offenen See in Verbindung. Die grossen Schleussen des Arrière-Port bilden zwei Communicationen über den Fluss und die grosse Eisenbahnbrücke Pont de la Liane überquert denselben in einer schönen Bogenlinie. Es ist ein anziehendes Bild, das vom Hafen aus die Stadt bietet. Längs des Quai Gambetta liegen theils in tieferem Wasser ge- ankert, theils am trockenen Strand aufgefahren zahlreiche Fischer- barken in jener malerischen Unordnung, welche, so ganz der Pedanterie entkleidet dem Künstler reiche Motive zu Studien bietet. Die Fischer- barken bilden hier eine bleibende Staffage, denn das Küstengebiet von Boulogne bis einschliesslich Dünkirchen zählt nicht weniger als 358 Fischerfahrzeuge jeder Grösse, mit 4852 Mann Bemannung, welche die Hochsee- und Küstenfischerei sowie den Häringfang be- treiben. Im Hafen sieht man auch die Dampfer, welche den täglichen Verkehr mit Folkstone und London vermitteln, während im Flut- hafen die Frachtschiffe löschen und laden. Am linken Ufer der Liane führt der Schienenstrang längs des ganzen Quais vorbei, von der Passagierstation bis zum Hafenbahnhof. Dort hat denn auch der ge- sammte Waarenverkehr sein bewegtes Hauptquartier aufgeschlagen. Ueber dem Hafen baut sich die Stadt auf, aus deren obersten Partien Thürme und die hohe Kuppel der Notre Dame-Kirche sehr effectvoll emporragen. Boulogne wird durch eine etwa 100 m hohe Terrainwelle, an deren Fusse und Gelände die Stadt sich gebettet hat, in zwei mar- kante Theile geschieden, und zwar in die untere (Ville basse) und in die obere Stadt (Ville haute). Die erstere ist zunächst von regelmässig angelegten Strassen- zügen durchschnitten, und haben dort die Comptoirs, grossen Hôtels, Kaffeehäuser und hübsche Waarenmagazine Platz gefunden. Auch die nicht unbedeutende Industrie von Boulogne hat zumeist in der unteren Stadt sich etablirt. Im nördlichen Theile derselben liegt das Quartier der Seeleute (Quartier des marins), in dessen Mitte die Kirche Saint-Pierre des Marins, ein 1850 vollendeter Bau, auf Stadt und Hafen blickt. Alljährlich am ersten Sonntage des Monats Juli pilgert von der Kirche aus eine feierliche Procession hinab zum Meeres-

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 624. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/644>, abgerufen am 27.04.2024.