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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Der grosse Ocean.
Westen abgrenzt, geschieden, liegt das französische Settlement, an
welches sich jenseits des Yangkingpang-Canals, über den 11 Brücken
führen, das englische anreiht, das gegen Norden am Soochow-Creek
seine Grenze findet und an der Landspitze, wo diese sich mit dem
Whangpoo vereinigt, einen öffentlichen Garten besitzt. Auf Brücken,
von denen 3 für den Wagenverkehr eingerichtet, gelangt man jenseits
des Soochow Creek in die amerikanische Niederlassung, die den Namen
Honkew führt.

Der bedeutende Ertrag des Handels am Yangtsekiang liess die Ansied-
lung in kurzer Zeit zu ungeahnter Entwicklung erblühen. Nahezu alle Firmen der
Welt, die im überseeischen Handel Ruf besitzen, fanden Gelegenheit, sich daselbst
zu etabliren, und öffentliche Anstalten, die mit dem Geschäftsbetrieb in enger
Zusammengehörigkeit stehen, fanden ein reiches Feld für ihre Thätigkeit. Die
Taiping-Revolution, deren Hauptsitz in den Yangtsekiang-Provinzen war, wurde
gegen alles Erwarten der Entwicklung Schanghais äusserst günstig, weil alle
reichen einheimischen Kaufleute jener Städte, die von den Taipings bedroht
waren, auf dem Territorium der Fremden Zuflucht nahmen und sich und ihr
Eigenthum unter deren Schutz stellten. Die 400.000 Rebellen aber, die seit August
1861 durch Monate die Fremdenniederlassung bedrohten, wagten keinen Angriff
auf die schussfreien Befestigungslinien, die von französischen und englischen
Marinetruppen, von einem britischen und zwei indischen Regimentern und einer
Batterie vertheidigt wurden. Erst 1866 zogen die englischen Soldaten ab.

Das hohe Erträgniss, das als Folge des starken Zuflusses die
Vermiethung von Häusern und Liegenschaften abwarf, führte zu einer
rastlosen Bauthätigkeit und steigerte den Werth des Grundes und
Bodens von 50 Liv. Sterl. für den Acre, die dieser ursprünglich gekostet
hatte, auf 10.000 Liv. Sterl. Binnen wenigen Jahren war auf dem bis nun
kaum beachteten Alluvialterrain eine Stadt heraufgezaubert, die ganz
im Gegensatz zu anderen von Chinesen bewohnten Städten das Bild
der vollendetsten Ordnung und Reinlichkeit bietet. Sehr breite, in
rechten Winkeln sich kreuzende Strassen, die in naher Zukunft von
einem Netz von Tramways durchzogen werden sollen, durchschneiden
das Weichbild der Stadt, welche in den an den Fluss angrenzenden
Theilen aus einer stattlichen Zahl prunkvoller Paläste der verschie-
densten Baustyle, in den übrigen Theilen aus zumeist grossen und
solid hergestellten Steinbauten besteht. Der Boden ist nicht fest
genug, monumentale Bauten zu tragen, so dass man es bisher nicht
wagen durfte, den Thurm der als Bauwerk so interessanten Trinity-
Kathedrale auszubauen. Wenn auch das Innere vieler dieser Häuser
noch recht viel Unsauberkeit beherbergen mag, so verräth das Aeussere
davon nichts. Der Besucher wird nur durch das fremdländische
Wesen und die Tracht der Bewohner daran erinnert, dass er auf

Der grosse Ocean.
Westen abgrenzt, geschieden, liegt das französische Settlement, an
welches sich jenseits des Yangkingpang-Canals, über den 11 Brücken
führen, das englische anreiht, das gegen Norden am Soochow-Creek
seine Grenze findet und an der Landspitze, wo diese sich mit dem
Whangpoo vereinigt, einen öffentlichen Garten besitzt. Auf Brücken,
von denen 3 für den Wagenverkehr eingerichtet, gelangt man jenseits
des Soochow Creek in die amerikanische Niederlassung, die den Namen
Honkew führt.

Der bedeutende Ertrag des Handels am Yangtsekiang liess die Ansied-
lung in kurzer Zeit zu ungeahnter Entwicklung erblühen. Nahezu alle Firmen der
Welt, die im überseeischen Handel Ruf besitzen, fanden Gelegenheit, sich daselbst
zu etabliren, und öffentliche Anstalten, die mit dem Geschäftsbetrieb in enger
Zusammengehörigkeit stehen, fanden ein reiches Feld für ihre Thätigkeit. Die
Taiping-Revolution, deren Hauptsitz in den Yangtsekiang-Provinzen war, wurde
gegen alles Erwarten der Entwicklung Schanghais äusserst günstig, weil alle
reichen einheimischen Kaufleute jener Städte, die von den Taipings bedroht
waren, auf dem Territorium der Fremden Zuflucht nahmen und sich und ihr
Eigenthum unter deren Schutz stellten. Die 400.000 Rebellen aber, die seit August
1861 durch Monate die Fremdenniederlassung bedrohten, wagten keinen Angriff
auf die schussfreien Befestigungslinien, die von französischen und englischen
Marinetruppen, von einem britischen und zwei indischen Regimentern und einer
Batterie vertheidigt wurden. Erst 1866 zogen die englischen Soldaten ab.

Das hohe Erträgniss, das als Folge des starken Zuflusses die
Vermiethung von Häusern und Liegenschaften abwarf, führte zu einer
rastlosen Bauthätigkeit und steigerte den Werth des Grundes und
Bodens von 50 Liv. Sterl. für den Acre, die dieser ursprünglich gekostet
hatte, auf 10.000 Liv. Sterl. Binnen wenigen Jahren war auf dem bis nun
kaum beachteten Alluvialterrain eine Stadt heraufgezaubert, die ganz
im Gegensatz zu anderen von Chinesen bewohnten Städten das Bild
der vollendetsten Ordnung und Reinlichkeit bietet. Sehr breite, in
rechten Winkeln sich kreuzende Strassen, die in naher Zukunft von
einem Netz von Tramways durchzogen werden sollen, durchschneiden
das Weichbild der Stadt, welche in den an den Fluss angrenzenden
Theilen aus einer stattlichen Zahl prunkvoller Paläste der verschie-
densten Baustyle, in den übrigen Theilen aus zumeist grossen und
solid hergestellten Steinbauten besteht. Der Boden ist nicht fest
genug, monumentale Bauten zu tragen, so dass man es bisher nicht
wagen durfte, den Thurm der als Bauwerk so interessanten Trinity-
Kathedrale auszubauen. Wenn auch das Innere vieler dieser Häuser
noch recht viel Unsauberkeit beherbergen mag, so verräth das Aeussere
davon nichts. Der Besucher wird nur durch das fremdländische
Wesen und die Tracht der Bewohner daran erinnert, dass er auf

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[402/0418] Der grosse Ocean. Westen abgrenzt, geschieden, liegt das französische Settlement, an welches sich jenseits des Yangkingpang-Canals, über den 11 Brücken führen, das englische anreiht, das gegen Norden am Soochow-Creek seine Grenze findet und an der Landspitze, wo diese sich mit dem Whangpoo vereinigt, einen öffentlichen Garten besitzt. Auf Brücken, von denen 3 für den Wagenverkehr eingerichtet, gelangt man jenseits des Soochow Creek in die amerikanische Niederlassung, die den Namen Honkew führt. Der bedeutende Ertrag des Handels am Yangtsekiang liess die Ansied- lung in kurzer Zeit zu ungeahnter Entwicklung erblühen. Nahezu alle Firmen der Welt, die im überseeischen Handel Ruf besitzen, fanden Gelegenheit, sich daselbst zu etabliren, und öffentliche Anstalten, die mit dem Geschäftsbetrieb in enger Zusammengehörigkeit stehen, fanden ein reiches Feld für ihre Thätigkeit. Die Taiping-Revolution, deren Hauptsitz in den Yangtsekiang-Provinzen war, wurde gegen alles Erwarten der Entwicklung Schanghais äusserst günstig, weil alle reichen einheimischen Kaufleute jener Städte, die von den Taipings bedroht waren, auf dem Territorium der Fremden Zuflucht nahmen und sich und ihr Eigenthum unter deren Schutz stellten. Die 400.000 Rebellen aber, die seit August 1861 durch Monate die Fremdenniederlassung bedrohten, wagten keinen Angriff auf die schussfreien Befestigungslinien, die von französischen und englischen Marinetruppen, von einem britischen und zwei indischen Regimentern und einer Batterie vertheidigt wurden. Erst 1866 zogen die englischen Soldaten ab. Das hohe Erträgniss, das als Folge des starken Zuflusses die Vermiethung von Häusern und Liegenschaften abwarf, führte zu einer rastlosen Bauthätigkeit und steigerte den Werth des Grundes und Bodens von 50 Liv. Sterl. für den Acre, die dieser ursprünglich gekostet hatte, auf 10.000 Liv. Sterl. Binnen wenigen Jahren war auf dem bis nun kaum beachteten Alluvialterrain eine Stadt heraufgezaubert, die ganz im Gegensatz zu anderen von Chinesen bewohnten Städten das Bild der vollendetsten Ordnung und Reinlichkeit bietet. Sehr breite, in rechten Winkeln sich kreuzende Strassen, die in naher Zukunft von einem Netz von Tramways durchzogen werden sollen, durchschneiden das Weichbild der Stadt, welche in den an den Fluss angrenzenden Theilen aus einer stattlichen Zahl prunkvoller Paläste der verschie- densten Baustyle, in den übrigen Theilen aus zumeist grossen und solid hergestellten Steinbauten besteht. Der Boden ist nicht fest genug, monumentale Bauten zu tragen, so dass man es bisher nicht wagen durfte, den Thurm der als Bauwerk so interessanten Trinity- Kathedrale auszubauen. Wenn auch das Innere vieler dieser Häuser noch recht viel Unsauberkeit beherbergen mag, so verräth das Aeussere davon nichts. Der Besucher wird nur durch das fremdländische Wesen und die Tracht der Bewohner daran erinnert, dass er auf

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/418>, abgerufen am 29.04.2024.