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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Calcutta.
September erreicht die durch Hochwässer verstärkte Strömung bis
9 Seemeilen stündlicher Geschwindigkeit, weshalb man in dieser Zeit
nur mit dem Einsetzen des Fluthstromes die Fahrten flussabwärts
durchführen kann. Nachtfahrten sind ganz ausgeschlossen.

Trotz aller Bemühungen seitens der Regierung und der Hafen-
behörden von Calcutta, das Anlaufen des Hooghly und die Fahrt in
diesem zu erleichtern, bleibt bisher dennoch beides noch immer eine
ebenso schwierige als durchaus nicht ungefährliche Aufgabe. Bei
den Sandbänken (Sandheads), welche den Ganges-Mündungen vor-
liegen, werden die ankommenden Schiffe von Lootsen übernommen,
deren besondere Geschicklichkeit und Verlässlichkeit bestens be-
kannt ist.

Das Abwarten des günstigsten Zeitpunktes für den Antritt der
Fahrt stromaufwärts geschieht in der Mündung auf der Rhede der
dicht mit Gebüsch (Jungle) bewachsenen Insel Saugor (Sagar), die
wegen ihrer grossen Zahl von Tigern berüchtigt ist. Nach alten
Chroniken soll Saugor vor der Gründung Calcuttas von einer Viertel-
million Menschen bewohnt gewesen sein, und diese sollen im Jahre
1688 während einer Nacht durch eine Sturmfluth, welche die ganze
Insel überschwemmte, zugrunde gegangen sein. Auch in unserem
Jahrhunderte wurden Inseln des Ganges-Deltas von ähnlichen Kata-
strophen betroffen.

Etwa 34 Seemeilen (63 km) flussaufwärts von Saugor liegt
Diamond Harbour, welches mit Calcutta durch eine Eisenbahn ver-
bunden ist und den Ein- und Ausschiffungsplatz der Reisenden Calcuttas
bildet, denen hiedurch der nach Diamond Harbour folgende gefähr-
lichste und oft langwierigste Theil der Flussfahrt erspart wird. Hier
pflegen auch die grossen Schiffe, die mit voller Ladung über die
James and Mary Bank nicht passiren könnten, einen Theil ihrer
Ladung zu löschen, beziehungsweise den Rest derselben zu er-
gänzen.

Bald nach Diamond Harbour, am westlichen Ufer des Hooghly,
folgt die breite Mündung des Roopnarayan, acht Meilen von dieser
das kleine Städtchen Tamluk, das im Alterthume eine berühmte
Palaststadt und einer der Centralpunkte des Buddhismus gewesen
ist. Tamluk war überdies einstens ein Seehafen; von hier segelte
der chinesische Pilger Fa Hian zu Beginn des V. Jahrhunderts nach
Ceylon ab. Einer zweieinhalb Jahrhunderte späteren Beschreibung
des Ortes durch Hiuen Tseng ist ebenfalls zu entnehmen, dass Tamluk
auch damals noch ein Seehafen war, woraus sich am besten ersehen

Calcutta.
September erreicht die durch Hochwässer verstärkte Strömung bis
9 Seemeilen stündlicher Geschwindigkeit, weshalb man in dieser Zeit
nur mit dem Einsetzen des Fluthstromes die Fahrten flussabwärts
durchführen kann. Nachtfahrten sind ganz ausgeschlossen.

Trotz aller Bemühungen seitens der Regierung und der Hafen-
behörden von Calcutta, das Anlaufen des Hooghly und die Fahrt in
diesem zu erleichtern, bleibt bisher dennoch beides noch immer eine
ebenso schwierige als durchaus nicht ungefährliche Aufgabe. Bei
den Sandbänken (Sandheads), welche den Ganges-Mündungen vor-
liegen, werden die ankommenden Schiffe von Lootsen übernommen,
deren besondere Geschicklichkeit und Verlässlichkeit bestens be-
kannt ist.

Das Abwarten des günstigsten Zeitpunktes für den Antritt der
Fahrt stromaufwärts geschieht in der Mündung auf der Rhede der
dicht mit Gebüsch (Jungle) bewachsenen Insel Saugor (Sagar), die
wegen ihrer grossen Zahl von Tigern berüchtigt ist. Nach alten
Chroniken soll Saugor vor der Gründung Calcuttas von einer Viertel-
million Menschen bewohnt gewesen sein, und diese sollen im Jahre
1688 während einer Nacht durch eine Sturmfluth, welche die ganze
Insel überschwemmte, zugrunde gegangen sein. Auch in unserem
Jahrhunderte wurden Inseln des Ganges-Deltas von ähnlichen Kata-
strophen betroffen.

Etwa 34 Seemeilen (63 km) flussaufwärts von Saugor liegt
Diamond Harbour, welches mit Calcutta durch eine Eisenbahn ver-
bunden ist und den Ein- und Ausschiffungsplatz der Reisenden Calcuttas
bildet, denen hiedurch der nach Diamond Harbour folgende gefähr-
lichste und oft langwierigste Theil der Flussfahrt erspart wird. Hier
pflegen auch die grossen Schiffe, die mit voller Ladung über die
James and Mary Bank nicht passiren könnten, einen Theil ihrer
Ladung zu löschen, beziehungsweise den Rest derselben zu er-
gänzen.

Bald nach Diamond Harbour, am westlichen Ufer des Hooghly,
folgt die breite Mündung des Roopnarayan, acht Meilen von dieser
das kleine Städtchen Tamluk, das im Alterthume eine berühmte
Palaststadt und einer der Centralpunkte des Buddhismus gewesen
ist. Tamluk war überdies einstens ein Seehafen; von hier segelte
der chinesische Pilger Fa Hian zu Beginn des V. Jahrhunderts nach
Ceylon ab. Einer zweieinhalb Jahrhunderte späteren Beschreibung
des Ortes durch Hiuen Tseng ist ebenfalls zu entnehmen, dass Tamluk
auch damals noch ein Seehafen war, woraus sich am besten ersehen

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[549/0565] Calcutta. September erreicht die durch Hochwässer verstärkte Strömung bis 9 Seemeilen stündlicher Geschwindigkeit, weshalb man in dieser Zeit nur mit dem Einsetzen des Fluthstromes die Fahrten flussabwärts durchführen kann. Nachtfahrten sind ganz ausgeschlossen. Trotz aller Bemühungen seitens der Regierung und der Hafen- behörden von Calcutta, das Anlaufen des Hooghly und die Fahrt in diesem zu erleichtern, bleibt bisher dennoch beides noch immer eine ebenso schwierige als durchaus nicht ungefährliche Aufgabe. Bei den Sandbänken (Sandheads), welche den Ganges-Mündungen vor- liegen, werden die ankommenden Schiffe von Lootsen übernommen, deren besondere Geschicklichkeit und Verlässlichkeit bestens be- kannt ist. Das Abwarten des günstigsten Zeitpunktes für den Antritt der Fahrt stromaufwärts geschieht in der Mündung auf der Rhede der dicht mit Gebüsch (Jungle) bewachsenen Insel Saugor (Sagar), die wegen ihrer grossen Zahl von Tigern berüchtigt ist. Nach alten Chroniken soll Saugor vor der Gründung Calcuttas von einer Viertel- million Menschen bewohnt gewesen sein, und diese sollen im Jahre 1688 während einer Nacht durch eine Sturmfluth, welche die ganze Insel überschwemmte, zugrunde gegangen sein. Auch in unserem Jahrhunderte wurden Inseln des Ganges-Deltas von ähnlichen Kata- strophen betroffen. Etwa 34 Seemeilen (63 km) flussaufwärts von Saugor liegt Diamond Harbour, welches mit Calcutta durch eine Eisenbahn ver- bunden ist und den Ein- und Ausschiffungsplatz der Reisenden Calcuttas bildet, denen hiedurch der nach Diamond Harbour folgende gefähr- lichste und oft langwierigste Theil der Flussfahrt erspart wird. Hier pflegen auch die grossen Schiffe, die mit voller Ladung über die James and Mary Bank nicht passiren könnten, einen Theil ihrer Ladung zu löschen, beziehungsweise den Rest derselben zu er- gänzen. Bald nach Diamond Harbour, am westlichen Ufer des Hooghly, folgt die breite Mündung des Roopnarayan, acht Meilen von dieser das kleine Städtchen Tamluk, das im Alterthume eine berühmte Palaststadt und einer der Centralpunkte des Buddhismus gewesen ist. Tamluk war überdies einstens ein Seehafen; von hier segelte der chinesische Pilger Fa Hian zu Beginn des V. Jahrhunderts nach Ceylon ab. Einer zweieinhalb Jahrhunderte späteren Beschreibung des Ortes durch Hiuen Tseng ist ebenfalls zu entnehmen, dass Tamluk auch damals noch ein Seehafen war, woraus sich am besten ersehen

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 549. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/565>, abgerufen am 28.04.2024.