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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Der indische Ocean.
dürfte ein Platz bei Tanga oder Pangani Ausgangspunkt für die
sogenannte Usambara-Linie werden, zu deren Bau sich die "Eisen-
bahngesellschaft für Deutsch-Ostafrika" constituirt hat.

Sansibar hat mancherlei Schicksale gehabt. Es stand schon in alten Zeiten
in enger Verbindung mit Arabien, gerieth dann unter die Herrschaft der Portu-
giesen, welche aus Sansibar nichts machten und sich auch dort auf die Dauer
nicht behaupten konnten, sondern diesen Besitz an den Imam von Maskat ver-
loren. Die arabischen Dynasten regierten gleichzeitig über ihr Heimatland Maskat
im südöstlichen Arabien und über jenes afrikanische Gebiet. Noch der Vater des
jetzigen Sultans gebot über Maskat und Sansibar. Nach seinem Tode aber fand
eine Trennung statt. Der eine Sohn behielt Maskat und der andere, Sayed Medschid
(+ 1870; ein jüngerer Bruder, Sayed Khalifa, ist seit 1888 der Herrscher) trat
selbständig das Regiment in den afrikanischen Besitzungen an.

Die Stadt Sansibar liegt unter 6° 10' südlicher Breite und
39° 11' östlicher Länge von Greenwich; sie zählt ungefähr 100.000
Einwohner, nimmt also schon dadurch den ersten Rang an der ganzen
Ostküste Afrikas ein. Die sich ganz ansehnlich präsentirende Stadt,
welche von den Eingeborenen Unguja genannt wird, liegt auf
einer flachen, sandigen Landzunge und besteht aus mehreren von
einander wesentlich verschiedenen Theilen. Im Norden liegt das
europäische Viertel, welches sich durch eine gewisse Nettigkeit kenn-
zeichnet und ausser den Niederlassungen der Europäer auch viele
Häuser der arabischen Aristokratie in sich schliesst. Hier findet man
durchweg Steingebäude und reine, zumeist mit Asphalt belegte
Strassen. Der Styl der Häuser erinnert zumeist an die portugiesische
Zeit. Die Einrichtung ist praktisch und dem Klima entsprechend,
da die Nähe zum Aequator besondere Rücksicht erheischt. Man findet
bei den Europäern zumeist wohlbepflanzte Höfe, in denen man sich
erfrischender Kühle erfreut, und durchwegs flache, terrassirte Dächer,
welche in den abendlichen Ruhestunden mit besonderer Vorliebe be-
nützt werden. Die flachen Dächer sind auch der Lieblingsaufenthalt
der Araber, welche jedoch in Bezug auf die innere Einrichtung ihrer
Häuser hinter ihren europäischen Nachbarn zurückbleiben. Die
arabischen Häuser enthalten sehr unregelmässig aneinandergefügte
Räume und kleine Stiegen, aber fast immer einen grossen Saal für
feierliche Handlungen innerhalb der Familie. Die Einrichtung an
Möbelstücken ist zumeist karg.

Dem europäischen Viertel zunächst liegt das sogenannte Bazar-
viertel, in welchem auch die zahlreichen, dem Handel obliegenden
Inder Häuser und zahllose Verkaufsbuden besitzen. Wenn auch hier
noch Steinbauten vorkommen, wie denn überhaupt ungefähr ein

Der indische Ocean.
dürfte ein Platz bei Tanga oder Pangani Ausgangspunkt für die
sogenannte Usambara-Linie werden, zu deren Bau sich die „Eisen-
bahngesellschaft für Deutsch-Ostafrika“ constituirt hat.

Sansibar hat mancherlei Schicksale gehabt. Es stand schon in alten Zeiten
in enger Verbindung mit Arabien, gerieth dann unter die Herrschaft der Portu-
giesen, welche aus Sansibar nichts machten und sich auch dort auf die Dauer
nicht behaupten konnten, sondern diesen Besitz an den Imam von Maskat ver-
loren. Die arabischen Dynasten regierten gleichzeitig über ihr Heimatland Maskat
im südöstlichen Arabien und über jenes afrikanische Gebiet. Noch der Vater des
jetzigen Sultans gebot über Maskat und Sansibar. Nach seinem Tode aber fand
eine Trennung statt. Der eine Sohn behielt Maskat und der andere, Sayed Medschid
(† 1870; ein jüngerer Bruder, Sayed Khalifa, ist seit 1888 der Herrscher) trat
selbständig das Regiment in den afrikanischen Besitzungen an.

Die Stadt Sansibar liegt unter 6° 10′ südlicher Breite und
39° 11′ östlicher Länge von Greenwich; sie zählt ungefähr 100.000
Einwohner, nimmt also schon dadurch den ersten Rang an der ganzen
Ostküste Afrikas ein. Die sich ganz ansehnlich präsentirende Stadt,
welche von den Eingeborenen Unguja genannt wird, liegt auf
einer flachen, sandigen Landzunge und besteht aus mehreren von
einander wesentlich verschiedenen Theilen. Im Norden liegt das
europäische Viertel, welches sich durch eine gewisse Nettigkeit kenn-
zeichnet und ausser den Niederlassungen der Europäer auch viele
Häuser der arabischen Aristokratie in sich schliesst. Hier findet man
durchweg Steingebäude und reine, zumeist mit Asphalt belegte
Strassen. Der Styl der Häuser erinnert zumeist an die portugiesische
Zeit. Die Einrichtung ist praktisch und dem Klima entsprechend,
da die Nähe zum Aequator besondere Rücksicht erheischt. Man findet
bei den Europäern zumeist wohlbepflanzte Höfe, in denen man sich
erfrischender Kühle erfreut, und durchwegs flache, terrassirte Dächer,
welche in den abendlichen Ruhestunden mit besonderer Vorliebe be-
nützt werden. Die flachen Dächer sind auch der Lieblingsaufenthalt
der Araber, welche jedoch in Bezug auf die innere Einrichtung ihrer
Häuser hinter ihren europäischen Nachbarn zurückbleiben. Die
arabischen Häuser enthalten sehr unregelmässig aneinandergefügte
Räume und kleine Stiegen, aber fast immer einen grossen Saal für
feierliche Handlungen innerhalb der Familie. Die Einrichtung an
Möbelstücken ist zumeist karg.

Dem europäischen Viertel zunächst liegt das sogenannte Bazar-
viertel, in welchem auch die zahlreichen, dem Handel obliegenden
Inder Häuser und zahllose Verkaufsbuden besitzen. Wenn auch hier
noch Steinbauten vorkommen, wie denn überhaupt ungefähr ein

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[646/0662] Der indische Ocean. dürfte ein Platz bei Tanga oder Pangani Ausgangspunkt für die sogenannte Usambara-Linie werden, zu deren Bau sich die „Eisen- bahngesellschaft für Deutsch-Ostafrika“ constituirt hat. Sansibar hat mancherlei Schicksale gehabt. Es stand schon in alten Zeiten in enger Verbindung mit Arabien, gerieth dann unter die Herrschaft der Portu- giesen, welche aus Sansibar nichts machten und sich auch dort auf die Dauer nicht behaupten konnten, sondern diesen Besitz an den Imam von Maskat ver- loren. Die arabischen Dynasten regierten gleichzeitig über ihr Heimatland Maskat im südöstlichen Arabien und über jenes afrikanische Gebiet. Noch der Vater des jetzigen Sultans gebot über Maskat und Sansibar. Nach seinem Tode aber fand eine Trennung statt. Der eine Sohn behielt Maskat und der andere, Sayed Medschid († 1870; ein jüngerer Bruder, Sayed Khalifa, ist seit 1888 der Herrscher) trat selbständig das Regiment in den afrikanischen Besitzungen an. Die Stadt Sansibar liegt unter 6° 10′ südlicher Breite und 39° 11′ östlicher Länge von Greenwich; sie zählt ungefähr 100.000 Einwohner, nimmt also schon dadurch den ersten Rang an der ganzen Ostküste Afrikas ein. Die sich ganz ansehnlich präsentirende Stadt, welche von den Eingeborenen Unguja genannt wird, liegt auf einer flachen, sandigen Landzunge und besteht aus mehreren von einander wesentlich verschiedenen Theilen. Im Norden liegt das europäische Viertel, welches sich durch eine gewisse Nettigkeit kenn- zeichnet und ausser den Niederlassungen der Europäer auch viele Häuser der arabischen Aristokratie in sich schliesst. Hier findet man durchweg Steingebäude und reine, zumeist mit Asphalt belegte Strassen. Der Styl der Häuser erinnert zumeist an die portugiesische Zeit. Die Einrichtung ist praktisch und dem Klima entsprechend, da die Nähe zum Aequator besondere Rücksicht erheischt. Man findet bei den Europäern zumeist wohlbepflanzte Höfe, in denen man sich erfrischender Kühle erfreut, und durchwegs flache, terrassirte Dächer, welche in den abendlichen Ruhestunden mit besonderer Vorliebe be- nützt werden. Die flachen Dächer sind auch der Lieblingsaufenthalt der Araber, welche jedoch in Bezug auf die innere Einrichtung ihrer Häuser hinter ihren europäischen Nachbarn zurückbleiben. Die arabischen Häuser enthalten sehr unregelmässig aneinandergefügte Räume und kleine Stiegen, aber fast immer einen grossen Saal für feierliche Handlungen innerhalb der Familie. Die Einrichtung an Möbelstücken ist zumeist karg. Dem europäischen Viertel zunächst liegt das sogenannte Bazar- viertel, in welchem auch die zahlreichen, dem Handel obliegenden Inder Häuser und zahllose Verkaufsbuden besitzen. Wenn auch hier noch Steinbauten vorkommen, wie denn überhaupt ungefähr ein

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 646. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/662>, abgerufen am 30.04.2024.