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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Tanger.

Auf der Rhede ist ein Schiff unter nahezu allen Umständen
ausreichend geschützt, die Verbindung mit dem Lande jedoch häufig
eine schwierige und bei stärkerem Winde oft gänzlich gehindert, weil
keine guten Anlegeplätze vorhanden sind.

Eine vom Sultan 1890 in Deutschland gekaufte Dampfbarkasse
erleichtert jetzt ungemein das Laden und Löschen der Schiffe.

Die Bucht, an welcher Tanger situirt ist, wird ringsum von
mässig aufsteigendem Hügellande umschlossen, welches an seinen
Abhängen zum Theil bebaut, zum Theil von langgestreckten Cactus-
und Aloehecken bedeckt ist. Im Hintergrunde des terrassenförmig auf-
steigenden Landes zeigen sich an klaren Tagen die Berge des Atlas-
gebirges. Ein besonders schönes Panorama gewinnt man durch einen
Ausflug auf das nahe gelegene Cap Spartel, vor welchem sich auf
einer vom Meere umbrandeten Klippe der auf internationale Kosten
erhaltene Leuchtthurm befindet, welcher die Nordwestspitze Afrikas
markirt. Hier schweift das Auge hinüber zu den deutlich hervor-
tretenden Linien der spanischen Küste, erkennt sofort den mächtigen
Felsen von Gibraltar und im fernen Westen das schlachtberühmte
Cap Trafalgar, während in anderer Richtung die Umrisse der afrikanischen
Küste verfolgt werden können und man gegen das Innere von Marokko
zu gleichfalls manchen Blick werfen kann.

Die Stadt Tanger selbst liegt unter 45° 47' nördlicher Breite
und 5° 49' westlicher Länge v. G. auf einem Kalkfelsen, der sich
allmälig ansteigend entwickelt und dessen höchste Spitze die Kasbah,
wie das Castell genannt wird, krönt. Rings um die Stadt zieht sich
eine hohe, mit Zinnen versehene Festungsmauer, während ausserdem
noch an verschiedenen Stellen zur besseren Vertheidigung des Platzes
Batterien errichtet sind. In die Stadt führen drei Thore, zwei von
der Land- und eines von der Hafenseite aus.

Die Stadt erscheint von aussen gesehen sogar imponirend; die
starken, im Sonnenlichte hell weiss erglänzenden Häuser, welche
nach orientalischer Art strassenwärts kein Fenster zeigen, thürmen
sich infolge der terrassenförmigen Anlage des ganzen städtischen Com-
plexes übereinander. Dazwischen treten die Moscheen deutlich hervor.

Dieselben unterscheiden sich in ganz Marokko von den Moscheen
der übrigen islamitischen Welt durch die abweichende Form der
Minarets. An Stelle der hoch aufstrebenden schlanken Entwicklung
tritt hier ein mehr massiver, viereckiger Bau, welcher an der Spitze
in einem gewölbten Aufsatz verläuft. Es erinnert das an die bei
russischen Kirchen beliebtere Form der steinernen Thürme.


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Tanger.

Auf der Rhede ist ein Schiff unter nahezu allen Umständen
ausreichend geschützt, die Verbindung mit dem Lande jedoch häufig
eine schwierige und bei stärkerem Winde oft gänzlich gehindert, weil
keine guten Anlegeplätze vorhanden sind.

Eine vom Sultan 1890 in Deutschland gekaufte Dampfbarkasse
erleichtert jetzt ungemein das Laden und Löschen der Schiffe.

Die Bucht, an welcher Tanger situirt ist, wird ringsum von
mässig aufsteigendem Hügellande umschlossen, welches an seinen
Abhängen zum Theil bebaut, zum Theil von langgestreckten Cactus-
und Aloëhecken bedeckt ist. Im Hintergrunde des terrassenförmig auf-
steigenden Landes zeigen sich an klaren Tagen die Berge des Atlas-
gebirges. Ein besonders schönes Panorama gewinnt man durch einen
Ausflug auf das nahe gelegene Cap Spartel, vor welchem sich auf
einer vom Meere umbrandeten Klippe der auf internationale Kosten
erhaltene Leuchtthurm befindet, welcher die Nordwestspitze Afrikas
markirt. Hier schweift das Auge hinüber zu den deutlich hervor-
tretenden Linien der spanischen Küste, erkennt sofort den mächtigen
Felsen von Gibraltar und im fernen Westen das schlachtberühmte
Cap Trafalgar, während in anderer Richtung die Umrisse der afrikanischen
Küste verfolgt werden können und man gegen das Innere von Marokko
zu gleichfalls manchen Blick werfen kann.

Die Stadt Tanger selbst liegt unter 45° 47′ nördlicher Breite
und 5° 49′ westlicher Länge v. G. auf einem Kalkfelsen, der sich
allmälig ansteigend entwickelt und dessen höchste Spitze die Kasbah,
wie das Castell genannt wird, krönt. Rings um die Stadt zieht sich
eine hohe, mit Zinnen versehene Festungsmauer, während ausserdem
noch an verschiedenen Stellen zur besseren Vertheidigung des Platzes
Batterien errichtet sind. In die Stadt führen drei Thore, zwei von
der Land- und eines von der Hafenseite aus.

Die Stadt erscheint von aussen gesehen sogar imponirend; die
starken, im Sonnenlichte hell weiss erglänzenden Häuser, welche
nach orientalischer Art strassenwärts kein Fenster zeigen, thürmen
sich infolge der terrassenförmigen Anlage des ganzen städtischen Com-
plexes übereinander. Dazwischen treten die Moscheen deutlich hervor.

Dieselben unterscheiden sich in ganz Marokko von den Moscheen
der übrigen islamitischen Welt durch die abweichende Form der
Minarets. An Stelle der hoch aufstrebenden schlanken Entwicklung
tritt hier ein mehr massiver, viereckiger Bau, welcher an der Spitze
in einem gewölbten Aufsatz verläuft. Es erinnert das an die bei
russischen Kirchen beliebtere Form der steinernen Thürme.


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[739/0755] Tanger. Auf der Rhede ist ein Schiff unter nahezu allen Umständen ausreichend geschützt, die Verbindung mit dem Lande jedoch häufig eine schwierige und bei stärkerem Winde oft gänzlich gehindert, weil keine guten Anlegeplätze vorhanden sind. Eine vom Sultan 1890 in Deutschland gekaufte Dampfbarkasse erleichtert jetzt ungemein das Laden und Löschen der Schiffe. Die Bucht, an welcher Tanger situirt ist, wird ringsum von mässig aufsteigendem Hügellande umschlossen, welches an seinen Abhängen zum Theil bebaut, zum Theil von langgestreckten Cactus- und Aloëhecken bedeckt ist. Im Hintergrunde des terrassenförmig auf- steigenden Landes zeigen sich an klaren Tagen die Berge des Atlas- gebirges. Ein besonders schönes Panorama gewinnt man durch einen Ausflug auf das nahe gelegene Cap Spartel, vor welchem sich auf einer vom Meere umbrandeten Klippe der auf internationale Kosten erhaltene Leuchtthurm befindet, welcher die Nordwestspitze Afrikas markirt. Hier schweift das Auge hinüber zu den deutlich hervor- tretenden Linien der spanischen Küste, erkennt sofort den mächtigen Felsen von Gibraltar und im fernen Westen das schlachtberühmte Cap Trafalgar, während in anderer Richtung die Umrisse der afrikanischen Küste verfolgt werden können und man gegen das Innere von Marokko zu gleichfalls manchen Blick werfen kann. Die Stadt Tanger selbst liegt unter 45° 47′ nördlicher Breite und 5° 49′ westlicher Länge v. G. auf einem Kalkfelsen, der sich allmälig ansteigend entwickelt und dessen höchste Spitze die Kasbah, wie das Castell genannt wird, krönt. Rings um die Stadt zieht sich eine hohe, mit Zinnen versehene Festungsmauer, während ausserdem noch an verschiedenen Stellen zur besseren Vertheidigung des Platzes Batterien errichtet sind. In die Stadt führen drei Thore, zwei von der Land- und eines von der Hafenseite aus. Die Stadt erscheint von aussen gesehen sogar imponirend; die starken, im Sonnenlichte hell weiss erglänzenden Häuser, welche nach orientalischer Art strassenwärts kein Fenster zeigen, thürmen sich infolge der terrassenförmigen Anlage des ganzen städtischen Com- plexes übereinander. Dazwischen treten die Moscheen deutlich hervor. Dieselben unterscheiden sich in ganz Marokko von den Moscheen der übrigen islamitischen Welt durch die abweichende Form der Minarets. An Stelle der hoch aufstrebenden schlanken Entwicklung tritt hier ein mehr massiver, viereckiger Bau, welcher an der Spitze in einem gewölbten Aufsatz verläuft. Es erinnert das an die bei russischen Kirchen beliebtere Form der steinernen Thürme. 93*

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 739. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/755>, abgerufen am 27.04.2024.