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Schulgesetze für das Gymnasium zu Lemgo. Lemgo, 1820.

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Schule und Haus können hinsichtlich der Kinder nur Einen Zweck haben, den nämlich, das Wohl der Kinder im Wissen und Wollen zu fördern; so müssen denn auch Beyde in Uebereinstimmung mit einander wirken. Fehlt es an solcher Uebereinstimmung, wirkt die häusliche Erziehung gar der Schule entgegen, so ist alle Mühe der Lehrer entweder vergeblich, oder wird doch nur theilweise belohnt. Wir können demnach den Aeltern, Pflegeältern oder Vormündern, die unsrer Schulanstalt Kinder anvertrauen, im Allgemeinen nicht genug empfehlen, in der häuslichen Erziehung Aufmerksamkeit und Sorgfalt anzuwenden; den Kindern in jeder Hinsicht mit einem guten Beyspiele vorzugehen; sich in ihrer Gegenwart ins Besondere aller zweydeutigen oder gar unziemlichen Reden und Handlungen zu enthalten; an den Fortschritten ihrer Kinder im Wissen, so wie an dem sittlichen Betragen derselben einen warmen Antheil zu nehmen, wie es sich für Aeltern ziemt, die in den Kindern ihren größten Schatz erblicken. Wir können sie nicht genug warnen, sich nicht dem Wahne zu überlassen, als habe ein Vater alle seine Pflichten gegen sein Kind erfüllt, wenn er es einer Schule übergiebt, indem er vom Unterrichte allein, von welchem der Natur der Sache nach beynahe alles die Sitten bildende und befestigende Handeln ausgeschlossen ist, mit einem blinden Glauben einen allmächtigen Einfluß auf das Betragen, die Sitten und die Erziehung der Kinder überhaupt erwartet. Wer sein Kind in die Schule schickt, um es zu beschäfftigen, oder sich desselben zu entledigen; wer von ihr erwartet, daß sie verderbte Sitten und Gemüther zu bessern im Stande sey, ohne daß die häusliche Erziehung irgend etwas dazu beyzutragen habe, der irrt sehr, und hat einen ganz unrichtigen Begriff von Schule und Erziehung. Kinder sind wie Bäumchen: ihr Grund und Boden ist das Haus; der Lehrer ist der Gärtner, der den jungen Stämmchen wohl

Schule und Haus können hinsichtlich der Kinder nur Einen Zweck haben, den nämlich, das Wohl der Kinder im Wissen und Wollen zu fördern; so müssen denn auch Beyde in Uebereinstimmung mit einander wirken. Fehlt es an solcher Uebereinstimmung, wirkt die häusliche Erziehung gar der Schule entgegen, so ist alle Mühe der Lehrer entweder vergeblich, oder wird doch nur theilweise belohnt. Wir können demnach den Aeltern, Pflegeältern oder Vormündern, die unsrer Schulanstalt Kinder anvertrauen, im Allgemeinen nicht genug empfehlen, in der häuslichen Erziehung Aufmerksamkeit und Sorgfalt anzuwenden; den Kindern in jeder Hinsicht mit einem guten Beyspiele vorzugehen; sich in ihrer Gegenwart ins Besondere aller zweydeutigen oder gar unziemlichen Reden und Handlungen zu enthalten; an den Fortschritten ihrer Kinder im Wissen, so wie an dem sittlichen Betragen derselben einen warmen Antheil zu nehmen, wie es sich für Aeltern ziemt, die in den Kindern ihren größten Schatz erblicken. Wir können sie nicht genug warnen, sich nicht dem Wahne zu überlassen, als habe ein Vater alle seine Pflichten gegen sein Kind erfüllt, wenn er es einer Schule übergiebt, indem er vom Unterrichte allein, von welchem der Natur der Sache nach beynahe alles die Sitten bildende und befestigende Handeln ausgeschlossen ist, mit einem blinden Glauben einen allmächtigen Einfluß auf das Betragen, die Sitten und die Erziehung der Kinder überhaupt erwartet. Wer sein Kind in die Schule schickt, um es zu beschäfftigen, oder sich desselben zu entledigen; wer von ihr erwartet, daß sie verderbte Sitten und Gemüther zu bessern im Stande sey, ohne daß die häusliche Erziehung irgend etwas dazu beyzutragen habe, der irrt sehr, und hat einen ganz unrichtigen Begriff von Schule und Erziehung. Kinder sind wie Bäumchen: ihr Grund und Boden ist das Haus; der Lehrer ist der Gärtner, der den jungen Stämmchen wohl

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[4/0004] Schule und Haus können hinsichtlich der Kinder nur Einen Zweck haben, den nämlich, das Wohl der Kinder im Wissen und Wollen zu fördern; so müssen denn auch Beyde in Uebereinstimmung mit einander wirken. Fehlt es an solcher Uebereinstimmung, wirkt die häusliche Erziehung gar der Schule entgegen, so ist alle Mühe der Lehrer entweder vergeblich, oder wird doch nur theilweise belohnt. Wir können demnach den Aeltern, Pflegeältern oder Vormündern, die unsrer Schulanstalt Kinder anvertrauen, im Allgemeinen nicht genug empfehlen, in der häuslichen Erziehung Aufmerksamkeit und Sorgfalt anzuwenden; den Kindern in jeder Hinsicht mit einem guten Beyspiele vorzugehen; sich in ihrer Gegenwart ins Besondere aller zweydeutigen oder gar unziemlichen Reden und Handlungen zu enthalten; an den Fortschritten ihrer Kinder im Wissen, so wie an dem sittlichen Betragen derselben einen warmen Antheil zu nehmen, wie es sich für Aeltern ziemt, die in den Kindern ihren größten Schatz erblicken. Wir können sie nicht genug warnen, sich nicht dem Wahne zu überlassen, als habe ein Vater alle seine Pflichten gegen sein Kind erfüllt, wenn er es einer Schule übergiebt, indem er vom Unterrichte allein, von welchem der Natur der Sache nach beynahe alles die Sitten bildende und befestigende Handeln ausgeschlossen ist, mit einem blinden Glauben einen allmächtigen Einfluß auf das Betragen, die Sitten und die Erziehung der Kinder überhaupt erwartet. Wer sein Kind in die Schule schickt, um es zu beschäfftigen, oder sich desselben zu entledigen; wer von ihr erwartet, daß sie verderbte Sitten und Gemüther zu bessern im Stande sey, ohne daß die häusliche Erziehung irgend etwas dazu beyzutragen habe, der irrt sehr, und hat einen ganz unrichtigen Begriff von Schule und Erziehung. Kinder sind wie Bäumchen: ihr Grund und Boden ist das Haus; der Lehrer ist der Gärtner, der den jungen Stämmchen wohl

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Zitationshilfe: Schulgesetze für das Gymnasium zu Lemgo. Lemgo, 1820, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lemgo_schulgesetz_1820/4>, abgerufen am 27.04.2024.