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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747.

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Vorrede des Uebersetzers.

Das Hannöverische Manuscript behält inzwischen einen
gewissen Vorzug, ob es gleich noch seine Gebrechen leidet. Es
hat nicht allein an vielen Stellen die Zunamen gewisser Pilger nie-
driges Standes und einiger Rigischen Bürger, davon das Re-
velsche
nur die Taufnamen hat, sondern auch in den eigentlichen
Namen der Oerter weniger Schreibfehler. Ueberdem verknü-
pfen unsere Abschriften den Text ohne die gewöhnlichen Unterschei-
dungszeichen oft so zusammen, daß der Sinn manchmal zweydeu-
tig, und unter dem Lesen die Aufmerksamkeit und das Nachden-
ken des Verstandes stark unterbrochen wird.

Der Text ist Mönchslatein, weil der Verfasser nach der
Schreibart derer Biblia vulgata sich ausdrücket, und von keinen
andern Verbindungswörtern viel mehr weiß, als von seinem Und,
welches im Uebersetzen hindert, indem man den Nachsatz oft zum
Vorsatz erst suchen muß, wenn man die Rede auf andere Manier
zusammen fügen wil, um dem Ekel abzuhelfen. Zwar meinte
durch eine freye Uebersetzung diesem Verdruß aus dem Wege zu ge-
hen; allein bey dem Versuch selbst merkte ich gleich, daß damit nicht
fortzukommen wäre. Jch wurde unvermuthet bald durch eine
Reihe einfältiger Gedanken, und niedriger Ausdrücke, bald durch
gehäufte Wiederholung gleichbedeutender Redensarten übereilet,
denen nicht wohl ausbeugen konte, wenn anders die Sachen nach
den Ausdrücken des Verfassers vorgetragen werden, und es nicht
meine Arbeit, sondern des Auctors seyn solte; welches von einem
Uebersetzer doch erfordert wird. Man konte aber auch den Le-
ser der Anmuth nicht berauben, das alte in seiner natürlichen und
ungekünstelten Schönheit zu betrachten. Man siehet bey solchen
Alterthümern mehr auf den Jnhalt, als auf die Belustigung des
Gehörs, welches letztere Liebhaber blos angenehmer Schriften
um wolfeilern Preiß vergnügen können; wiewol einfältige Be-
schreibungen, wenn sie unerwartet kommen, auch ein Vergnü-
gen erwecken.

Sonderlich darf man unter dem Lesen an den meisten Stellen
sich keine grossen Vorstellungen von Armeen, Schlössern, Schlach-
ten, Städten und solchen Wörtern machen, die eine Vielheit
oder Grösse bedeuten, weil der Zusammenhang weiset, daß sieben

Per-
Vorrede des Ueberſetzers.

Das Hannoͤveriſche Manuſcript behaͤlt inzwiſchen einen
gewiſſen Vorzug, ob es gleich noch ſeine Gebrechen leidet. Es
hat nicht allein an vielen Stellen die Zunamen gewiſſer Pilger nie-
driges Standes und einiger Rigiſchen Buͤrger, davon das Re-
velſche
nur die Taufnamen hat, ſondern auch in den eigentlichen
Namen der Oerter weniger Schreibfehler. Ueberdem verknuͤ-
pfen unſere Abſchriften den Text ohne die gewoͤhnlichen Unterſchei-
dungszeichen oft ſo zuſammen, daß der Sinn manchmal zweydeu-
tig, und unter dem Leſen die Aufmerkſamkeit und das Nachden-
ken des Verſtandes ſtark unterbrochen wird.

Der Text iſt Moͤnchslatein, weil der Verfaſſer nach der
Schreibart derer Biblia vulgata ſich ausdruͤcket, und von keinen
andern Verbindungswoͤrtern viel mehr weiß, als von ſeinem Und,
welches im Ueberſetzen hindert, indem man den Nachſatz oft zum
Vorſatz erſt ſuchen muß, wenn man die Rede auf andere Manier
zuſammen fuͤgen wil, um dem Ekel abzuhelfen. Zwar meinte
durch eine freye Ueberſetzung dieſem Verdruß aus dem Wege zu ge-
hen; allein bey dem Verſuch ſelbſt merkte ich gleich, daß damit nicht
fortzukommen waͤre. Jch wurde unvermuthet bald durch eine
Reihe einfaͤltiger Gedanken, und niedriger Ausdruͤcke, bald durch
gehaͤufte Wiederholung gleichbedeutender Redensarten uͤbereilet,
denen nicht wohl ausbeugen konte, wenn anders die Sachen nach
den Ausdruͤcken des Verfaſſers vorgetragen werden, und es nicht
meine Arbeit, ſondern des Auctors ſeyn ſolte; welches von einem
Ueberſetzer doch erfordert wird. Man konte aber auch den Le-
ſer der Anmuth nicht berauben, das alte in ſeiner natuͤrlichen und
ungekuͤnſtelten Schoͤnheit zu betrachten. Man ſiehet bey ſolchen
Alterthuͤmern mehr auf den Jnhalt, als auf die Beluſtigung des
Gehoͤrs, welches letztere Liebhaber blos angenehmer Schriften
um wolfeilern Preiß vergnuͤgen koͤnnen; wiewol einfaͤltige Be-
ſchreibungen, wenn ſie unerwartet kommen, auch ein Vergnuͤ-
gen erwecken.

Sonderlich darf man unter dem Leſen an den meiſten Stellen
ſich keine groſſen Vorſtellungen von Armeen, Schloͤſſern, Schlach-
ten, Staͤdten und ſolchen Woͤrtern machen, die eine Vielheit
oder Groͤſſe bedeuten, weil der Zuſammenhang weiſet, daß ſieben

Per-
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[0016] Vorrede des Ueberſetzers. Das Hannoͤveriſche Manuſcript behaͤlt inzwiſchen einen gewiſſen Vorzug, ob es gleich noch ſeine Gebrechen leidet. Es hat nicht allein an vielen Stellen die Zunamen gewiſſer Pilger nie- driges Standes und einiger Rigiſchen Buͤrger, davon das Re- velſche nur die Taufnamen hat, ſondern auch in den eigentlichen Namen der Oerter weniger Schreibfehler. Ueberdem verknuͤ- pfen unſere Abſchriften den Text ohne die gewoͤhnlichen Unterſchei- dungszeichen oft ſo zuſammen, daß der Sinn manchmal zweydeu- tig, und unter dem Leſen die Aufmerkſamkeit und das Nachden- ken des Verſtandes ſtark unterbrochen wird. Der Text iſt Moͤnchslatein, weil der Verfaſſer nach der Schreibart derer Biblia vulgata ſich ausdruͤcket, und von keinen andern Verbindungswoͤrtern viel mehr weiß, als von ſeinem Und, welches im Ueberſetzen hindert, indem man den Nachſatz oft zum Vorſatz erſt ſuchen muß, wenn man die Rede auf andere Manier zuſammen fuͤgen wil, um dem Ekel abzuhelfen. Zwar meinte durch eine freye Ueberſetzung dieſem Verdruß aus dem Wege zu ge- hen; allein bey dem Verſuch ſelbſt merkte ich gleich, daß damit nicht fortzukommen waͤre. Jch wurde unvermuthet bald durch eine Reihe einfaͤltiger Gedanken, und niedriger Ausdruͤcke, bald durch gehaͤufte Wiederholung gleichbedeutender Redensarten uͤbereilet, denen nicht wohl ausbeugen konte, wenn anders die Sachen nach den Ausdruͤcken des Verfaſſers vorgetragen werden, und es nicht meine Arbeit, ſondern des Auctors ſeyn ſolte; welches von einem Ueberſetzer doch erfordert wird. Man konte aber auch den Le- ſer der Anmuth nicht berauben, das alte in ſeiner natuͤrlichen und ungekuͤnſtelten Schoͤnheit zu betrachten. Man ſiehet bey ſolchen Alterthuͤmern mehr auf den Jnhalt, als auf die Beluſtigung des Gehoͤrs, welches letztere Liebhaber blos angenehmer Schriften um wolfeilern Preiß vergnuͤgen koͤnnen; wiewol einfaͤltige Be- ſchreibungen, wenn ſie unerwartet kommen, auch ein Vergnuͤ- gen erwecken. Sonderlich darf man unter dem Leſen an den meiſten Stellen ſich keine groſſen Vorſtellungen von Armeen, Schloͤſſern, Schlach- ten, Staͤdten und ſolchen Woͤrtern machen, die eine Vielheit oder Groͤſſe bedeuten, weil der Zuſammenhang weiſet, daß ſieben Per-

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik01_1747/16>, abgerufen am 28.04.2024.