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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

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"Und warum sagtest Du das nicht gleich?"
fragte ihre Mutter.

"Ich dachte, ich wußte nicht", stotterte
Jenny ganz verwirrt, bog sich zur Pfarrerin
nieder, küßte ihr die Hand und bat, als ob sie
ein Unrecht gut zu machen hätte, "ach, sein
Sie nicht böse!"

Beide Frauen nahmen das lächelnd für eine
von Jenny's Launen, und gaben nicht weiter
auf sie Acht, als abermals der Vorhang empor-
rollte und das Duett zwischen Susanna und
dem Grafen ertönte.

Für Reinhard sang der Graf nicht verge-
bens: "So lang' hab' ich geschmachtet, ohn' Hoff-
nung Dich geliebt"; er fühlte dabei die Trost-
losigkeit der verflossenen Tage aufs Neue, und
Jenny konnte sie in dem beredten Ausdruck
seines Auges lesen, ohne daß sie ein Wort mit
einander zu sprechen brauchten. Sie fühlte mit
Reinhard, als die Musik aufjubelte, bei der


„Und warum ſagteſt Du das nicht gleich?“
fragte ihre Mutter.

„Ich dachte, ich wußte nicht“, ſtotterte
Jenny ganz verwirrt, bog ſich zur Pfarrerin
nieder, küßte ihr die Hand und bat, als ob ſie
ein Unrecht gut zu machen hätte, „ach, ſein
Sie nicht böſe!“

Beide Frauen nahmen das lächelnd für eine
von Jenny's Launen, und gaben nicht weiter
auf ſie Acht, als abermals der Vorhang empor-
rollte und das Duett zwiſchen Suſanna und
dem Grafen ertönte.

Für Reinhard ſang der Graf nicht verge-
bens: „So lang' hab' ich geſchmachtet, ohn' Hoff-
nung Dich geliebt“; er fühlte dabei die Troſt-
loſigkeit der verfloſſenen Tage aufs Neue, und
Jenny konnte ſie in dem beredten Ausdruck
ſeines Auges leſen, ohne daß ſie ein Wort mit
einander zu ſprechen brauchten. Sie fühlte mit
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[89/0101] „Und warum ſagteſt Du das nicht gleich?“ fragte ihre Mutter. „Ich dachte, ich wußte nicht“, ſtotterte Jenny ganz verwirrt, bog ſich zur Pfarrerin nieder, küßte ihr die Hand und bat, als ob ſie ein Unrecht gut zu machen hätte, „ach, ſein Sie nicht böſe!“ Beide Frauen nahmen das lächelnd für eine von Jenny's Launen, und gaben nicht weiter auf ſie Acht, als abermals der Vorhang empor- rollte und das Duett zwiſchen Suſanna und dem Grafen ertönte. Für Reinhard ſang der Graf nicht verge- bens: „So lang' hab' ich geſchmachtet, ohn' Hoff- nung Dich geliebt“; er fühlte dabei die Troſt- loſigkeit der verfloſſenen Tage aufs Neue, und Jenny konnte ſie in dem beredten Ausdruck ſeines Auges leſen, ohne daß ſie ein Wort mit einander zu ſprechen brauchten. Sie fühlte mit Reinhard, als die Muſik aufjubelte, bei der

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/101>, abgerufen am 27.04.2024.