Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Braut und Bräutigam gerade zuletzt etwas
erfahren."

"Das ist überall der Fall, mein Kind",
entgegnete der Vater, "und die Welt sieht in
der Wirklichkeit nicht ganz so romantisch aus,
als in Deinem 17jährigen Köpfchen. Was aber
das Glück der Ehen bei den Juden betrifft, so
verdanken sie das, sowie manches andere Gute,
dem Drucke, unter dem sie Jahrhunderte gelebt
haben. Der Mann, dem die freie Bewegung
ins Leben hinein überall verwehrt war, der
nichts sein eigen nennen durfte, nicht Haus,
nicht Hof, dem man das mühsam erworbene
Gut unter immer neuen Vorwänden gewaltsam
zu entreißen wußte -- dem blieb nichts, als
sein Weib und seine Kinder. Sie waren das
Einzige, das ihm Niemand rauben konnte, sie
blieben sein, auch getrennt von ihm, sein durch
den Glauben, und nur, indem sie sich von die-
sem trennten, konnten sie aufhören, sein zu

Braut und Bräutigam gerade zuletzt etwas
erfahren.“

„Das iſt überall der Fall, mein Kind“,
entgegnete der Vater, „und die Welt ſieht in
der Wirklichkeit nicht ganz ſo romantiſch aus,
als in Deinem 17jährigen Köpfchen. Was aber
das Glück der Ehen bei den Juden betrifft, ſo
verdanken ſie das, ſowie manches andere Gute,
dem Drucke, unter dem ſie Jahrhunderte gelebt
haben. Der Mann, dem die freie Bewegung
ins Leben hinein überall verwehrt war, der
nichts ſein eigen nennen durfte, nicht Haus,
nicht Hof, dem man das mühſam erworbene
Gut unter immer neuen Vorwänden gewaltſam
zu entreißen wußte — dem blieb nichts, als
ſein Weib und ſeine Kinder. Sie waren das
Einzige, das ihm Niemand rauben konnte, ſie
blieben ſein, auch getrennt von ihm, ſein durch
den Glauben, und nur, indem ſie ſich von die-
ſem trennten, konnten ſie aufhören, ſein zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0148" n="136"/>
Braut und Bräutigam gerade zuletzt etwas<lb/>
erfahren.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das i&#x017F;t überall der Fall, mein Kind&#x201C;,<lb/>
entgegnete der Vater, &#x201E;und die Welt &#x017F;ieht in<lb/>
der Wirklichkeit nicht ganz &#x017F;o romanti&#x017F;ch aus,<lb/>
als in Deinem 17jährigen Köpfchen. Was aber<lb/>
das Glück der Ehen bei den Juden betrifft, &#x017F;o<lb/>
verdanken &#x017F;ie das, &#x017F;owie manches andere Gute,<lb/>
dem Drucke, unter dem &#x017F;ie Jahrhunderte gelebt<lb/>
haben. Der Mann, dem die freie Bewegung<lb/>
ins Leben hinein überall verwehrt war, der<lb/>
nichts &#x017F;ein eigen nennen durfte, nicht Haus,<lb/>
nicht Hof, dem man das müh&#x017F;am erworbene<lb/>
Gut unter immer neuen Vorwänden gewalt&#x017F;am<lb/>
zu entreißen wußte &#x2014; dem blieb nichts, als<lb/>
&#x017F;ein Weib und &#x017F;eine Kinder. Sie waren das<lb/>
Einzige, das ihm Niemand rauben konnte, &#x017F;ie<lb/>
blieben &#x017F;ein, auch getrennt von ihm, &#x017F;ein durch<lb/>
den Glauben, und nur, indem &#x017F;ie &#x017F;ich von die-<lb/>
&#x017F;em trennten, konnten &#x017F;ie aufhören, &#x017F;ein zu<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[136/0148] Braut und Bräutigam gerade zuletzt etwas erfahren.“ „Das iſt überall der Fall, mein Kind“, entgegnete der Vater, „und die Welt ſieht in der Wirklichkeit nicht ganz ſo romantiſch aus, als in Deinem 17jährigen Köpfchen. Was aber das Glück der Ehen bei den Juden betrifft, ſo verdanken ſie das, ſowie manches andere Gute, dem Drucke, unter dem ſie Jahrhunderte gelebt haben. Der Mann, dem die freie Bewegung ins Leben hinein überall verwehrt war, der nichts ſein eigen nennen durfte, nicht Haus, nicht Hof, dem man das mühſam erworbene Gut unter immer neuen Vorwänden gewaltſam zu entreißen wußte — dem blieb nichts, als ſein Weib und ſeine Kinder. Sie waren das Einzige, das ihm Niemand rauben konnte, ſie blieben ſein, auch getrennt von ihm, ſein durch den Glauben, und nur, indem ſie ſich von die- ſem trennten, konnten ſie aufhören, ſein zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/148
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/148>, abgerufen am 27.04.2024.