tung und Verehrung für ihn, darum hatte sie tausend jener kleinen Aufmerksamkeiten ihm ge- genüber, in denen weibliche Liebe so erfinderisch ist, und die, allen Andern unbemerkbar, sicher den Weg in das Herz Dessen finden, dem sie gelten. Dabei war Clara so hingerissen von der großartigen, freien Weltanschauung Eduard's; die Wahrheit seiner Worte prägte sich ihr so deutlich und unbestreitbar ein, daß auch in dieser Beziehung der Geliebte ihr Ideal wurde. Ein Tag, an dem sie ihn nicht gesehen, nicht gehört hatte, was er treibe, was ihn beschäftige, schien ihr ein verlorner zu sein; und als nun Eduard endlich seine letzte, ärztliche Visite machte, als Clara mit Thränen in den Augen vor ihm stand, mit Thränen, die, wie ihre Mutter meinte, einer übertriebenen Dankbarkeit flossen, fand sie endlich so viel Muth in sich, leise die Hoffnung auszusprechen, Doctor Meier, dem sie so unendlichen Dank schuldig geworden,
tung und Verehrung für ihn, darum hatte ſie tauſend jener kleinen Aufmerkſamkeiten ihm ge- genüber, in denen weibliche Liebe ſo erfinderiſch iſt, und die, allen Andern unbemerkbar, ſicher den Weg in das Herz Deſſen finden, dem ſie gelten. Dabei war Clara ſo hingeriſſen von der großartigen, freien Weltanſchauung Eduard's; die Wahrheit ſeiner Worte prägte ſich ihr ſo deutlich und unbeſtreitbar ein, daß auch in dieſer Beziehung der Geliebte ihr Ideal wurde. Ein Tag, an dem ſie ihn nicht geſehen, nicht gehört hatte, was er treibe, was ihn beſchäftige, ſchien ihr ein verlorner zu ſein; und als nun Eduard endlich ſeine letzte, ärztliche Viſite machte, als Clara mit Thränen in den Augen vor ihm ſtand, mit Thränen, die, wie ihre Mutter meinte, einer übertriebenen Dankbarkeit floſſen, fand ſie endlich ſo viel Muth in ſich, leiſe die Hoffnung auszuſprechen, Doctor Meier, dem ſie ſo unendlichen Dank ſchuldig geworden,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0163"n="151"/>
tung und Verehrung für ihn, darum hatte ſie<lb/>
tauſend jener kleinen Aufmerkſamkeiten ihm ge-<lb/>
genüber, in denen weibliche Liebe ſo erfinderiſch<lb/>
iſt, und die, allen Andern unbemerkbar, ſicher<lb/>
den Weg in das Herz Deſſen finden, dem ſie<lb/>
gelten. Dabei war Clara ſo hingeriſſen von der<lb/>
großartigen, freien Weltanſchauung Eduard's;<lb/>
die Wahrheit ſeiner Worte prägte ſich ihr ſo<lb/>
deutlich und unbeſtreitbar ein, daß auch in<lb/>
dieſer Beziehung der Geliebte ihr Ideal wurde.<lb/>
Ein Tag, an dem ſie ihn nicht geſehen, nicht<lb/>
gehört hatte, was er treibe, was ihn beſchäftige,<lb/>ſchien ihr ein verlorner zu ſein; und als nun<lb/>
Eduard endlich ſeine letzte, ärztliche Viſite<lb/>
machte, als Clara mit Thränen in den Augen<lb/>
vor ihm ſtand, mit Thränen, die, wie ihre<lb/>
Mutter meinte, einer übertriebenen Dankbarkeit<lb/>
floſſen, fand ſie endlich ſo viel Muth in ſich,<lb/>
leiſe die Hoffnung auszuſprechen, Doctor Meier,<lb/>
dem ſie ſo unendlichen Dank ſchuldig geworden,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[151/0163]
tung und Verehrung für ihn, darum hatte ſie
tauſend jener kleinen Aufmerkſamkeiten ihm ge-
genüber, in denen weibliche Liebe ſo erfinderiſch
iſt, und die, allen Andern unbemerkbar, ſicher
den Weg in das Herz Deſſen finden, dem ſie
gelten. Dabei war Clara ſo hingeriſſen von der
großartigen, freien Weltanſchauung Eduard's;
die Wahrheit ſeiner Worte prägte ſich ihr ſo
deutlich und unbeſtreitbar ein, daß auch in
dieſer Beziehung der Geliebte ihr Ideal wurde.
Ein Tag, an dem ſie ihn nicht geſehen, nicht
gehört hatte, was er treibe, was ihn beſchäftige,
ſchien ihr ein verlorner zu ſein; und als nun
Eduard endlich ſeine letzte, ärztliche Viſite
machte, als Clara mit Thränen in den Augen
vor ihm ſtand, mit Thränen, die, wie ihre
Mutter meinte, einer übertriebenen Dankbarkeit
floſſen, fand ſie endlich ſo viel Muth in ſich,
leiſe die Hoffnung auszuſprechen, Doctor Meier,
dem ſie ſo unendlichen Dank ſchuldig geworden,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/163>, abgerufen am 11.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.