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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

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durch die Schönheit der Dichtung, erbleichen
und ihr Auge in Thränen schwimmen sah. So
hatte er ihnen einst das erhabene Gespräch zwi-
schen Faust und Gretchen vorgetragen, das mit
den Worten beginnt: "Versprich mir, Hein-
rich!" und das schönste Glaubensbekenntniß
eines hohen Geistes enthält. Reinhard selbst
war lebhaft ergriffen, und als Jenny bei den
Versen: "Ich habe keinen Namen dafür! Ge-
fühl ist Alles. Name ist Schall und Rauch,
umnebelnd Himmelsgluth!" weinend vor
Wonne dem Lehrer beide Hände wie dankend
entgegenhielt, hatte er sie schnell und warm in
die seinen geschlossen, obgleich er es einen Augen-
blick später schon bereuete. In Folge dieser
Stunde und eines dadurch entspringenden Ge-
sprächs war Reinhard zu der Erkenntniß ge-
kommen, daß Jenny, obgleich tief durchdrungen
von dem Gefühl für Schönheit und Recht und
von dem zartesten Gewissen, dennoch in seinem

durch die Schönheit der Dichtung, erbleichen
und ihr Auge in Thränen ſchwimmen ſah. So
hatte er ihnen einſt das erhabene Geſpräch zwi-
ſchen Fauſt und Gretchen vorgetragen, das mit
den Worten beginnt: „Verſprich mir, Hein-
rich!“ und das ſchönſte Glaubensbekenntniß
eines hohen Geiſtes enthält. Reinhard ſelbſt
war lebhaft ergriffen, und als Jenny bei den
Verſen: „Ich habe keinen Namen dafür! Ge-
fühl iſt Alles. Name iſt Schall und Rauch,
umnebelnd Himmelsgluth!“ weinend vor
Wonne dem Lehrer beide Hände wie dankend
entgegenhielt, hatte er ſie ſchnell und warm in
die ſeinen geſchloſſen, obgleich er es einen Augen-
blick ſpäter ſchon bereuete. In Folge dieſer
Stunde und eines dadurch entſpringenden Ge-
ſprächs war Reinhard zu der Erkenntniß ge-
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von dem Gefühl für Schönheit und Recht und
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[67/0079] durch die Schönheit der Dichtung, erbleichen und ihr Auge in Thränen ſchwimmen ſah. So hatte er ihnen einſt das erhabene Geſpräch zwi- ſchen Fauſt und Gretchen vorgetragen, das mit den Worten beginnt: „Verſprich mir, Hein- rich!“ und das ſchönſte Glaubensbekenntniß eines hohen Geiſtes enthält. Reinhard ſelbſt war lebhaft ergriffen, und als Jenny bei den Verſen: „Ich habe keinen Namen dafür! Ge- fühl iſt Alles. Name iſt Schall und Rauch, umnebelnd Himmelsgluth!“ weinend vor Wonne dem Lehrer beide Hände wie dankend entgegenhielt, hatte er ſie ſchnell und warm in die ſeinen geſchloſſen, obgleich er es einen Augen- blick ſpäter ſchon bereuete. In Folge dieſer Stunde und eines dadurch entſpringenden Ge- ſprächs war Reinhard zu der Erkenntniß ge- kommen, daß Jenny, obgleich tief durchdrungen von dem Gefühl für Schönheit und Recht und von dem zarteſten Gewiſſen, dennoch in ſeinem

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/79>, abgerufen am 28.04.2024.