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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

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die Stimmung des jungen Mädchens zu seltener
Weichheit auf.

So oft die Pfarrerin das Meiersche Haus
besuchte, verließ Jenny augenblicklich die ganze
übrige Gesellschaft, um sich ausschließend der
milden Frau zu weihen. Jedes Wort, das
diese sprach, war ihr werth; stundenlang
konnte sie ruhig und entzückt ihr zuhören, wenn
sie von der Kindheit ihres Gustav erzählte, von
den unzähligen Opfern, denen der Jüngling sich
für sie unterzogen, von der immer gleichen Liebe,
die der Mann ihr darbringe, und wie sie nichts
sehnlicher wünsche, als den geliebten Sohn bald
in Verhältnissen zu sehen, die es ihm möglich
machten, an der Seite einer theuern Frau das
Glück zu finden, das Gott ihm gewiß gewähren
müsse.

Jede solche Erzählung diente nur dazu,
Jenny's Liebe lebhafter anzufachen; und je deut-
licher das Bewußtsein derselben in ihr wurde,

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die Stimmung des jungen Mädchens zu ſeltener
Weichheit auf.

So oft die Pfarrerin das Meierſche Haus
beſuchte, verließ Jenny augenblicklich die ganze
übrige Geſellſchaft, um ſich ausſchließend der
milden Frau zu weihen. Jedes Wort, das
dieſe ſprach, war ihr werth; ſtundenlang
konnte ſie ruhig und entzückt ihr zuhören, wenn
ſie von der Kindheit ihres Guſtav erzählte, von
den unzähligen Opfern, denen der Jüngling ſich
für ſie unterzogen, von der immer gleichen Liebe,
die der Mann ihr darbringe, und wie ſie nichts
ſehnlicher wünſche, als den geliebten Sohn bald
in Verhältniſſen zu ſehen, die es ihm möglich
machten, an der Seite einer theuern Frau das
Glück zu finden, das Gott ihm gewiß gewähren
müſſe.

Jede ſolche Erzählung diente nur dazu,
Jenny's Liebe lebhafter anzufachen; und je deut-
licher das Bewußtſein derſelben in ihr wurde,

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[75/0087] die Stimmung des jungen Mädchens zu ſeltener Weichheit auf. So oft die Pfarrerin das Meierſche Haus beſuchte, verließ Jenny augenblicklich die ganze übrige Geſellſchaft, um ſich ausſchließend der milden Frau zu weihen. Jedes Wort, das dieſe ſprach, war ihr werth; ſtundenlang konnte ſie ruhig und entzückt ihr zuhören, wenn ſie von der Kindheit ihres Guſtav erzählte, von den unzähligen Opfern, denen der Jüngling ſich für ſie unterzogen, von der immer gleichen Liebe, die der Mann ihr darbringe, und wie ſie nichts ſehnlicher wünſche, als den geliebten Sohn bald in Verhältniſſen zu ſehen, die es ihm möglich machten, an der Seite einer theuern Frau das Glück zu finden, das Gott ihm gewiß gewähren müſſe. Jede ſolche Erzählung diente nur dazu, Jenny's Liebe lebhafter anzufachen; und je deut- licher das Bewußtſein derſelben in ihr wurde, 4*

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/87>, abgerufen am 28.04.2024.