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Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Hause legte sie einen seidenen Ueberrock an, aber Jeder erfuhr dann auch, daß es ein Kleid sei, zu dem sie die Spulen selbst gemacht, und wie viel Jahre es nun schon gehalten habe.

Sie ging nur wenig aus. Sommer und Winter saß sie und machte Spulen für die Weber in der Hinterstube, die fast kein Licht erhielt, weil ein großer Wallnußbaum, der einzige, der in dem engen Hofe stand, sie mit seinen Aesten ganz verschüttete, wobei sie sich von unserem Vater die Arbeit so gut wie jeder Andere bezahlen ließ. In meines Vaters Equipage auszufahren, an irgend welchem Luxus theilzunehmen, konnte man sie nicht bereden. Im schlechtesten Wetter kam sie zu Fuß allsonntaglich zum Mittag zu uns. Es mußte dann um zwölf gegessen werden, und die Mutter mußte sich streng auf die Suppe und den Braten beschränken, wollte sie nicht Vorwürfe erhalten, an denen es ohnehin nie fehlte; am Abend ging sie dann auch zu Fuße wieder heim.

Meine Mutter und die Großmutter standen überhaupt nicht gut zusammen. Sie konnte es der Schwiegertochter nicht vergessen und nicht vergeben, daß sie sich so schwer zu der Heirath mit ihrem Sohne entschlossen, und oft genug hatte die Mutter es hinter des Vaters Rücken von ihr hören müssen, wie sie einen solchen Mann niemals verdienen könne. Es war auch bisweilen wohl vorgekommen, daß sie in des Vaters Gegenwart der armen Mutter den Luxus zum Vor-

Hause legte sie einen seidenen Ueberrock an, aber Jeder erfuhr dann auch, daß es ein Kleid sei, zu dem sie die Spulen selbst gemacht, und wie viel Jahre es nun schon gehalten habe.

Sie ging nur wenig aus. Sommer und Winter saß sie und machte Spulen für die Weber in der Hinterstube, die fast kein Licht erhielt, weil ein großer Wallnußbaum, der einzige, der in dem engen Hofe stand, sie mit seinen Aesten ganz verschüttete, wobei sie sich von unserem Vater die Arbeit so gut wie jeder Andere bezahlen ließ. In meines Vaters Equipage auszufahren, an irgend welchem Luxus theilzunehmen, konnte man sie nicht bereden. Im schlechtesten Wetter kam sie zu Fuß allsonntaglich zum Mittag zu uns. Es mußte dann um zwölf gegessen werden, und die Mutter mußte sich streng auf die Suppe und den Braten beschränken, wollte sie nicht Vorwürfe erhalten, an denen es ohnehin nie fehlte; am Abend ging sie dann auch zu Fuße wieder heim.

Meine Mutter und die Großmutter standen überhaupt nicht gut zusammen. Sie konnte es der Schwiegertochter nicht vergessen und nicht vergeben, daß sie sich so schwer zu der Heirath mit ihrem Sohne entschlossen, und oft genug hatte die Mutter es hinter des Vaters Rücken von ihr hören müssen, wie sie einen solchen Mann niemals verdienen könne. Es war auch bisweilen wohl vorgekommen, daß sie in des Vaters Gegenwart der armen Mutter den Luxus zum Vor-

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[0030] Hause legte sie einen seidenen Ueberrock an, aber Jeder erfuhr dann auch, daß es ein Kleid sei, zu dem sie die Spulen selbst gemacht, und wie viel Jahre es nun schon gehalten habe. Sie ging nur wenig aus. Sommer und Winter saß sie und machte Spulen für die Weber in der Hinterstube, die fast kein Licht erhielt, weil ein großer Wallnußbaum, der einzige, der in dem engen Hofe stand, sie mit seinen Aesten ganz verschüttete, wobei sie sich von unserem Vater die Arbeit so gut wie jeder Andere bezahlen ließ. In meines Vaters Equipage auszufahren, an irgend welchem Luxus theilzunehmen, konnte man sie nicht bereden. Im schlechtesten Wetter kam sie zu Fuß allsonntaglich zum Mittag zu uns. Es mußte dann um zwölf gegessen werden, und die Mutter mußte sich streng auf die Suppe und den Braten beschränken, wollte sie nicht Vorwürfe erhalten, an denen es ohnehin nie fehlte; am Abend ging sie dann auch zu Fuße wieder heim. Meine Mutter und die Großmutter standen überhaupt nicht gut zusammen. Sie konnte es der Schwiegertochter nicht vergessen und nicht vergeben, daß sie sich so schwer zu der Heirath mit ihrem Sohne entschlossen, und oft genug hatte die Mutter es hinter des Vaters Rücken von ihr hören müssen, wie sie einen solchen Mann niemals verdienen könne. Es war auch bisweilen wohl vorgekommen, daß sie in des Vaters Gegenwart der armen Mutter den Luxus zum Vor-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/30>, abgerufen am 28.04.2024.