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Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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siebzehn Jahren deine Frau! -- und der Ton, mit dem sie das aussprach, ging ihm, weil er so wahr aus ihrer Seele kam, auch zu Herzen; doch vermochte er nicht zu sprechen, der Hals war ihm wie zugeschnürt. Was hab' ich dir und mir zu nahe gethan? fragte sie wieder und noch bittender.

O nichts, nichts! rief er mit dem Ausdruck eines tiefen Schmerzes. Ich weiß, du kannst nicht lügen! Du hast entsagt, gekämpft, ich habe dich nicht anzuklagen -- aber -- er hielt inne, als widerstrebe das Wort seinem Munde, als möge er vor sich selber nicht einmal aussprechen, was er denke. Indeß sein Schmerz verlangte nach Befreiung, und fast gewaltsam stieß er hervor: aber du hast mich nie geliebt, du liebst nur ihn! -- und, beide Hände vor dem Gesicht zusammenschlagend, rief er: sich das sagen müssen nach so langer Ehe! --

Die Mutter fühlte sich wie gelähmt durch diese Worte, denn in ihr lebte die Zuversicht der langen, fest gewohnten Treue, die nicht mehr an die Möglichkeit des Zweifels und des Wankens denkt. Den Mann, den Vater ihrer Kinder unter dem Einfluß einer solchen Eifersucht, voll entehrenden Verdachtes gegen sie zu finden, darauf war sie nicht vorbereitet, dagegen wußte sie sich nicht zu helfen, und wie von einem Instincte getrieben eilte sie ins Nebenzimmer, wo wir schliefen, als müßte sie Schutz bei uns, bei ihren Kindern finden.

siebzehn Jahren deine Frau! — und der Ton, mit dem sie das aussprach, ging ihm, weil er so wahr aus ihrer Seele kam, auch zu Herzen; doch vermochte er nicht zu sprechen, der Hals war ihm wie zugeschnürt. Was hab' ich dir und mir zu nahe gethan? fragte sie wieder und noch bittender.

O nichts, nichts! rief er mit dem Ausdruck eines tiefen Schmerzes. Ich weiß, du kannst nicht lügen! Du hast entsagt, gekämpft, ich habe dich nicht anzuklagen — aber — er hielt inne, als widerstrebe das Wort seinem Munde, als möge er vor sich selber nicht einmal aussprechen, was er denke. Indeß sein Schmerz verlangte nach Befreiung, und fast gewaltsam stieß er hervor: aber du hast mich nie geliebt, du liebst nur ihn! — und, beide Hände vor dem Gesicht zusammenschlagend, rief er: sich das sagen müssen nach so langer Ehe! —

Die Mutter fühlte sich wie gelähmt durch diese Worte, denn in ihr lebte die Zuversicht der langen, fest gewohnten Treue, die nicht mehr an die Möglichkeit des Zweifels und des Wankens denkt. Den Mann, den Vater ihrer Kinder unter dem Einfluß einer solchen Eifersucht, voll entehrenden Verdachtes gegen sie zu finden, darauf war sie nicht vorbereitet, dagegen wußte sie sich nicht zu helfen, und wie von einem Instincte getrieben eilte sie ins Nebenzimmer, wo wir schliefen, als müßte sie Schutz bei uns, bei ihren Kindern finden.

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[0045] siebzehn Jahren deine Frau! — und der Ton, mit dem sie das aussprach, ging ihm, weil er so wahr aus ihrer Seele kam, auch zu Herzen; doch vermochte er nicht zu sprechen, der Hals war ihm wie zugeschnürt. Was hab' ich dir und mir zu nahe gethan? fragte sie wieder und noch bittender. O nichts, nichts! rief er mit dem Ausdruck eines tiefen Schmerzes. Ich weiß, du kannst nicht lügen! Du hast entsagt, gekämpft, ich habe dich nicht anzuklagen — aber — er hielt inne, als widerstrebe das Wort seinem Munde, als möge er vor sich selber nicht einmal aussprechen, was er denke. Indeß sein Schmerz verlangte nach Befreiung, und fast gewaltsam stieß er hervor: aber du hast mich nie geliebt, du liebst nur ihn! — und, beide Hände vor dem Gesicht zusammenschlagend, rief er: sich das sagen müssen nach so langer Ehe! — Die Mutter fühlte sich wie gelähmt durch diese Worte, denn in ihr lebte die Zuversicht der langen, fest gewohnten Treue, die nicht mehr an die Möglichkeit des Zweifels und des Wankens denkt. Den Mann, den Vater ihrer Kinder unter dem Einfluß einer solchen Eifersucht, voll entehrenden Verdachtes gegen sie zu finden, darauf war sie nicht vorbereitet, dagegen wußte sie sich nicht zu helfen, und wie von einem Instincte getrieben eilte sie ins Nebenzimmer, wo wir schliefen, als müßte sie Schutz bei uns, bei ihren Kindern finden.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/45>, abgerufen am 28.04.2024.