tigungen mehrerer Verletzten wären als von einander unab- hängig zu betrachten, bei Idealkonkurrenz (vgl. unten §. 40 III) mit einem von Amtswegen zu verfolgenden Verbrechen könnte dieses auch bei mangelndem Antrage verfolgt werden usw.
2. Bei der weitaus größeren Gruppe der Antragsfälle liegt die Sache durchaus anders. Man denke an die Not- zucht, die bis zur Novelle von 1876 Antragsdelikt war. Hier ist das Interesse des Staates an der Verfolgung vom Anfange an gegeben; aber ihm steht das Interesse des Ver- letzten an der Nichtverfolgung (da die Untersuchung und Ver- handlung der Sache für ihn nur eine neue und vielleicht die erste an Schwere übertreffende Verletzung wäre) schroff ge- genüber. Und der Staat verzichtet dem Verletzten zu Liebe auf die Geltendmachung seines Strafanspruches, so lange der Verletzte nicht durch die Stellung des "Antrages" er- klärt, daß das bei ihm vom Staate vorausgesetzte Interesse im Einzelfalle nicht vorliege. Hier ist der Antrag nicht Be- dingung der Strafbarkeit der That, sondern Voraussetzung der prozessualen Geltendmachung des staatlichen Strafan- spruches; sein Mangel nicht Strafausschließungsgrund, son- dern Hindernis der Strafverfolgung in dem oben §. 30 III 3 besprochenen Sinne; und die ganze Lehre von diesen Antragsdelikten würde gar nicht ins Strafrecht, sondern in das Strafprozeßrecht gehören. Die verschiedene prinzipielle Auffassung würde dann auch bezüglich der oben unter 1 be- sprochenen Konsequenzen in weitaus den meisten Punkten zu ganz anderen Resultaten führen.
Der Gegensatz kann hier nicht weiter verfolgt werden, da er im positiven Recht keine Anerkennung gefunden hat. Eben darum ist aber auch die systematische Stellung, die in dem Lehrbuche den Antragsdelikten gegeben wurde (ebenso
Der Antrag des Verletzten insbeſondere. §. 31.
tigungen mehrerer Verletzten wären als von einander unab- hängig zu betrachten, bei Idealkonkurrenz (vgl. unten §. 40 III) mit einem von Amtswegen zu verfolgenden Verbrechen könnte dieſes auch bei mangelndem Antrage verfolgt werden uſw.
2. Bei der weitaus größeren Gruppe der Antragsfälle liegt die Sache durchaus anders. Man denke an die Not- zucht, die bis zur Novelle von 1876 Antragsdelikt war. Hier iſt das Intereſſe des Staates an der Verfolgung vom Anfange an gegeben; aber ihm ſteht das Intereſſe des Ver- letzten an der Nichtverfolgung (da die Unterſuchung und Ver- handlung der Sache für ihn nur eine neue und vielleicht die erſte an Schwere übertreffende Verletzung wäre) ſchroff ge- genüber. Und der Staat verzichtet dem Verletzten zu Liebe auf die Geltendmachung ſeines Strafanſpruches, ſo lange der Verletzte nicht durch die Stellung des „Antrages“ er- klärt, daß das bei ihm vom Staate vorausgeſetzte Intereſſe im Einzelfalle nicht vorliege. Hier iſt der Antrag nicht Be- dingung der Strafbarkeit der That, ſondern Vorausſetzung der prozeſſualen Geltendmachung des ſtaatlichen Strafan- ſpruches; ſein Mangel nicht Strafausſchließungsgrund, ſon- dern Hindernis der Strafverfolgung in dem oben §. 30 III 3 beſprochenen Sinne; und die ganze Lehre von dieſen Antragsdelikten würde gar nicht ins Strafrecht, ſondern in das Strafprozeßrecht gehören. Die verſchiedene prinzipielle Auffaſſung würde dann auch bezüglich der oben unter 1 be- ſprochenen Konſequenzen in weitaus den meiſten Punkten zu ganz anderen Reſultaten führen.
Der Gegenſatz kann hier nicht weiter verfolgt werden, da er im poſitiven Recht keine Anerkennung gefunden hat. Eben darum iſt aber auch die ſyſtematiſche Stellung, die in dem Lehrbuche den Antragsdelikten gegeben wurde (ebenſo
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0153"n="127"/><fwplace="top"type="header">Der Antrag des Verletzten insbeſondere. §. 31.</fw><lb/>
tigungen mehrerer Verletzten wären als von einander unab-<lb/>
hängig zu betrachten, bei Idealkonkurrenz (vgl. unten §. 40 <hirendition="#aq">III</hi>)<lb/>
mit einem von Amtswegen zu verfolgenden Verbrechen könnte<lb/>
dieſes auch bei mangelndem Antrage verfolgt werden uſw.</p><lb/><p>2. Bei der weitaus größeren Gruppe der Antragsfälle<lb/>
liegt die Sache durchaus anders. Man denke an die Not-<lb/>
zucht, die bis zur Novelle von 1876 Antragsdelikt war.<lb/>
Hier iſt das Intereſſe des Staates an der Verfolgung vom<lb/>
Anfange an gegeben; aber ihm ſteht das Intereſſe des Ver-<lb/>
letzten an der Nichtverfolgung (da die Unterſuchung und Ver-<lb/>
handlung der Sache für ihn nur eine neue und vielleicht die<lb/>
erſte an Schwere übertreffende Verletzung wäre) ſchroff ge-<lb/>
genüber. Und der Staat verzichtet dem Verletzten zu Liebe<lb/>
auf die Geltendmachung ſeines Strafanſpruches, ſo lange<lb/>
der Verletzte nicht durch die Stellung des „Antrages“ er-<lb/>
klärt, daß das bei ihm vom Staate vorausgeſetzte Intereſſe<lb/>
im Einzelfalle nicht vorliege. Hier iſt der Antrag nicht Be-<lb/>
dingung der Strafbarkeit der That, ſondern Vorausſetzung<lb/>
der prozeſſualen Geltendmachung des ſtaatlichen Strafan-<lb/>ſpruches; ſein Mangel nicht Strafausſchließungsgrund, ſon-<lb/>
dern Hindernis der Strafverfolgung in dem oben §. 30<lb/><hirendition="#aq">III</hi> 3 beſprochenen Sinne; und die ganze Lehre von dieſen<lb/>
Antragsdelikten würde gar nicht ins Strafrecht, ſondern in<lb/>
das Strafprozeßrecht gehören. Die verſchiedene prinzipielle<lb/>
Auffaſſung würde dann auch bezüglich der oben unter 1 be-<lb/>ſprochenen Konſequenzen in weitaus den meiſten Punkten zu<lb/>
ganz anderen Reſultaten führen.</p><lb/><p>Der Gegenſatz kann hier nicht weiter verfolgt werden,<lb/>
da er im poſitiven Recht keine Anerkennung gefunden hat.<lb/>
Eben darum iſt aber auch die ſyſtematiſche Stellung, die in<lb/>
dem Lehrbuche den Antragsdelikten gegeben wurde (ebenſo<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[127/0153]
Der Antrag des Verletzten insbeſondere. §. 31.
tigungen mehrerer Verletzten wären als von einander unab-
hängig zu betrachten, bei Idealkonkurrenz (vgl. unten §. 40 III)
mit einem von Amtswegen zu verfolgenden Verbrechen könnte
dieſes auch bei mangelndem Antrage verfolgt werden uſw.
2. Bei der weitaus größeren Gruppe der Antragsfälle
liegt die Sache durchaus anders. Man denke an die Not-
zucht, die bis zur Novelle von 1876 Antragsdelikt war.
Hier iſt das Intereſſe des Staates an der Verfolgung vom
Anfange an gegeben; aber ihm ſteht das Intereſſe des Ver-
letzten an der Nichtverfolgung (da die Unterſuchung und Ver-
handlung der Sache für ihn nur eine neue und vielleicht die
erſte an Schwere übertreffende Verletzung wäre) ſchroff ge-
genüber. Und der Staat verzichtet dem Verletzten zu Liebe
auf die Geltendmachung ſeines Strafanſpruches, ſo lange
der Verletzte nicht durch die Stellung des „Antrages“ er-
klärt, daß das bei ihm vom Staate vorausgeſetzte Intereſſe
im Einzelfalle nicht vorliege. Hier iſt der Antrag nicht Be-
dingung der Strafbarkeit der That, ſondern Vorausſetzung
der prozeſſualen Geltendmachung des ſtaatlichen Strafan-
ſpruches; ſein Mangel nicht Strafausſchließungsgrund, ſon-
dern Hindernis der Strafverfolgung in dem oben §. 30
III 3 beſprochenen Sinne; und die ganze Lehre von dieſen
Antragsdelikten würde gar nicht ins Strafrecht, ſondern in
das Strafprozeßrecht gehören. Die verſchiedene prinzipielle
Auffaſſung würde dann auch bezüglich der oben unter 1 be-
ſprochenen Konſequenzen in weitaus den meiſten Punkten zu
ganz anderen Reſultaten führen.
Der Gegenſatz kann hier nicht weiter verfolgt werden,
da er im poſitiven Recht keine Anerkennung gefunden hat.
Eben darum iſt aber auch die ſyſtematiſche Stellung, die in
dem Lehrbuche den Antragsdelikten gegeben wurde (ebenſo
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/153>, abgerufen am 28.04.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.