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Lutz, Samuel: Warnung An Die liebe Jugend. Schaffhausen, 1747.

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Cap. 3. Die dritte Quelle
Licht deiner Erkänntniß nicht mit demüthigen,
lieb-reitzenden Worten und Geberden hervor bräch-
test; so würde dieselbe durch deine ungeschickte Auf-
führung ein finsterer und stinckender Tacht werden,
dabey man nichts vom Geheimniß der Gottselig-
keit klar und deutlich wahrnehmen und unterschei-
den kunte. Wann eine Speise sonsten noch so
köstlich und gut ist, so erreget es doch einen Eckel,
wann sie in einer heßlichen Platten aufgestellet
wird. Habe darum, mein Kind, mehr Liebe zu
deinem Nächsten, und verderbe mit deiner unfreund-
lichen Aufführung den nicht, für welchen unser
HERR gestorben ist. Man fahet ja die Fliegen
nicht mit saurem Eßig; wohl aber mit süssem Ho-
nig: Seye du derowegen in allem deinem Verhal-
ten ein Hertz-anziehendes Engelein: Werde nicht
entrüstet, wann du mit deiner guten Meynung
verachtet wirst; sondern wirffe dich heimlich in dei-
nem Hertzen vor dem Heyland nieder, mit Gebet
und Flehen, daß er ihnen diese Sünde vergeben,
und sie deinetwegen ja nicht straffen wolle: Erschri-
cke hertzlich über allem aufsteigenden Zorn, bittern
Eifer, Rach-Begierde und dergleichen teuflischen
Regungen der alten Höllen-Geburt, und lasse doch
keine Abgeneigtheit wider deinen Nächsten, und am
allerwenigsten um zeitlichen Vortheils oder Scha-
dens willen in deinem Hertzen einnisteln; weil doch
kein Schaden auf Erden so groß ist, als wann du
dir etwas von dem Lieb-vollesten Sinn JESU
abbrechen liessest: Behalte darum diß zu einer ewi-
gen Lebens-Regul, daß die gantze Welt nicht werth
seye, daß man ihrentwegen dem allein guten und

seligen

Cap. 3. Die dritte Quelle
Licht deiner Erkaͤnntniß nicht mit demuͤthigen,
lieb-reitzenden Worten und Geberden hervor braͤch-
teſt; ſo wuͤrde dieſelbe durch deine ungeſchickte Auf-
fuͤhrung ein finſterer und ſtinckender Tacht werden,
dabey man nichts vom Geheimniß der Gottſelig-
keit klar und deutlich wahrnehmen und unterſchei-
den kunte. Wann eine Speiſe ſonſten noch ſo
koͤſtlich und gut iſt, ſo erreget es doch einen Eckel,
wann ſie in einer heßlichen Platten aufgeſtellet
wird. Habe darum, mein Kind, mehr Liebe zu
deinem Naͤchſten, und verderbe mit deiner unfreund-
lichen Auffuͤhrung den nicht, fuͤr welchen unſer
HERR geſtorben iſt. Man fahet ja die Fliegen
nicht mit ſaurem Eßig; wohl aber mit ſuͤſſem Ho-
nig: Seye du derowegen in allem deinem Verhal-
ten ein Hertz-anziehendes Engelein: Werde nicht
entruͤſtet, wann du mit deiner guten Meynung
verachtet wirſt; ſondern wirffe dich heimlich in dei-
nem Hertzen vor dem Heyland nieder, mit Gebet
und Flehen, daß er ihnen dieſe Suͤnde vergeben,
und ſie deinetwegen ja nicht ſtraffen wolle: Erſchri-
cke hertzlich uͤber allem aufſteigenden Zorn, bittern
Eifer, Rach-Begierde und dergleichen teufliſchen
Regungen der alten Hoͤllen-Geburt, und laſſe doch
keine Abgeneigtheit wider deinen Naͤchſten, und am
allerwenigſten um zeitlichen Vortheils oder Scha-
dens willen in deinem Hertzen einniſteln; weil doch
kein Schaden auf Erden ſo groß iſt, als wann du
dir etwas von dem Lieb-volleſten Sinn JESU
abbrechen lieſſeſt: Behalte darum diß zu einer ewi-
gen Lebens-Regul, daß die gantze Welt nicht werth
ſeye, daß man ihrentwegen dem allein guten und

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[258/0276] Cap. 3. Die dritte Quelle Licht deiner Erkaͤnntniß nicht mit demuͤthigen, lieb-reitzenden Worten und Geberden hervor braͤch- teſt; ſo wuͤrde dieſelbe durch deine ungeſchickte Auf- fuͤhrung ein finſterer und ſtinckender Tacht werden, dabey man nichts vom Geheimniß der Gottſelig- keit klar und deutlich wahrnehmen und unterſchei- den kunte. Wann eine Speiſe ſonſten noch ſo koͤſtlich und gut iſt, ſo erreget es doch einen Eckel, wann ſie in einer heßlichen Platten aufgeſtellet wird. Habe darum, mein Kind, mehr Liebe zu deinem Naͤchſten, und verderbe mit deiner unfreund- lichen Auffuͤhrung den nicht, fuͤr welchen unſer HERR geſtorben iſt. Man fahet ja die Fliegen nicht mit ſaurem Eßig; wohl aber mit ſuͤſſem Ho- nig: Seye du derowegen in allem deinem Verhal- ten ein Hertz-anziehendes Engelein: Werde nicht entruͤſtet, wann du mit deiner guten Meynung verachtet wirſt; ſondern wirffe dich heimlich in dei- nem Hertzen vor dem Heyland nieder, mit Gebet und Flehen, daß er ihnen dieſe Suͤnde vergeben, und ſie deinetwegen ja nicht ſtraffen wolle: Erſchri- cke hertzlich uͤber allem aufſteigenden Zorn, bittern Eifer, Rach-Begierde und dergleichen teufliſchen Regungen der alten Hoͤllen-Geburt, und laſſe doch keine Abgeneigtheit wider deinen Naͤchſten, und am allerwenigſten um zeitlichen Vortheils oder Scha- dens willen in deinem Hertzen einniſteln; weil doch kein Schaden auf Erden ſo groß iſt, als wann du dir etwas von dem Lieb-volleſten Sinn JESU abbrechen lieſſeſt: Behalte darum diß zu einer ewi- gen Lebens-Regul, daß die gantze Welt nicht werth ſeye, daß man ihrentwegen dem allein guten und ſeligen

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Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Warnung An Die liebe Jugend. Schaffhausen, 1747, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_warnung_1747/276>, abgerufen am 29.04.2024.