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Lutz, Samuel: Warnung An Die liebe Jugend. Schaffhausen, 1747.

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Cap. 3. Die dritte Quelle
ten lassen, die die köstliche Speisen und edle Trau-
ben den Schweinen darwürffe; Härlinge aber und
faules Obst auf den Tisch stellete? Sind nun die
Seelen eurer Kindern nicht köstlicher als das Vieh?
Ligt nicht mehr daran, worin ihre Seelen vor GOtt
erscheinen, als worin der arme Leib unter die Leu-
te trete? Und woran ist mehr gelegen, an einem
Cedern-höltzern Zimmer, oder an dem Hertzen
eurer Kindern, darinnen die ewige Majestät GOt-
tes wohnen will. Sollen ihre zarte edle Geister
nur mit stinckenden und wehe-thuenden Reden ab-
gespiesen werden? Oder wie lange behieltest du ei-
ne Kinds-Wärterin/ die dem Kind ein Gold-
Stück, das ihm ein vornehmer Herr geschencket,
sogleich wieder wegraubete; sein schönes Sonntags-
Kleid mit schwartzer Dinte besudelte; seine Händ-
und Füßlein verdrehete; die Augen verkleisterte;
den Mund mit einem Bissen von einem stinckenden
Raben-Aas füllete? Würdest du nicht eine solche
Kinds-Verderberin bald fortjagen? Jst nun die
Ausreissung der Furcht GOttes und der Liebe
Christi nicht tausend mahl ärger, als die Entwen-
dung der kostbarsten Kleinodien? Sind die Sün-
den-Flecken auf der unsterblichen Seele des Kin-
des nicht ungleich scheußlicher, als Dinten auf ei-
nem zur Vermoderung eilenden Tuch? Jst nicht
die Verkehrung des Verstands uud Willens weit
bedencklicher und schädlicher, als die Verrenckung
der leiblichen Glieder; Jst es nicht grausamer, das
Gefühl-Aug von GOttes künfftigem Gericht mit
dem Leimen fleischlicher Lüsten bekleiben, als aber
nur des leiblichen Gesichts berauben? Und hiezu

lachen

Cap. 3. Die dritte Quelle
ten laſſen, die die koͤſtliche Speiſen und edle Trau-
ben den Schweinen darwuͤrffe; Haͤrlinge aber und
faules Obſt auf den Tiſch ſtellete? Sind nun die
Seelen eurer Kindern nicht koͤſtlicher als das Vieh?
Ligt nicht mehr daran, worin ihre Seelen vor GOtt
erſcheinen, als worin der arme Leib unter die Leu-
te trete? Und woran iſt mehr gelegen, an einem
Cedern-hoͤltzern Zimmer, oder an dem Hertzen
eurer Kindern, darinnen die ewige Majeſtaͤt GOt-
tes wohnen will. Sollen ihre zarte edle Geiſter
nur mit ſtinckenden und wehe-thuenden Reden ab-
geſpieſen werden? Oder wie lange behielteſt du ei-
ne Kinds-Waͤrterin/ die dem Kind ein Gold-
Stuͤck, das ihm ein vornehmer Herr geſchencket,
ſogleich wieder wegraubete; ſein ſchoͤnes Sonntags-
Kleid mit ſchwartzer Dinte beſudelte; ſeine Haͤnd-
und Fuͤßlein verdrehete; die Augen verkleiſterte;
den Mund mit einem Biſſen von einem ſtinckenden
Raben-Aas fuͤllete? Wuͤrdeſt du nicht eine ſolche
Kinds-Verderberin bald fortjagen? Jſt nun die
Ausreiſſung der Furcht GOttes und der Liebe
Chriſti nicht tauſend mahl aͤrger, als die Entwen-
dung der koſtbarſten Kleinodien? Sind die Suͤn-
den-Flecken auf der unſterblichen Seele des Kin-
des nicht ungleich ſcheußlicher, als Dinten auf ei-
nem zur Vermoderung eilenden Tuch? Jſt nicht
die Verkehrung des Verſtands uud Willens weit
bedencklicher und ſchaͤdlicher, als die Verrenckung
der leiblichen Glieder; Jſt es nicht grauſamer, das
Gefuͤhl-Aug von GOttes kuͤnfftigem Gericht mit
dem Leimen fleiſchlicher Luͤſten bekleiben, als aber
nur des leiblichen Geſichts berauben? Und hiezu

lachen
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[260/0278] Cap. 3. Die dritte Quelle ten laſſen, die die koͤſtliche Speiſen und edle Trau- ben den Schweinen darwuͤrffe; Haͤrlinge aber und faules Obſt auf den Tiſch ſtellete? Sind nun die Seelen eurer Kindern nicht koͤſtlicher als das Vieh? Ligt nicht mehr daran, worin ihre Seelen vor GOtt erſcheinen, als worin der arme Leib unter die Leu- te trete? Und woran iſt mehr gelegen, an einem Cedern-hoͤltzern Zimmer, oder an dem Hertzen eurer Kindern, darinnen die ewige Majeſtaͤt GOt- tes wohnen will. Sollen ihre zarte edle Geiſter nur mit ſtinckenden und wehe-thuenden Reden ab- geſpieſen werden? Oder wie lange behielteſt du ei- ne Kinds-Waͤrterin/ die dem Kind ein Gold- Stuͤck, das ihm ein vornehmer Herr geſchencket, ſogleich wieder wegraubete; ſein ſchoͤnes Sonntags- Kleid mit ſchwartzer Dinte beſudelte; ſeine Haͤnd- und Fuͤßlein verdrehete; die Augen verkleiſterte; den Mund mit einem Biſſen von einem ſtinckenden Raben-Aas fuͤllete? Wuͤrdeſt du nicht eine ſolche Kinds-Verderberin bald fortjagen? Jſt nun die Ausreiſſung der Furcht GOttes und der Liebe Chriſti nicht tauſend mahl aͤrger, als die Entwen- dung der koſtbarſten Kleinodien? Sind die Suͤn- den-Flecken auf der unſterblichen Seele des Kin- des nicht ungleich ſcheußlicher, als Dinten auf ei- nem zur Vermoderung eilenden Tuch? Jſt nicht die Verkehrung des Verſtands uud Willens weit bedencklicher und ſchaͤdlicher, als die Verrenckung der leiblichen Glieder; Jſt es nicht grauſamer, das Gefuͤhl-Aug von GOttes kuͤnfftigem Gericht mit dem Leimen fleiſchlicher Luͤſten bekleiben, als aber nur des leiblichen Geſichts berauben? Und hiezu lachen

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Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Warnung An Die liebe Jugend. Schaffhausen, 1747, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_warnung_1747/278>, abgerufen am 29.04.2024.