Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

wieder zu den Briefen. Apollonius hatte sie nicht
behalten, sie durfte es auch nicht. Der Gatte dachte
noch nicht an's Heimgeh'n, als sie die Decke wieder
über ihre reinen Glieder breitete. Ueber dem Gedan¬
ken, so fort sollte Apollonius ihr Leitstern sein, und wenn
sie handelte, wie er, blieb' sie rein und bewahrt, schlief
sie ein und lächelte im Schlummer wie ein sorglos Kind.


Das Leben in dem Hause mit den grünen Laden
wurde immer schwüler. Die gegenseitige Entfremdung
der Gatten nahm mit jedem Tage zu. Fritz Netten¬
mair behandelte die Frau immer rücksichtsloser, wie
seine Ueberzeugung wuchs, durch Schonung sei nichts
mehr zu gewinnen. Diese Ueberzeugung floß aus der
immer kältern Ruhe der Verachtung, die sie ihm ent¬
gegensetzte; er dachte nicht, daß er selbst sie zu dieser
Verachtung zwang. Es war eine unglückliche, immer
steigende Wechselwirkung. So wenig Apollonius mit
dem Bruder und der Schwägerin zusammentraf, ihr
Zerwürfniß mußte er bemerken. Es machte ihn un¬
glücklich, daß er die Schuld davon trug. In welcher
Weise er sie trug, das ahnte er nicht. Während die
Schwägerin mit liebender Verehrung an ihm hing und
sich und ihrem ganzen Hauswesen seine Physiognomie
aufprägte, grübelte er über den Grund ihres unbesieg¬

wieder zu den Briefen. Apollonius hatte ſie nicht
behalten, ſie durfte es auch nicht. Der Gatte dachte
noch nicht an's Heimgeh'n, als ſie die Decke wieder
über ihre reinen Glieder breitete. Ueber dem Gedan¬
ken, ſo fort ſollte Apollonius ihr Leitſtern ſein, und wenn
ſie handelte, wie er, blieb' ſie rein und bewahrt, ſchlief
ſie ein und lächelte im Schlummer wie ein ſorglos Kind.


Das Leben in dem Hauſe mit den grünen Laden
wurde immer ſchwüler. Die gegenſeitige Entfremdung
der Gatten nahm mit jedem Tage zu. Fritz Netten¬
mair behandelte die Frau immer rückſichtsloſer, wie
ſeine Ueberzeugung wuchs, durch Schonung ſei nichts
mehr zu gewinnen. Dieſe Ueberzeugung floß aus der
immer kältern Ruhe der Verachtung, die ſie ihm ent¬
gegenſetzte; er dachte nicht, daß er ſelbſt ſie zu dieſer
Verachtung zwang. Es war eine unglückliche, immer
ſteigende Wechſelwirkung. So wenig Apollonius mit
dem Bruder und der Schwägerin zuſammentraf, ihr
Zerwürfniß mußte er bemerken. Es machte ihn un¬
glücklich, daß er die Schuld davon trug. In welcher
Weiſe er ſie trug, das ahnte er nicht. Während die
Schwägerin mit liebender Verehrung an ihm hing und
ſich und ihrem ganzen Hausweſen ſeine Phyſiognomie
aufprägte, grübelte er über den Grund ihres unbeſieg¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0137" n="128"/>
wieder zu den Briefen. Apollonius hatte &#x017F;ie nicht<lb/>
behalten, &#x017F;ie durfte es auch nicht. Der Gatte dachte<lb/>
noch nicht an's Heimgeh'n, als &#x017F;ie die Decke wieder<lb/>
über ihre reinen Glieder breitete. Ueber dem Gedan¬<lb/>
ken, &#x017F;o fort &#x017F;ollte Apollonius ihr Leit&#x017F;tern &#x017F;ein, und wenn<lb/>
&#x017F;ie handelte, wie er, blieb' &#x017F;ie rein und bewahrt, &#x017F;chlief<lb/>
&#x017F;ie ein und lächelte im Schlummer wie ein &#x017F;orglos Kind.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Das Leben in dem Hau&#x017F;e mit den grünen Laden<lb/>
wurde immer &#x017F;chwüler. Die gegen&#x017F;eitige Entfremdung<lb/>
der Gatten nahm mit jedem Tage zu. Fritz Netten¬<lb/>
mair behandelte die Frau immer rück&#x017F;ichtslo&#x017F;er, wie<lb/>
&#x017F;eine Ueberzeugung wuchs, durch Schonung &#x017F;ei nichts<lb/>
mehr zu gewinnen. Die&#x017F;e Ueberzeugung floß aus der<lb/>
immer kältern Ruhe der Verachtung, die &#x017F;ie ihm ent¬<lb/>
gegen&#x017F;etzte; er dachte nicht, daß er &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ie zu die&#x017F;er<lb/>
Verachtung zwang. Es war eine unglückliche, immer<lb/>
&#x017F;teigende Wech&#x017F;elwirkung. So wenig Apollonius mit<lb/>
dem Bruder und der Schwägerin zu&#x017F;ammentraf, ihr<lb/>
Zerwürfniß mußte er bemerken. Es machte ihn un¬<lb/>
glücklich, daß er die Schuld davon trug. In welcher<lb/>
Wei&#x017F;e er &#x017F;ie trug, das ahnte er nicht. Während die<lb/>
Schwägerin mit liebender Verehrung an ihm hing und<lb/>
&#x017F;ich und ihrem ganzen Hauswe&#x017F;en &#x017F;eine Phy&#x017F;iognomie<lb/>
aufprägte, grübelte er über den Grund ihres unbe&#x017F;ieg¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0137] wieder zu den Briefen. Apollonius hatte ſie nicht behalten, ſie durfte es auch nicht. Der Gatte dachte noch nicht an's Heimgeh'n, als ſie die Decke wieder über ihre reinen Glieder breitete. Ueber dem Gedan¬ ken, ſo fort ſollte Apollonius ihr Leitſtern ſein, und wenn ſie handelte, wie er, blieb' ſie rein und bewahrt, ſchlief ſie ein und lächelte im Schlummer wie ein ſorglos Kind. Das Leben in dem Hauſe mit den grünen Laden wurde immer ſchwüler. Die gegenſeitige Entfremdung der Gatten nahm mit jedem Tage zu. Fritz Netten¬ mair behandelte die Frau immer rückſichtsloſer, wie ſeine Ueberzeugung wuchs, durch Schonung ſei nichts mehr zu gewinnen. Dieſe Ueberzeugung floß aus der immer kältern Ruhe der Verachtung, die ſie ihm ent¬ gegenſetzte; er dachte nicht, daß er ſelbſt ſie zu dieſer Verachtung zwang. Es war eine unglückliche, immer ſteigende Wechſelwirkung. So wenig Apollonius mit dem Bruder und der Schwägerin zuſammentraf, ihr Zerwürfniß mußte er bemerken. Es machte ihn un¬ glücklich, daß er die Schuld davon trug. In welcher Weiſe er ſie trug, das ahnte er nicht. Während die Schwägerin mit liebender Verehrung an ihm hing und ſich und ihrem ganzen Hausweſen ſeine Phyſiognomie aufprägte, grübelte er über den Grund ihres unbeſieg¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/137
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/137>, abgerufen am 28.04.2024.