Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

Krankenbett seiner Kinder vertreiben. Der Jammer, die
Angst wollte sie in Apollonius' Arme jagen; es war
ihr, als wär Alles gut, läge sie an seiner Brust; als
dürfte sie ihn nicht wieder von sich lassen. Aber wie
er so zu Häupten des Kindes stand und sprach, da
kam er ihr so herrlich vor, wie ein Heiliger, vor
dem sie nur auf den Knieen liegen dürfe. Der Bett¬
schirm hüllte die große, schlanke Gestalt in seinen
Schatten, nur seine Stirn und seine hohe Scheitel
waren sichtbar und erschienen, von dem Lichte auf dem
Tische angestrahlt, wie in einer Glorie. Dachte sie von
ihm weg zu ihrem Gatten, so krampfte eisiger Frost ihr
Herz zusammen, und Widerwillen bäumte sich darin wie
in Riese gegen den bloßen Gedanken auf. Aber Apollo¬
nius hatte gesagt, Aennchen werde nicht wieder gesund,
wenn das Zerwürfniß nicht ende. Er hatte gesagt, der
Mensch könne und müsse sich bezwingen; sie wollte sich be¬
zwingen, weil er's gesagt. Einer Mutter wären Wunder
möglich für ihr Kind; dachte sie an Apollonius Gesicht, wie
er so sprach, mußte ihr das größte Wunder möglich werden.

Fritz Nettenmair trat herein. Er dachte an Nichts,
als daß Apollonius dagewesen sein müsse, war er auch
jetzt nicht mehr da. Es flirrte ihm vor den Augen
vor Wuth. Er wäre auf die Frau losgestürzt, sah er
nicht den alten Valentin an der Kammerthüre sitzen.
Er wollte warten, bis dieser einmal das Zimmer ver¬
ließe, und schlich sich nach dem Stuhle am Fenster,

Ludwig, Zwischen Himmel und Erde. 11

Krankenbett ſeiner Kinder vertreiben. Der Jammer, die
Angſt wollte ſie in Apollonius' Arme jagen; es war
ihr, als wär Alles gut, läge ſie an ſeiner Bruſt; als
dürfte ſie ihn nicht wieder von ſich laſſen. Aber wie
er ſo zu Häupten des Kindes ſtand und ſprach, da
kam er ihr ſo herrlich vor, wie ein Heiliger, vor
dem ſie nur auf den Knieen liegen dürfe. Der Bett¬
ſchirm hüllte die große, ſchlanke Geſtalt in ſeinen
Schatten, nur ſeine Stirn und ſeine hohe Scheitel
waren ſichtbar und erſchienen, von dem Lichte auf dem
Tiſche angeſtrahlt, wie in einer Glorie. Dachte ſie von
ihm weg zu ihrem Gatten, ſo krampfte eiſiger Froſt ihr
Herz zuſammen, und Widerwillen bäumte ſich darin wie
in Rieſe gegen den bloßen Gedanken auf. Aber Apollo¬
nius hatte geſagt, Aennchen werde nicht wieder geſund,
wenn das Zerwürfniß nicht ende. Er hatte geſagt, der
Menſch könne und müſſe ſich bezwingen; ſie wollte ſich be¬
zwingen, weil er's geſagt. Einer Mutter wären Wunder
möglich für ihr Kind; dachte ſie an Apollonius Geſicht, wie
er ſo ſprach, mußte ihr das größte Wunder möglich werden.

Fritz Nettenmair trat herein. Er dachte an Nichts,
als daß Apollonius dageweſen ſein müſſe, war er auch
jetzt nicht mehr da. Es flirrte ihm vor den Augen
vor Wuth. Er wäre auf die Frau losgeſtürzt, ſah er
nicht den alten Valentin an der Kammerthüre ſitzen.
Er wollte warten, bis dieſer einmal das Zimmer ver¬
ließe, und ſchlich ſich nach dem Stuhle am Fenſter,

Ludwig, Zwiſchen Himmel und Erde. 11
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0170" n="161"/>
Krankenbett &#x017F;einer Kinder vertreiben. Der Jammer, die<lb/>
Ang&#x017F;t wollte &#x017F;ie in Apollonius' Arme jagen; es war<lb/>
ihr, als wär Alles gut, läge &#x017F;ie an &#x017F;einer Bru&#x017F;t; als<lb/>
dürfte &#x017F;ie ihn nicht wieder von &#x017F;ich la&#x017F;&#x017F;en. Aber wie<lb/>
er &#x017F;o zu Häupten des Kindes &#x017F;tand und &#x017F;prach, da<lb/>
kam er ihr &#x017F;o herrlich vor, wie ein Heiliger, vor<lb/>
dem &#x017F;ie nur auf den Knieen liegen dürfe. Der Bett¬<lb/>
&#x017F;chirm hüllte die große, &#x017F;chlanke Ge&#x017F;talt in &#x017F;einen<lb/>
Schatten, nur &#x017F;eine Stirn und &#x017F;eine hohe Scheitel<lb/>
waren &#x017F;ichtbar und er&#x017F;chienen, von dem Lichte auf dem<lb/>
Ti&#x017F;che ange&#x017F;trahlt, wie in einer Glorie. Dachte &#x017F;ie von<lb/>
ihm weg zu ihrem Gatten, &#x017F;o krampfte ei&#x017F;iger Fro&#x017F;t ihr<lb/>
Herz zu&#x017F;ammen, und Widerwillen bäumte &#x017F;ich darin wie<lb/>
in Rie&#x017F;e gegen den bloßen Gedanken auf. Aber Apollo¬<lb/>
nius hatte ge&#x017F;agt, Aennchen werde nicht wieder ge&#x017F;und,<lb/>
wenn das Zerwürfniß nicht ende. Er hatte ge&#x017F;agt, der<lb/>
Men&#x017F;ch könne und mü&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich bezwingen; &#x017F;ie wollte &#x017F;ich be¬<lb/>
zwingen, weil er's ge&#x017F;agt. Einer Mutter wären Wunder<lb/>
möglich für ihr Kind; dachte &#x017F;ie an Apollonius Ge&#x017F;icht, wie<lb/>
er &#x017F;o &#x017F;prach, mußte ihr das größte Wunder möglich werden.</p><lb/>
        <p>Fritz Nettenmair trat herein. Er dachte an Nichts,<lb/>
als daß Apollonius dagewe&#x017F;en &#x017F;ein mü&#x017F;&#x017F;e, war er auch<lb/>
jetzt nicht mehr da. Es flirrte ihm vor den Augen<lb/>
vor Wuth. Er wäre auf die Frau losge&#x017F;türzt, &#x017F;ah er<lb/>
nicht den alten Valentin an der Kammerthüre &#x017F;itzen.<lb/>
Er wollte warten, bis die&#x017F;er einmal das Zimmer ver¬<lb/>
ließe, und &#x017F;chlich &#x017F;ich nach dem Stuhle am Fen&#x017F;ter,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Ludwig</hi>, Zwi&#x017F;chen Himmel und Erde. 11<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[161/0170] Krankenbett ſeiner Kinder vertreiben. Der Jammer, die Angſt wollte ſie in Apollonius' Arme jagen; es war ihr, als wär Alles gut, läge ſie an ſeiner Bruſt; als dürfte ſie ihn nicht wieder von ſich laſſen. Aber wie er ſo zu Häupten des Kindes ſtand und ſprach, da kam er ihr ſo herrlich vor, wie ein Heiliger, vor dem ſie nur auf den Knieen liegen dürfe. Der Bett¬ ſchirm hüllte die große, ſchlanke Geſtalt in ſeinen Schatten, nur ſeine Stirn und ſeine hohe Scheitel waren ſichtbar und erſchienen, von dem Lichte auf dem Tiſche angeſtrahlt, wie in einer Glorie. Dachte ſie von ihm weg zu ihrem Gatten, ſo krampfte eiſiger Froſt ihr Herz zuſammen, und Widerwillen bäumte ſich darin wie in Rieſe gegen den bloßen Gedanken auf. Aber Apollo¬ nius hatte geſagt, Aennchen werde nicht wieder geſund, wenn das Zerwürfniß nicht ende. Er hatte geſagt, der Menſch könne und müſſe ſich bezwingen; ſie wollte ſich be¬ zwingen, weil er's geſagt. Einer Mutter wären Wunder möglich für ihr Kind; dachte ſie an Apollonius Geſicht, wie er ſo ſprach, mußte ihr das größte Wunder möglich werden. Fritz Nettenmair trat herein. Er dachte an Nichts, als daß Apollonius dageweſen ſein müſſe, war er auch jetzt nicht mehr da. Es flirrte ihm vor den Augen vor Wuth. Er wäre auf die Frau losgeſtürzt, ſah er nicht den alten Valentin an der Kammerthüre ſitzen. Er wollte warten, bis dieſer einmal das Zimmer ver¬ ließe, und ſchlich ſich nach dem Stuhle am Fenſter, Ludwig, Zwiſchen Himmel und Erde. 11

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/170
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/170>, abgerufen am 07.05.2024.