Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

werde an das Bett treten und zu dem Kinde sprechen,
wie sie, und durch das Kind mit ihr. Wie sie von
ihm denken mochte, das Kind war doch sein Kind, und
es war krank. Der Mann schwieg und blieb ruhig
auf seinem Stuhle sitzen. Ein halb Vaterunser lang
hörte man nichts, als das Ticken der Uhr. Und das
wurde immer schneller, wie das Klopfen eines Men¬
schenherzens, das Schlimmes kommen ahnt. Die
Flamme des Lichtes zuckte wie vor Furcht. Valentin
stand auf von seinem Stuhle, um das Licht zu putzen.
Die Brust des Kindes röchelte; es wollte sprechen, es
konnte nicht. Es wollte mit den Händchen nach dem
Vater langen; es konnte nicht. Es konnte nichts, als
die Arme seiner Seele nach dem Vater ausstrecken.
Aber des Vaters Seele sah die flehenden nicht. In
ihren Händen hielt sie krampfhaft ihren Groll und
hatte keine Hand frei für das Kind. Er hört das
Röcheln, aber er weiß, das Kind ist abgerichtet von
seinen Feinden. Es hat kein kindlich Herz gegen ihn;
und wär's wirklich krank, so wär es absichtlich krank
geworden, um ihn betrügen zu helfen. Und stürb's,
so würde sein Sterben noch ein Kupplerdienst sein, den
es seinen Feinden thut. Wär' sein Auge nicht selber
so krank, daß es ihm außen nur immer das Eine zeigt,
über dem seine Seele innen unablässig brütet, er müßte
es am Gesichte der Mutter sehn, an dem Ton ihrer
Stimme hören, sie verstellt sich nicht, das Kind ist

11*

werde an das Bett treten und zu dem Kinde ſprechen,
wie ſie, und durch das Kind mit ihr. Wie ſie von
ihm denken mochte, das Kind war doch ſein Kind, und
es war krank. Der Mann ſchwieg und blieb ruhig
auf ſeinem Stuhle ſitzen. Ein halb Vaterunſer lang
hörte man nichts, als das Ticken der Uhr. Und das
wurde immer ſchneller, wie das Klopfen eines Men¬
ſchenherzens, das Schlimmes kommen ahnt. Die
Flamme des Lichtes zuckte wie vor Furcht. Valentin
ſtand auf von ſeinem Stuhle, um das Licht zu putzen.
Die Bruſt des Kindes röchelte; es wollte ſprechen, es
konnte nicht. Es wollte mit den Händchen nach dem
Vater langen; es konnte nicht. Es konnte nichts, als
die Arme ſeiner Seele nach dem Vater ausſtrecken.
Aber des Vaters Seele ſah die flehenden nicht. In
ihren Händen hielt ſie krampfhaft ihren Groll und
hatte keine Hand frei für das Kind. Er hört das
Röcheln, aber er weiß, das Kind iſt abgerichtet von
ſeinen Feinden. Es hat kein kindlich Herz gegen ihn;
und wär's wirklich krank, ſo wär es abſichtlich krank
geworden, um ihn betrügen zu helfen. Und ſtürb's,
ſo würde ſein Sterben noch ein Kupplerdienſt ſein, den
es ſeinen Feinden thut. Wär' ſein Auge nicht ſelber
ſo krank, daß es ihm außen nur immer das Eine zeigt,
über dem ſeine Seele innen unabläſſig brütet, er müßte
es am Geſichte der Mutter ſehn, an dem Ton ihrer
Stimme hören, ſie verſtellt ſich nicht, das Kind iſt

11*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0172" n="163"/>
werde an das Bett treten und zu dem Kinde &#x017F;prechen,<lb/>
wie &#x017F;ie, und durch das Kind mit ihr. Wie &#x017F;ie von<lb/>
ihm denken mochte, das Kind war doch &#x017F;ein Kind, und<lb/>
es war krank. Der Mann &#x017F;chwieg und blieb ruhig<lb/>
auf &#x017F;einem Stuhle &#x017F;itzen. Ein halb Vaterun&#x017F;er lang<lb/>
hörte man nichts, als das Ticken der Uhr. Und das<lb/>
wurde immer &#x017F;chneller, wie das Klopfen eines Men¬<lb/>
&#x017F;chenherzens, das Schlimmes kommen ahnt. Die<lb/>
Flamme des Lichtes zuckte wie vor Furcht. Valentin<lb/>
&#x017F;tand auf von &#x017F;einem Stuhle, um das Licht zu putzen.<lb/>
Die Bru&#x017F;t des Kindes röchelte; es wollte &#x017F;prechen, es<lb/>
konnte nicht. Es wollte mit den Händchen nach dem<lb/>
Vater langen; es konnte nicht. Es konnte nichts, als<lb/>
die Arme &#x017F;einer Seele nach dem Vater aus&#x017F;trecken.<lb/>
Aber des Vaters Seele &#x017F;ah die flehenden nicht. In<lb/>
ihren Händen hielt &#x017F;ie krampfhaft ihren Groll und<lb/>
hatte keine Hand frei für das Kind. Er hört das<lb/>
Röcheln, aber er weiß, das Kind i&#x017F;t abgerichtet von<lb/>
&#x017F;einen Feinden. Es hat kein kindlich Herz gegen ihn;<lb/>
und wär's wirklich krank, &#x017F;o wär es ab&#x017F;ichtlich krank<lb/>
geworden, um ihn betrügen zu helfen. Und &#x017F;türb's,<lb/>
&#x017F;o würde &#x017F;ein Sterben noch ein Kupplerdien&#x017F;t &#x017F;ein, den<lb/>
es &#x017F;einen Feinden thut. Wär' &#x017F;ein Auge nicht &#x017F;elber<lb/>
&#x017F;o krank, daß es ihm außen nur immer das Eine zeigt,<lb/>
über dem &#x017F;eine Seele innen unablä&#x017F;&#x017F;ig brütet, er müßte<lb/>
es am Ge&#x017F;ichte der Mutter &#x017F;ehn, an dem Ton ihrer<lb/>
Stimme hören, &#x017F;ie ver&#x017F;tellt &#x017F;ich nicht, das Kind i&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">11*<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0172] werde an das Bett treten und zu dem Kinde ſprechen, wie ſie, und durch das Kind mit ihr. Wie ſie von ihm denken mochte, das Kind war doch ſein Kind, und es war krank. Der Mann ſchwieg und blieb ruhig auf ſeinem Stuhle ſitzen. Ein halb Vaterunſer lang hörte man nichts, als das Ticken der Uhr. Und das wurde immer ſchneller, wie das Klopfen eines Men¬ ſchenherzens, das Schlimmes kommen ahnt. Die Flamme des Lichtes zuckte wie vor Furcht. Valentin ſtand auf von ſeinem Stuhle, um das Licht zu putzen. Die Bruſt des Kindes röchelte; es wollte ſprechen, es konnte nicht. Es wollte mit den Händchen nach dem Vater langen; es konnte nicht. Es konnte nichts, als die Arme ſeiner Seele nach dem Vater ausſtrecken. Aber des Vaters Seele ſah die flehenden nicht. In ihren Händen hielt ſie krampfhaft ihren Groll und hatte keine Hand frei für das Kind. Er hört das Röcheln, aber er weiß, das Kind iſt abgerichtet von ſeinen Feinden. Es hat kein kindlich Herz gegen ihn; und wär's wirklich krank, ſo wär es abſichtlich krank geworden, um ihn betrügen zu helfen. Und ſtürb's, ſo würde ſein Sterben noch ein Kupplerdienſt ſein, den es ſeinen Feinden thut. Wär' ſein Auge nicht ſelber ſo krank, daß es ihm außen nur immer das Eine zeigt, über dem ſeine Seele innen unabläſſig brütet, er müßte es am Geſichte der Mutter ſehn, an dem Ton ihrer Stimme hören, ſie verſtellt ſich nicht, das Kind iſt 11*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/172
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/172>, abgerufen am 06.05.2024.