Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

Der alte Herr saß in seiner kleinen Stube. Wie
er sich immer tiefer in die Wolken einspann, die ihn
von der Welt außer ihm trennten, wurde ihm zuletzt
auch das Gärtchen fremd. Besonders hatte ihn
die ewige Frage: Wie geht's Herr Nettenmair? dort
vertrieben. Er fühlte, man konnte ihm sein "Ich leide
etwas an den Augen, aber es hat nichts zu sagen"
nicht mehr glauben, und seitdem hörte er in jener Frage
eine Verhöhnung. Apollonius war, so sehr er mit ihm
litt, das Zurückziehen des alten Herrn und seine zu¬
nehmende Menschenscheu nicht unwillkommen. Je tiefer
der Bruder fiel, desto schwerer war es geworden, dem
alten Herrn den Zustand des Hauses zu verbergen
und etwaige Zuträger abzuhalten, von denen er in sei¬
nem Gärtchen nicht abzuschließen war; es schien zuletzt
unmöglich. Apollonius wußte freilich nicht, daß der alte
Herr in seinem Stübchen an Qualen litt, die, wenn auch
auf bloßer Einbildung beruhend, denen gleich kamen, vor
denen er ihn schützen wollte. Hier saß der alte Herr den
langen Tag zusammen gesunken hinter dem Tische auf
seinem Lederstuhl, und brütete nach seiner alten Weise über
allen Möglichkeiten von Unehre, die sein Haus treffen
konnten oder schritt mit hastigen Schritten hin und her,
und das Roth seiner eingefallenen Wangen und die
heftig kämpfende Bewegung seiner Arme zeigte, wie
er in Gedanken das Aeußerste that, die drohenden ab¬
zuwenden. Nur der Bauherr, der mit Apollonius im

Der alte Herr ſaß in ſeiner kleinen Stube. Wie
er ſich immer tiefer in die Wolken einſpann, die ihn
von der Welt außer ihm trennten, wurde ihm zuletzt
auch das Gärtchen fremd. Beſonders hatte ihn
die ewige Frage: Wie geht's Herr Nettenmair? dort
vertrieben. Er fühlte, man konnte ihm ſein „Ich leide
etwas an den Augen, aber es hat nichts zu ſagen“
nicht mehr glauben, und ſeitdem hörte er in jener Frage
eine Verhöhnung. Apollonius war, ſo ſehr er mit ihm
litt, das Zurückziehen des alten Herrn und ſeine zu¬
nehmende Menſchenſcheu nicht unwillkommen. Je tiefer
der Bruder fiel, deſto ſchwerer war es geworden, dem
alten Herrn den Zuſtand des Hauſes zu verbergen
und etwaige Zuträger abzuhalten, von denen er in ſei¬
nem Gärtchen nicht abzuſchließen war; es ſchien zuletzt
unmöglich. Apollonius wußte freilich nicht, daß der alte
Herr in ſeinem Stübchen an Qualen litt, die, wenn auch
auf bloßer Einbildung beruhend, denen gleich kamen, vor
denen er ihn ſchützen wollte. Hier ſaß der alte Herr den
langen Tag zuſammen geſunken hinter dem Tiſche auf
ſeinem Lederſtuhl, und brütete nach ſeiner alten Weiſe über
allen Möglichkeiten von Unehre, die ſein Haus treffen
konnten oder ſchritt mit haſtigen Schritten hin und her,
und das Roth ſeiner eingefallenen Wangen und die
heftig kämpfende Bewegung ſeiner Arme zeigte, wie
er in Gedanken das Aeußerſte that, die drohenden ab¬
zuwenden. Nur der Bauherr, der mit Apollonius im

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0205" n="196"/>
        <p>Der alte Herr &#x017F;aß in &#x017F;einer kleinen Stube. Wie<lb/>
er &#x017F;ich immer tiefer in die Wolken ein&#x017F;pann, die ihn<lb/>
von der Welt außer ihm trennten, wurde ihm zuletzt<lb/>
auch das Gärtchen fremd. Be&#x017F;onders hatte ihn<lb/>
die ewige Frage: Wie geht's Herr Nettenmair? dort<lb/>
vertrieben. Er fühlte, man konnte ihm &#x017F;ein &#x201E;Ich leide<lb/>
etwas an den Augen, aber es hat nichts zu &#x017F;agen&#x201C;<lb/>
nicht mehr glauben, und &#x017F;eitdem hörte er in jener Frage<lb/>
eine Verhöhnung. Apollonius war, &#x017F;o &#x017F;ehr er mit ihm<lb/>
litt, das Zurückziehen des alten Herrn und &#x017F;eine zu¬<lb/>
nehmende Men&#x017F;chen&#x017F;cheu nicht unwillkommen. Je tiefer<lb/>
der Bruder fiel, de&#x017F;to &#x017F;chwerer war es geworden, dem<lb/>
alten Herrn den Zu&#x017F;tand des Hau&#x017F;es zu verbergen<lb/>
und etwaige Zuträger abzuhalten, von denen er in &#x017F;ei¬<lb/>
nem Gärtchen nicht abzu&#x017F;chließen war; es &#x017F;chien zuletzt<lb/>
unmöglich. Apollonius wußte freilich nicht, daß der alte<lb/>
Herr in &#x017F;einem Stübchen an Qualen litt, die, wenn auch<lb/>
auf bloßer Einbildung beruhend, denen gleich kamen, vor<lb/>
denen er ihn &#x017F;chützen wollte. Hier &#x017F;aß der alte Herr den<lb/>
langen Tag zu&#x017F;ammen ge&#x017F;unken hinter dem Ti&#x017F;che auf<lb/>
&#x017F;einem Leder&#x017F;tuhl, und brütete nach &#x017F;einer alten Wei&#x017F;e über<lb/>
allen Möglichkeiten von Unehre, die &#x017F;ein Haus treffen<lb/>
konnten oder &#x017F;chritt mit ha&#x017F;tigen Schritten hin und her,<lb/>
und das Roth &#x017F;einer eingefallenen Wangen und die<lb/>
heftig kämpfende Bewegung &#x017F;einer Arme zeigte, wie<lb/>
er in Gedanken das Aeußer&#x017F;te that, die drohenden ab¬<lb/>
zuwenden. Nur der Bauherr, der mit Apollonius im<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[196/0205] Der alte Herr ſaß in ſeiner kleinen Stube. Wie er ſich immer tiefer in die Wolken einſpann, die ihn von der Welt außer ihm trennten, wurde ihm zuletzt auch das Gärtchen fremd. Beſonders hatte ihn die ewige Frage: Wie geht's Herr Nettenmair? dort vertrieben. Er fühlte, man konnte ihm ſein „Ich leide etwas an den Augen, aber es hat nichts zu ſagen“ nicht mehr glauben, und ſeitdem hörte er in jener Frage eine Verhöhnung. Apollonius war, ſo ſehr er mit ihm litt, das Zurückziehen des alten Herrn und ſeine zu¬ nehmende Menſchenſcheu nicht unwillkommen. Je tiefer der Bruder fiel, deſto ſchwerer war es geworden, dem alten Herrn den Zuſtand des Hauſes zu verbergen und etwaige Zuträger abzuhalten, von denen er in ſei¬ nem Gärtchen nicht abzuſchließen war; es ſchien zuletzt unmöglich. Apollonius wußte freilich nicht, daß der alte Herr in ſeinem Stübchen an Qualen litt, die, wenn auch auf bloßer Einbildung beruhend, denen gleich kamen, vor denen er ihn ſchützen wollte. Hier ſaß der alte Herr den langen Tag zuſammen geſunken hinter dem Tiſche auf ſeinem Lederſtuhl, und brütete nach ſeiner alten Weiſe über allen Möglichkeiten von Unehre, die ſein Haus treffen konnten oder ſchritt mit haſtigen Schritten hin und her, und das Roth ſeiner eingefallenen Wangen und die heftig kämpfende Bewegung ſeiner Arme zeigte, wie er in Gedanken das Aeußerſte that, die drohenden ab¬ zuwenden. Nur der Bauherr, der mit Apollonius im

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/205
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/205>, abgerufen am 29.04.2024.