Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

Es war in der Nacht vor dem angesetzten Verlo¬
bungstag. Plötzlich war Schnee, dann große Kälte
eingetreten. Einige Nächte schon hatte man das so¬
genannte Sankt Elmsfeuer von den Thurmspitzen nach
den blitzenden Sternen am Himmel züngeln sehn.
Trotz der trockenen Kälte empfanden die Bewohner der
Gegend eine eigene Schwere in den Gliedern. Es
regte sich keine Luft. Die Menschen sahen sich an,
als fragte einer den andern, ob auch er die seltsame
Beängstigung fühle. Wunderliche Prophezeiungen von
Krieg, Krankheit und Theuerung gingen von Mund
zu Munde. Die Verständigern lächelten darüber,
konnten sich aber selbst des Dranges nicht erwehren,
ihre innerliche Beklemmung in entsprechende Bilder
von etwas äußerlich drohend Bevorstehendem zu klei¬
den. Den ganzen Tag hatten sich dunkle Wolken
übereinander gebaut von entschiedenerer Zeichnung und
Farbe, als sie der Winterhimmel sonst zu zeigen
pflegt. Ihre Schwärze hätte unerträglich grell von
dem Schnee abstechen müssen, der Berge und Thal be¬
deckte und wie ein Zuckerschaum in den blätterlosen
Zweigen hing, dämpfte nicht ihr Wiederschein den
weißen Glanz. Hier und da dehnte sich der feste Um¬
riß der dunklen Wolkenburg in schlappen Busen herab.
Diese trugen das Ansehn gewöhnlicher Schneewolken,
und ihr trübes Röthlichgrau vermittelte die Blei¬
schwärze der höhern Schicht mit dem schmutzigen Weiß

Es war in der Nacht vor dem angeſetzten Verlo¬
bungstag. Plötzlich war Schnee, dann große Kälte
eingetreten. Einige Nächte ſchon hatte man das ſo¬
genannte Sankt Elmsfeuer von den Thurmſpitzen nach
den blitzenden Sternen am Himmel züngeln ſehn.
Trotz der trockenen Kälte empfanden die Bewohner der
Gegend eine eigene Schwere in den Gliedern. Es
regte ſich keine Luft. Die Menſchen ſahen ſich an,
als fragte einer den andern, ob auch er die ſeltſame
Beängſtigung fühle. Wunderliche Prophezeiungen von
Krieg, Krankheit und Theuerung gingen von Mund
zu Munde. Die Verſtändigern lächelten darüber,
konnten ſich aber ſelbſt des Dranges nicht erwehren,
ihre innerliche Beklemmung in entſprechende Bilder
von etwas äußerlich drohend Bevorſtehendem zu klei¬
den. Den ganzen Tag hatten ſich dunkle Wolken
übereinander gebaut von entſchiedenerer Zeichnung und
Farbe, als ſie der Winterhimmel ſonſt zu zeigen
pflegt. Ihre Schwärze hätte unerträglich grell von
dem Schnee abſtechen müſſen, der Berge und Thal be¬
deckte und wie ein Zuckerſchaum in den blätterloſen
Zweigen hing, dämpfte nicht ihr Wiederſchein den
weißen Glanz. Hier und da dehnte ſich der feſte Um¬
riß der dunklen Wolkenburg in ſchlappen Buſen herab.
Dieſe trugen das Anſehn gewöhnlicher Schneewolken,
und ihr trübes Röthlichgrau vermittelte die Blei¬
ſchwärze der höhern Schicht mit dem ſchmutzigen Weiß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0294" n="285"/>
        <p>Es war in der Nacht vor dem ange&#x017F;etzten Verlo¬<lb/>
bungstag. Plötzlich war Schnee, dann große Kälte<lb/>
eingetreten. Einige Nächte &#x017F;chon hatte man das &#x017F;<lb/>
genannte Sankt Elmsfeuer von den Thurm&#x017F;pitzen nach<lb/>
den blitzenden Sternen am Himmel züngeln &#x017F;ehn.<lb/>
Trotz der trockenen Kälte empfanden die Bewohner der<lb/>
Gegend eine eigene Schwere in den Gliedern. Es<lb/>
regte &#x017F;ich keine Luft. Die Men&#x017F;chen &#x017F;ahen &#x017F;ich an,<lb/>
als fragte einer den andern, ob auch er die &#x017F;elt&#x017F;ame<lb/>
Beäng&#x017F;tigung fühle. Wunderliche Prophezeiungen von<lb/>
Krieg, Krankheit und Theuerung gingen von Mund<lb/>
zu Munde. Die Ver&#x017F;tändigern lächelten darüber,<lb/>
konnten &#x017F;ich aber &#x017F;elb&#x017F;t des Dranges nicht erwehren,<lb/>
ihre innerliche Beklemmung in ent&#x017F;prechende Bilder<lb/>
von etwas äußerlich drohend Bevor&#x017F;tehendem zu klei¬<lb/>
den. Den ganzen Tag hatten &#x017F;ich dunkle Wolken<lb/>
übereinander gebaut von ent&#x017F;chiedenerer Zeichnung und<lb/>
Farbe, als &#x017F;ie der Winterhimmel &#x017F;on&#x017F;t zu zeigen<lb/>
pflegt. Ihre Schwärze hätte unerträglich grell von<lb/>
dem Schnee ab&#x017F;techen mü&#x017F;&#x017F;en, der Berge und Thal be¬<lb/>
deckte und wie ein Zucker&#x017F;chaum in den blätterlo&#x017F;en<lb/>
Zweigen hing, dämpfte nicht ihr Wieder&#x017F;chein den<lb/>
weißen Glanz. Hier und da dehnte &#x017F;ich der fe&#x017F;te Um¬<lb/>
riß der dunklen Wolkenburg in &#x017F;chlappen Bu&#x017F;en herab.<lb/>
Die&#x017F;e trugen das An&#x017F;ehn gewöhnlicher Schneewolken,<lb/>
und ihr trübes Röthlichgrau vermittelte die Blei¬<lb/>
&#x017F;chwärze der höhern Schicht mit dem &#x017F;chmutzigen Weiß<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[285/0294] Es war in der Nacht vor dem angeſetzten Verlo¬ bungstag. Plötzlich war Schnee, dann große Kälte eingetreten. Einige Nächte ſchon hatte man das ſo¬ genannte Sankt Elmsfeuer von den Thurmſpitzen nach den blitzenden Sternen am Himmel züngeln ſehn. Trotz der trockenen Kälte empfanden die Bewohner der Gegend eine eigene Schwere in den Gliedern. Es regte ſich keine Luft. Die Menſchen ſahen ſich an, als fragte einer den andern, ob auch er die ſeltſame Beängſtigung fühle. Wunderliche Prophezeiungen von Krieg, Krankheit und Theuerung gingen von Mund zu Munde. Die Verſtändigern lächelten darüber, konnten ſich aber ſelbſt des Dranges nicht erwehren, ihre innerliche Beklemmung in entſprechende Bilder von etwas äußerlich drohend Bevorſtehendem zu klei¬ den. Den ganzen Tag hatten ſich dunkle Wolken übereinander gebaut von entſchiedenerer Zeichnung und Farbe, als ſie der Winterhimmel ſonſt zu zeigen pflegt. Ihre Schwärze hätte unerträglich grell von dem Schnee abſtechen müſſen, der Berge und Thal be¬ deckte und wie ein Zuckerſchaum in den blätterloſen Zweigen hing, dämpfte nicht ihr Wiederſchein den weißen Glanz. Hier und da dehnte ſich der feſte Um¬ riß der dunklen Wolkenburg in ſchlappen Buſen herab. Dieſe trugen das Anſehn gewöhnlicher Schneewolken, und ihr trübes Röthlichgrau vermittelte die Blei¬ ſchwärze der höhern Schicht mit dem ſchmutzigen Weiß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/294
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/294>, abgerufen am 13.05.2024.