Es war in der Nacht vor dem angesetzten Verlo¬ bungstag. Plötzlich war Schnee, dann große Kälte eingetreten. Einige Nächte schon hatte man das so¬ genannte Sankt Elmsfeuer von den Thurmspitzen nach den blitzenden Sternen am Himmel züngeln sehn. Trotz der trockenen Kälte empfanden die Bewohner der Gegend eine eigene Schwere in den Gliedern. Es regte sich keine Luft. Die Menschen sahen sich an, als fragte einer den andern, ob auch er die seltsame Beängstigung fühle. Wunderliche Prophezeiungen von Krieg, Krankheit und Theuerung gingen von Mund zu Munde. Die Verständigern lächelten darüber, konnten sich aber selbst des Dranges nicht erwehren, ihre innerliche Beklemmung in entsprechende Bilder von etwas äußerlich drohend Bevorstehendem zu klei¬ den. Den ganzen Tag hatten sich dunkle Wolken übereinander gebaut von entschiedenerer Zeichnung und Farbe, als sie der Winterhimmel sonst zu zeigen pflegt. Ihre Schwärze hätte unerträglich grell von dem Schnee abstechen müssen, der Berge und Thal be¬ deckte und wie ein Zuckerschaum in den blätterlosen Zweigen hing, dämpfte nicht ihr Wiederschein den weißen Glanz. Hier und da dehnte sich der feste Um¬ riß der dunklen Wolkenburg in schlappen Busen herab. Diese trugen das Ansehn gewöhnlicher Schneewolken, und ihr trübes Röthlichgrau vermittelte die Blei¬ schwärze der höhern Schicht mit dem schmutzigen Weiß
Es war in der Nacht vor dem angeſetzten Verlo¬ bungstag. Plötzlich war Schnee, dann große Kälte eingetreten. Einige Nächte ſchon hatte man das ſo¬ genannte Sankt Elmsfeuer von den Thurmſpitzen nach den blitzenden Sternen am Himmel züngeln ſehn. Trotz der trockenen Kälte empfanden die Bewohner der Gegend eine eigene Schwere in den Gliedern. Es regte ſich keine Luft. Die Menſchen ſahen ſich an, als fragte einer den andern, ob auch er die ſeltſame Beängſtigung fühle. Wunderliche Prophezeiungen von Krieg, Krankheit und Theuerung gingen von Mund zu Munde. Die Verſtändigern lächelten darüber, konnten ſich aber ſelbſt des Dranges nicht erwehren, ihre innerliche Beklemmung in entſprechende Bilder von etwas äußerlich drohend Bevorſtehendem zu klei¬ den. Den ganzen Tag hatten ſich dunkle Wolken übereinander gebaut von entſchiedenerer Zeichnung und Farbe, als ſie der Winterhimmel ſonſt zu zeigen pflegt. Ihre Schwärze hätte unerträglich grell von dem Schnee abſtechen müſſen, der Berge und Thal be¬ deckte und wie ein Zuckerſchaum in den blätterloſen Zweigen hing, dämpfte nicht ihr Wiederſchein den weißen Glanz. Hier und da dehnte ſich der feſte Um¬ riß der dunklen Wolkenburg in ſchlappen Buſen herab. Dieſe trugen das Anſehn gewöhnlicher Schneewolken, und ihr trübes Röthlichgrau vermittelte die Blei¬ ſchwärze der höhern Schicht mit dem ſchmutzigen Weiß
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Es war in der Nacht vor dem angeſetzten Verlo¬
bungstag. Plötzlich war Schnee, dann große Kälte
eingetreten. Einige Nächte ſchon hatte man das ſo¬
genannte Sankt Elmsfeuer von den Thurmſpitzen nach
den blitzenden Sternen am Himmel züngeln ſehn.
Trotz der trockenen Kälte empfanden die Bewohner der
Gegend eine eigene Schwere in den Gliedern. Es
regte ſich keine Luft. Die Menſchen ſahen ſich an,
als fragte einer den andern, ob auch er die ſeltſame
Beängſtigung fühle. Wunderliche Prophezeiungen von
Krieg, Krankheit und Theuerung gingen von Mund
zu Munde. Die Verſtändigern lächelten darüber,
konnten ſich aber ſelbſt des Dranges nicht erwehren,
ihre innerliche Beklemmung in entſprechende Bilder
von etwas äußerlich drohend Bevorſtehendem zu klei¬
den. Den ganzen Tag hatten ſich dunkle Wolken
übereinander gebaut von entſchiedenerer Zeichnung und
Farbe, als ſie der Winterhimmel ſonſt zu zeigen
pflegt. Ihre Schwärze hätte unerträglich grell von
dem Schnee abſtechen müſſen, der Berge und Thal be¬
deckte und wie ein Zuckerſchaum in den blätterloſen
Zweigen hing, dämpfte nicht ihr Wiederſchein den
weißen Glanz. Hier und da dehnte ſich der feſte Um¬
riß der dunklen Wolkenburg in ſchlappen Buſen herab.
Dieſe trugen das Anſehn gewöhnlicher Schneewolken,
und ihr trübes Röthlichgrau vermittelte die Blei¬
ſchwärze der höhern Schicht mit dem ſchmutzigen Weiß
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/294>, abgerufen am 13.05.2024.
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